Börsengänge zählen zu den spannendsten Ereignissen an den Aktienmärkten, vor allem für diejenigen, die vor der Erstnotiz zum Zuge kommen. Denn häufig liegen die ersten Börsenkurse deutlich über dem Ausgabepreis. Das war 2021 etwa beim Kryptobörsenanbieter Coinbase der Fall, beim US-Fintech Affirm oder beim Solarautohersteller Sono Motors, deren Kurse am ersten Handelstag zweistellig in die Höhe schossen.
2022 wird es diese Chancen ebenfalls geben. Es stehen Börsendebüts für Schwergewichte wie den Zahlungsabwickler Klarna oder Thyssens Wasserstoffsparte Uhde an. Wichtig wird sein, auf die richtigen Pferde zu setzen, denn manches Debüt kann zum Flop werden. Wie 2021 das des Bringdiensts Deliveroo in London mit einem Minus von 15 Prozent zum Handelsauftakt.
Auch wenn sich Aktienanleger angesichts mangelnder Alternativen 2022 keine großen Sorgen machen müssen: Die Luft könnte für den Gesamtmarkt dünner werden. Manche Profi-Investoren wie Allianz-Chef Oliver Bäte glauben nicht mehr an weiter steigende Kurse. €uro befasst sich mit drei Themen, die 2022 bestimmen werden und attraktive Gewinne versprechen.
NACHHALTIGKEIT
Mit der Ampel-Koalition wird Deutschland einen großen Schritt Richtung Klimaneutralität versuchen. Die neue Regierung will noch schneller als die alte aus den fossilen Energien aussteigen. Während bei der Elektrizität die Alternativen wie billiger Solarstrom durchaus bereitstehen, braucht es bei der Wärme und im Verkehr neue Technologien, die nun noch schneller Marktreife erreichen müssen.
Die Ampel-Koalitionäre sind sich beim Schienenverkehr einig: Mehr Züge braucht das Land. Zwar hatte schon die scheidende Bundesregierung ein 86 Milliarden Euro schweres Investitionspaket für neue Schienen und Gleisanlagen bewilligt (siehe €uro 3/2020). Doch die Corona-Lockdowns machten dem einen Strich durch die Rechnung.
Die Pläne der Ampel sind ambitioniert: So sollen sich die Fahrgastzahlen bis 2030 verglichen mit 2019 verdoppeln, und nicht mehr 18, sondern 25 Prozent der Güter sollen auf der Schiene transportiert werden. Auch bei der Europischen Union hat die Bahn Vorfahrt, zentrale Trassen sollen ausgebaut werden. Der auf Schienenverkehr fokussierte Maschinenbauer Vossloh spürt dies bereits. Allein im dritten Quartal 2021 gingen Aufträge von Bahngesellschaften über 200 Millionen Euro ein. Auch die chinesische Bahn kauft bei den Sauerländern für ihre Schnellzugstrecken ein. Die nächsten Jahre sind für den solide finanzierten Bahnspezialisten sehr aussichtsreich.
Im Individualverkehr will die Ampel-Regierung ebenfalls Klimafreundlichkeit fördern, etwa indem mehr Ladestationen für die E-Mobilität entstehen sollen. In den Städten wird die Zahl an Batterie-elektrischen Fahrzeugen weiter zunehmen. Das ist eine gute Nachricht für den Ellwanger Spezialisten Varta. Der bisher vor allem in der Unterhaltungselektronik aktive Batteriehersteller steigt in die Massenproduktion von Autobatterien ein. Nach Rückschlägen wegen Lieferengpässen 2021 könnte das margenstarke Varta-Geschäft in den kommenden Quartalen wieder auf Wachstum einschwenken.
Insbesondere die FDP erwärmt sich für umweltfreundliche synthetische Kraftstoffe. Sie sind eine Option, um existierende Flotten weiterbetreiben zu können. Zu den führenden Unternehmen für neue synthetische Flugkraftstoffe und Biodiesel aus Abfällen zählt die finnische Firma Neste. Während das regenerative Kraftstoffgeschäft schon in der Vergangenheit der Aktie gutgetan hat, litt das aus der klassischen Erdölverarbeitung kommende Industrieunternehmen wegen des hohen Ölpreises zuletzt unter geringeren Raffineriemargen. Der Druck dürfte 2022 nachlassen und der Aktie mit europäischem Rückenwind für neue Kraftstoffe Auftrieb verleihen können.
Auch das Trendthema Wasserstoff wird heiß bleiben: Denn das Gas, sofern mit grünem Strom erzeugt, eignet sich ideal für den Klimaschutz, etwa im Schwerverkehr, und kann außerdem dafür sorgen, dass beim Heizen weniger CO2 in die Luft gelangt. Es wird viel investiert - in neue Infrastruktur, beispielsweise zum Transport von Wasserstoff, und auch in die Herstellung von Wasserstoff. Spezialist für solche Anlagen ist das seit 2021 börsennotierte Unternehmen Friedrich Vorwerk, das außerdem Strom-, Wasser- und Fernwärmenetze verlegt. In den kommenden Jahren dürfte das Geschäft mit Energienetzen wegen der geplanten Klimaschutzvorhaben in Deutschland florieren. Nachdem das Unternehmen schwächere Ergebnisse 2021 verkündete, ist die Aktie außerdem auch wieder günstiger zu haben.
Um die eigenen Energiewendeziele zu erreichen, sind Deutschland und Europa auf den Import von Wasserstoff angewiesen. Einer, der das übernimmt, ist der italienische Gaspipelinebetreiber SNAM. Das Unternehmen hat sich frühzeitig beim grünen Gas positioniert, etwa durch den Einstieg beim britischen Spezialisten ITM Power, der in Sheffield die weltgrößte Elektrolyseure-Fabrik mit einer Kapazität von einem Gigawatt pro Jahr betreibt. SNAM will außerdem mit dem Gasespezialisten Linde Wasserstoffprojekte in Europa umsetzen. Das Unternehmen verdient dank seiner Energienetze stetig Geld und bietet Anlegern eine attraktive Dividendenrendite - und einen gewissen Schutz vor der Inflation. Denn die Kosten für neue Netze wird der Monopolist staatlich abgesegnet auf die Konsumenten umlegen können.
INFLATION
Die Inflation ist definitiv ein Aspekt, der die Aktienmärkte 2022 bewegen wird. Die Deutsche Bundesbank sieht 2022 in Deutschland "über längere Zeit" eine Teuerungsrate "von deutlich über drei Prozent" als möglich an. Auf das Jahr gerechnet, wäre das so viel wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Vor allem die Energiepreise steigen, aber auch alle anderen Güter legen zu. Ein Grund sind die durch die Corona-Pandemie bedingten Produktions- und Lieferengpässe und die seit der Finanzkrise offenen Geldschleusen der Zentralbanken.
Teure Konsumgüter. "Die hohe Inflation ist bereits jetzt eine Belastung für die privaten Haushalte", sagt Ivan Mlinaric, Geschäftsführer der Investmentgesellschaft Quant.Capital. Viele müssten sich darauf einstellen, künftig weniger Wohlstand zu haben. Zurückgestellt werden zum Beispiel der Kauf eines neuen Autos, des Fernsehers, der Sofagarnitur oder Fernreisen. Dagegen gibt es Produkte, bei denen die Hersteller ihre gestiegenen Kosten eins zu eins an die Verbraucher weitergeben können, weil jene sie für den täglichen Bedarf benötigen. Dort, wo die Konsumenten keine Wahl haben, sind auch höhere Margen für die Unternehmen drin. Das gilt beispielsweise für Lebensmittel und Konsumgüter für Haushalt und Hygiene. In den USA zählt der Produzent des Universal-Grundstoffs Natriumhydrogencarbonat, Dwight Church, zu den Anbietern beliebter Marken. Die auch als Backsoda bekannte Substanz verarbeitet die Firma aus Ewing, New Jersey, in Lebensmitteln, Waschmitteln, Arzneien und Hygieneartikeln aller Art. Das Unternehmen ist fast jedem US-Amerikaner dank Marken wie Arm & Hammer ein Begriff und im abgelaufenen Geschäftsjahr erneut gewachsen. Das dürfte 2022 so weitergehen.
Letzteres gilt ebenso für Getränkeriesen wie Coca-Cola oder PepsiCo, deren Produkte unabhängig von der Konjunktur immer gefragt sind. Auch Preisaufschläge können sie problemlos weitergeben. PepsiCo ist neben Flüssigem (Gatorade, Lipton, Starbucks) zudem stark im Geschäft mit Snacks (Lay’s) und konnte 2021 Umsatz und Gewinn kräftig steigern. Die etablierte Position in den USA, Europa und Lateinamerika wird PepsiCo auch im Inflationsumfeld 2022 wachsen lassen können.
Inflation bedeutet vor allem für untere Einkommensgruppen Kaufkraftverluste. Die Kunden von Luxusartikeln dürften dagegen nur wenig betroffen sein. Deshalb stehen die Ampeln für den weltweit größten Luxusgüterkonzern LVMH auf Grün. Die Franzosen waren bereits relativ unbelastet durch das Corona-Jahr 2020 gekommen. 2021 verbuchte der mit vielen Nobelmarken breit aufgestellte Konzern Rekorderlöse und wird wohl auch 2022 weiter wachsen. Impulse kommen vor allem aus den USA und Asien. Die Aktie des soliden Unternehmens ist teuer, aber aussichtsreich.
Weil die aktuelle Inflation stark mit den gestiegenen Preisen für Rohstoffe zusammenhängt, profitiert ein Unternehmen wie die Hamburger Aurubis, das Metalle wie vor allem Kupfer aufbereitet. Zwar steigt auch der Preis für die Kupfererze, die Aurubis extern einkauft, doch das Unternehmen gewinnt viele weitere Metalle, deren gestiegene Preise direkt die eigene Kasse klingeln lassen. Die Folge: ein Rekordergebnis im abgelaufenen Geschäftsjahr. Und auch im neuen Jahr werden die Preise wahrscheinlich weiter steigen.
Den Konsumgütermarkt in seiner ganzen Breite bildet der MSCI Consumer Staples Index ab, in den Anleger über den ETF Xtrackers World Consumer Staples investieren können. Die Top-Werte sind Nestlé, Procter & Gamble, Walmart, Coca-Cola und PepsiCo. Sie alle können der Inflation relativ gelassen entgegensehen.
Attraktive Banken. Steigende Inflation beantworten Notenbanken mit steigenden Zinsen. Die US-Zentralbank etwa hat für 2022 einen ersten Zinsschritt angekündigt. Auch die Bank of England steht kurz davor, während sich die EZB noch in Zurückhaltung übt. Das ist gut für die Banken und das Zinsgeschäft, in dem sie so wieder Zuwächse erzielen können. Für den Sektor spricht auch, dass er besser durch die Corona-Krise gekommen ist als erwartet. Das zeigte der jüngste Stresstest der EZB für die größten EU-Banken aus dem letzten Sommer. Wichtigstes Ergebnis: Die knapp 90 untersuchten Institute würden eine weitere heftige Krise überstehen, ohne in die Knie zu gehen. Positiv auch, dass die Quote fauler Kredite in den Büchern der Banken laut den letzten öffentlichen EZB-Daten von der Mitte des Jahres mit 2,3 Prozent sogar unter dem Wert zu Beginn der Corona-Krise lag.
Dass die EZB und andere europäische Notenbanken seit Herbst 2021 nicht mehr verbieten, Dividenden zu zahlen, macht den Bankensektor für Investoren sehr interessant. Denn viele Häuser wollen das angesammelte Kapital noch ausschütten. Das gilt beispielsweise für die niederländische ING. Sie hat im Oktober ein erstes Aktienrückkaufprogramm in Höhe von 1,7 Milliarden Euro gestartet. Weitere dürften 2022 folgen. Dazu kommt die reguläre Dividende. Dank deutlich geringerer Kreditausfälle hat sich der Gewinn bis Oktober 2021 mehr als verdoppelt. Im neuen Jahr müssen Kunden der Direktbank Diba erstmals Gebühren für bis dato kostenlose Konten zahlen. Das sind für Bank und Anleger insgesamt gute Aussichten.
Auch die größte nordeuropäische Universalbank Nordea steht mehr als solide da. Sie schnitt beim Stresstest unter allen Instituten mit am besten ab, würde selbst im schlimmsten Fall noch eine Kernkapitalquote von sehr guten 13 Prozent aufweisen. Die Bank profitiert von einer stabilen Konjunkturentwicklung im skandinavischen Raum und schüttet die angesammelten Gewinne via Aktienrückkäufe und Dividenden aus.
Davon, dass die Notenbank in London die Zinsen bald anheben will, profitieren britische Institute wie die NatWest (früher Royal Bank of Scotland). Die größte britische Geschäftsbank hat nach einem schwierigen Jahr 2020 ein starkes Comeback hingelegt und plant hohe Ausschüttungen. Der Bank könnte zudem ein Post-Brexit-Aufschwung in Großbritannien die Bücher für 2022 füllen.
JP Morgan Chase ist mit einer Bilanzsumme von 3,3 Billionen Euro die größte US-Bank und laut dem internationalen Finanzstabilitätsrat zudem die systemrelevanteste der Welt. Entsprechend kapitalstark muss sie sich ausstatten. Für die New Yorker ist das angesichts der Umsatz- und Gewinnentwicklung kein Problem, und sie präsentierte auch 2021 starke Ergebnisse. Gute Aussichten für 2022: Die Bank profitiert vom Anstieg der Zinsen in den USA.
Als Europäischer Banken-Fonds kommt der Lyxor Euro Stoxx Banks ins Spiel. Der ETF setzt auf große sowie kleine und aussichtsreiche Geldhäuser in Europa, etwa in Spanien und Frankreich. Er bildet so die europäische Bankenkonjunktur ab und eignet sich als eine Art Anti-Inflations-Instrument.
CHINA
In China ist Inflation nicht das Problem. Stattdessen hat die Corona-Krise mit ihrer Störung von Lieferketten, Rohstoffengpässen sowie neuen Regularien der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt zugesetzt. Das Wirtschaftswachstum sank im dritten Quartal deutlich und liegt nun unter fünf Prozent. Das nimmt die politische Führung um Staatschef Xi Jinping billigend in Kauf. Sie will gegen die wachsende Vermögenskonzentration im Land vorgehen und große Konzerne samt deren Eigentümer strenger kontrollieren. Zudem macht sie regulatorisch gegen den Immobiliensektor Front. Das kommt bei der Bevölkerung gut an und stärkt Xi den Rücken, der sich 2022 zur Wiederwahl stellt.
Doch zugleich wird die KP das exportorientierte Wirtschaftsmodell nicht gefährden und weiter auf Wachstum setzen. Zu starke Einschnitte wird es bei den führenden Unternehmen deshalb kaum geben, auch wenn diese Furcht dem chinesischen Aktienmarkt zuletzt stark zusetzte. Für gebeutelte chinesische Aktien könnte 2022 also ein Wendejahr werden, auch wenn diese These spekulativ bleiben muss.
Besonders der Onlinekonzern Alibaba leidet unter den Auflagen. Firmenchef Jack Ma wurde von Xi öffentlich herabgewürdigt. Dennoch bleibt der Techriese von großer Relevanz, soll etwa helfen, im Zuge von Sicherheitsstreits mit den USA eigene Cloud-Serverlösungen schneller voranzubringen. Die Aktie hat 2021 deutlich verloren. Das Unternehmen schreibt aber weiter klar schwarze Zahlen und ist finanziell gut aufgestellt.
Das gilt auch für den mit Internettechnologien, Automatisierung und Mobilität agierenden Mischkonzern Baidu. Das Unternehmen ist in wichtigen Zukunftsthemen präsent und für Xis Politik letztlich unverzichtbar. Um davon zu profitieren, wenn die chinesische Wirtschaft sich auf breiter Front erholt, ist der China Large Caps ETF von iShares geeignet. Er folgt dem FTSE-Index der 50 größten chinesischen Unternehmen. Neben Alibaba und Baidu zählen dazu auch das vielversprechende Mobilfunk- und Internetkonglomerat Tencent, die China Construction Bank, Onlinehändler JB und Pharmaspezialist Wuxi.