Und angesichts der zu erwartenden Mehrheitsverhältnisse könnten sie am Ende zum Königsmacher werden und entweder SPD-Kandidat Olaf Scholz in einer Ampel-Koalition oder den Unions-Kontrahenten Armin Laschet in einem Jamaika-Bündnis ins Kanzleramt befördern. "Wir führen die Gespräche, zu denen wir eingeladen werden", sagt Lindner gelassen im Interview mit Reuters TV.
Angesichts der schlechten Umfragewerte für die Union steht die FDP allerdings vor einem Dilemma - ein Jamaika-Bündnis rückt zunehmend in die Ferne, für eine Ampel müssten die Liberalen große Kröten schlucken. "Die Strategie war am Anfang, den Wählern zu sagen, dass die Union die Wahl gewinnen wird und dass sie die FDP starkmachen müssen für eine Jamaika-Koalition", sagt der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer im Reuters-Gespräch. "Das hat so lange funktioniert, wie die Union stark war." Jetzt stehe die FDP zunehmend unter Druck, sich mit einer Ampel-Koalition mit SPD und Grünen auseinanderzusetzen. Dazu könne sie zwar die Preise hochtreiben, auch mit einem Finanzministerposten für Lindner. Aber die Liberalen müssten etwa bei der Frage Steuererhöhungen Kompromisse eingehen. Dann "müsste sie sich den Vorwurf der Umfallerpartei gefallen lassen", sagt Niedermayer.
Das aber will die FDP vermeiden: "Wir treten nur in eine Regierung der Mitte ein", stellt Lindner klar. "Mit der FDP wird es keinen Linksruck in der deutschen Politik geben." Es fehle ihm die Fantasie, welche Angebote SPD und Grüne den Liberalen machen könnten, die für die FDP attraktiv und zugleich akzeptabel für die Basis der Sozialdemokraten und der Ökopartei seien. Die FDP schließe höhere Steuern und ein Aufweichen der Schuldenbremse genauso aus wie eine Politik, "die auf Enteignungen setzt, die im Zentrum Verbote hat, also linke Politik". Das klingt nicht nach Kompromissbereitschaft, schaut man in die Wahlprogramme von SPD und Grünen, in denen Steuererhöhungen vorgesehen sind. Ausschließen will Lindner die Ampel aber nicht und sagt zu entsprechenden Forderungen aus CDU und CSU: "Von dieser Union nehmen wir keine Anweisungen entgegen."
"ALS GESPRÄCHSPARTNER NICHT SEHR ATTRAKTIV"
Lindner scheint mittlerweile allerdings eine andere Strategie zu verfolgen. Er hat wiederholt darauf verwiesen, dass die stärkste Partei nach der Wahl nicht automatisch eine Regierung bilden werde. Gegenwärtig müssen Union und SPD mit einem Wahlergebnis jeweils bei 20 plus X rechnen. Das heiße, dass der nächste Kanzler "von mehr als 70 Prozent der Deutschen nicht gewählt worden sein wird ... Das gab's noch nie", sagt Lindner wiederholt. Insofern werde nicht entscheidend sein, "wer die Nasenspitze in den 20ern vorne hat", sondern vielmehr "entscheidend ist, wer hat eine Koalition". Lindner setzt also weiter eher auf Jamaika, auch unter einer Union, die nur als Zweiter nach der SPD am 26. September im Ziel einläuft. Ob da aber die Grünen mitmachen, ist mehr als fraglich.
"Der Wahlausgang ist völlig offen", heißt es in der Parteispitze der Liberalen. "Klar scheint aber, dass er alle Demokraten fordern wird." Niemand wisse genau, wie eng Union und SPD dann wirklich beieinander lägen. Also sei klar: "Wir müssen uns bis zur letzten Minute reinhängen." Was dann am Wahlabend um 18.01 Uhr geschehen wird, ist völlig offen. Entgegen früherer Wahlen wird es diesmal wohl kein Lager geben, das unmittelbar den Sieg und die Bildung der neuen Bundesregierung für sich beanspruchen wird. Einzig eine deutliche Mehrheit für ein Bündnis aus SPD, Grünen und Linken könnte eine gewisse Dynamik entwickeln.
Darüber hinaus wäre die FDP wohl der populärste Gesprächspartner - sowohl für einen Wahlsieger Scholz wie auch für einen Gewinner Laschet. Die Liberalen müssten sich dann vor allem mit den Grünen ins Vernehmen setzen. Allerdings ist offen, wie die Union mit einem schlechten Wahlergebnis umgehen wird und wie schnell die Heckenschützen gegen den Spitzenkandidaten Laschet dann auftauchen. "Eine Partei, die sich zerlegt, ist als Gesprächspartner nicht sehr attraktiv", heißt es vorbeugend in der FDP-Spitze.
rtr