Steigende Zinsen gelten derzeit wohl als das größte fundamentale Risiko für die Aktien- und Rentenmärkte. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die entsprechenden Ängste übertrieben scheinen. Zwar ist die Phase sinkender Preise vorerst vorbei. Nachhaltige Inflation ist bislang jedoch auch nicht zu beobachten. So machen sich die Basiseffekte der seit Sommer 2017 gestiegenen Rohstoffpreise bislang nur moderat bemerkbar. Auch bei den Löhnen zeigt sich bisher kaum Inflati- onsdruck. In den USA ist der Arbeitsmarkt zwar weitgehend leergefegt. Der Beschäftigtenzuwachs fand jedoch überwiegend im Niedriglohnsektor statt, was den Lohnauftrieb bremst.
Darüber hinaus wirken weltweit die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung einer möglichen Lohn-Preis-Spirale entgegen. Nach der Made-in-China-Welle könnte die "Made-by- Robot-Welle die Lohninflation zügeln. Gleichzeitig hat von den großen Notenbanken erst die amerikanische Fed eine geldpolitische Wende vollzogen. Und das ausgesprochen zaghaft: Über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren hat sie in sechs Minischritten die Leitzinsen von 0,00 auf zuletzt 1,5 bis 1,75 Prozent hochgeschleust. In normalen Zeiten würde dieses Zinsniveau noch immer als ausgesprochen locker gelten. Die Europäische Zentralbank (EZB) und die Bank of Japan (BoJ) agieren dagegen weiterhin für jeden Anleger ersichtlich expansiv. Hintergrund ist, dass außer in den USA die Inflation noch immer weit entfernt von den Zielmarken der Notenbanken ist. Außerdem überwiegt die Furcht vor einer Wiederkehr der Finanzkrise nach wie vor die Angst vor steigenden Preisen.
Nicht nur die kurz-, sondern auch die langfristigen Zinsen bewegen sich weiterhin auf einem ungewöhnlich niedrigen Niveau. In den USA rentieren Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit derzeit bei knapp drei Prozent. Bei dem gegenwärtigen Wirtschaftswachstum müsste eigentlich eine 4 vor dem Komma stehen. Deutsche Bundesanleihen mit derselben Restlaufzeit werfen sogar nur einen Zins im Bereich von 0,6 Prozent ab. Europa und Japan ziehen offenbar das Zinsniveau in den USA nach unten und nicht umgekehrt. Dafür gibt es zwei wesentliche Gründe: Erstens drücken die Anleihekäufe der EZB und der BoJ das globale Zinsniveau. Kapital kennt eben keine Ländergrenzen. Und zweitens ist der Anlagebedarf der großen privaten Geldsammelstellen unverändert hoch. Doch gerade bei Unternehmensanleihen steht der großen Nachfrage insgesamt nur ein äußerst begrenztes Angebot gegenüber. In diesem Jahr wird das Emissionsvolumen neuer Corporate Bonds sowohl in den USA als auch in Europa im Vergleich zu 2017 weiter sinken. Das gilt auch für das Brutto-Emissionsvolumen europäischer High-Yield-Anleihen, das bereits in den ersten beiden Monaten 2018 rückläufig war.
Zwar konnten sich Anleihen - sowohl aus dem Bereich Investment-Grade als auch High-Yield-Anleihen - der Korrektur an den Aktienmärkten Anfang Februar nicht entziehen. Die Kurse gaben auf breiter Front nach, global stiegen die Zinsaufschläge. Allerdings haben US-High-Yield-Bonds einen Teil ihrer Renditeaufschläge wieder abgegeben. Sie sind allenfalls unter Inkaufnahme von Währungsrisiken interessant. Unter Berücksichtigung der Kosten einer Währungsabsicherung sind aus Eurosicht jedoch in US-Dollar fast nur asiatische High-Yield-Papiere attraktiv. Für Anleger aus dem Euroraum bietet der Heimatmarkt den Vorteil, dass hier naturgemäß eine Währungsabsicherung entfällt. Dazu kommt, dass bei europäischen High-Yield-Anleihen die Ausfallraten zuletzt wieder spürbar gefallen sind. Gleichzeitig kann bei einem Ausfall im Durchschnitt ein Restwert von derzeit 37 Prozent erzielt werden. Die gesunkenen Ausfallraten und die gestiegenen Recovery-Rates kompensieren die im Vergleich zu Investment-Grade-Anleihen geringere Liquidität von High-Yield-Bonds. Insgesamt sind europäische High-Yield-Anleihen wieder deutlich attraktiver als 2015/16.
Michael Gollits:
Gollits ist Vorstand bei der Vermögensverwaltung von der Heydt & Co sowie Portfolioadvisor des OVID Infrastructure HY Income Fund. Bevor der Finanzmarktexperte zur Vermögensverwaltung nach Frankfurt wechselte, verantwortete er beim Bankhaus von der Heydt in München das Geschäft mit vermögenden Privatkunden. Die von der Heydt & Co verwaltet derzeit rund 500 Millionen Euro Kundengelder.