May erklärte, sie wolle den Austritt aus der EU nicht vor Jahresende beantragen. In der nahen Zukunft werde sich nichts an den Handelsvereinbarungen mit der Europäischen Union (EU) ändern. Zugleich betonte die Politikerin, sie habe nach dem Brexit-Votum kein Mandat dafür, die Freizügigkeit von Menschen aus der EU in Großbritannien zu akzeptieren. Die Zuwanderung von EU-Ausländern war ein Hauptargument der Brexit-Befürworter.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere prominente EU-Politiker haben allerdings bereits klargestellt, dass Großbritannien künftig nur dann in den Genuss der Vorteile des EU-Binnenmarkts kommen wird, wenn es auch die Freizügigkeit von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital weiter akzeptiert. Die Konservativen wählen im September ihren neuen Parteichef, der dann auch das Amt des Premierministers übernimmt.
MAY - "REGIERUNGSARBEIT IST KEIN SPIEL"
Ihren mutmaßlichen Hauptkonkurrenten Johnson attackierte May unverhohlen und warf ihm seine privilegierte Herkunft vor: "Wenn man aus der Arbeiterklasse kommt, ist das Leben viel härter als viele in der Politik sich das vorstellen können", schrieb die Politikerin in der "Times". Nicht jeder im Parlament verstehe dies. "Und einigen muss man erklären, dass das Regieren kein Spiel ist, sondern ein ernsthaftes Geschäft." May spielte damit auf Johnsons Herkunft an. Sowohl Johnson als auch Cameron besuchten als Kinder Großbritanniens exklusivste Privatschule in Eton und kennen sich von der Elite-Universität Oxford. May selbst studierte dort Geographie, besuchte zuvor aber eine staatliche Schule. Sie ist die Tochter eines anglikanischen Geistlichen.
Kritiker hatten Johnson vorgeworfen, sich mit seinem Kampf für den Brexit verzockt zu haben. Eigentlich habe er nicht den EU-Austritt angestrebt, sondern mit der Kampagne nur sein Profil schärfen und seinen Aufstieg in der Partei vorantreiben wollen, mutmaßen sie.
Einer Umfrage zufolge kann May auf die Unterstützung von 55 Prozent der Konservativen zählen, Johnson hat dagegen nur 38 Prozent der Parteimitglieder hinter sich. Außerdem haben mehrere weitere Tory-Politiker ihre Kandidatur bekanntgegeben, darunter Justizminister Michael Gove, ein vehementer Brexit-Befürworter, der ursprünglich Johnson unterstützen wollte. Seine Kandidatur dürfte nach Einschätzung von Experten Johnsons Chancen schmälern. Er sei "schweren Herzens zu dem Schluss gekommen, dass Boris nicht das Führungsgeschick und die Teamfähigkeit für die vor uns liegende Aufgabe hat", sagte er im "Spectator".
May versprach, sie wolle das gespaltene Land nach dem knapp ausgegangenen Brexit-Votum heilen. Sie wolle Großbritannien zu einem Ort machen, wo jeder eine Chance habe. Dazu müssten sich Wirtschaft und Gesellschaft aber ändern. "Wir glauben an den Kapitalismus und die freien Märkte, weil die Geschichte beweist, dass dies den Menschen die größten Aufstiegsmöglichkeiten gibt", schrieb die Innenministerin. "Aber wo der Kapitalismus nicht allen einen Chance bietet, wo er die Unterstützung der Öffentlichkeit verliert, wo die Macht schwerwiegend missbraucht wird, da müssen wir ihn reformieren." Viele Briten schätzen die seit sechs Jahren amtierende Ministerin für ihren Umgang mit Fragen der inneren Sicherheit.