Das Thema Inflation erhitzt weiter die Gemüter. Auch wenn viele Ökonomen darin noch ein vorübergehendes Phänomen sehen, zeichnet sich zumindest bis zum Jahresende eine weiterer Anstieg ab. Mit 3,8 Prozent lag die Teuerungsrate in Deutschland im Juli bereits auf einem Niveau wie zuletzt im Dezember 1993 (4,3 Prozent). Angetrieben wird sie insbesondere von Sonder- und Basiseffekten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, aber auch von höheren Rohstoff- und Energiepreisen.
Mit einem weiteren Anstieg der Inflationsrate rechnen auch die im Ökonomen-Barometer von €uro am Sonntag befragten Volkswirte - mit bis zu vier Prozent bis zum Jahresende, teilweise sogar darüber hinaus. Auch im kommenden Jahr soll sie über dem Zielwert der Europäischen Zentralbank von zwei Prozent liegen. Für 90 Prozent der befragten Ökonomen steht darüber hinaus fest, dass diese Entwicklung die Reallöhne im Jahr 2021 schrumpfen lässt. Käme es so, müssten die Arbeitnehmer erstmals seit einem Jahrzehnt reale Kaufkraftverluste hinnehmen. Die Prognosen für den Tariflohnanstieg 2021 liegen bei rund 1,6 Prozent.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi will das nicht hinnehmen. "Wir brauchen gerade wegen der anziehenden Preise kräftige Lohnsteigerungen", fordern die Arbeitnehmervertreter. Kaufkraftverluste der Beschäftigten seien jedenfalls nicht akzeptabel. 55 Prozent der im Ökonomen-Barometer befragten Volkswirte halten derartige Forderungen für nicht gerechtfertigt, immerhin 39 Prozent befürworten sie.
Wie damals in den Siebzigern
Zu kräftige Lohnanstiege könnten jedenfalls eine sogenannte Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen, also einen wechselseitigen Aufschaukelungseffekt aus Lohn- und Preiserhöhungen, der einen längeren Inflationsprozess auslöst, wie es beispielsweise in den 70er- und 80er-Jahren in der Bundesrepublik zu beobachten war. Ob es tatsächlich so kommt, darüber sind die Ökonomen geteilter Meinung. Eine leichte Mehrheit von 55 Prozent hält eine Lohn-Preis-Spirale für eher oder sehr unwahrscheinlich. Immerhin 45 Prozent halten sie für eher oder sehr wahrscheinlich.
"Auch wenn eine Lohn-Preis-Spirale aus heutiger Sicht wenig wahrscheinlich ist, das Risiko ist da", warnt beispielsweise Volker Nitsch von der TU Darmstadt. Sollte allerdings der Inflationsdruck im kommenden Jahr nachlassen, wie es viele Experten erwarten, sinkt auch das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale.
VP-Bank-Chefökonom Thomas Gitzel verweist mit Blick auf die Tarifforderungen darauf, dass 2020 insbesondere die Energiepreise noch stark zurückgegangen waren. Davon hätten auch Arbeitnehmer profitiert. Allein wegen der aktuellen Reallohnrückgänge könne man deshalb noch keinen Inflationsausgleich fordern.