In diesen Stunden schließen russische Panzer die ukrainische Hauptstadt Kiew ein, detonieren Raketen und Granaten, sterben Soldaten und Zivilisten. Putins Angriff hat die europäische Sicherheitsarchitektur hinweggefegt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat deshalb 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr versprochen. Ein einmaliger Vorgang.
Kurz danach machten die Aktien vieler einschlägiger Rüstungshersteller einen Satz, darunter deutsche Unternehmen wie Rheinmetall, Hensoldt oder Heckler & Koch. Rüstungskonzerne, das wird schon jetzt deutlich, werden zu den wenigen Gewinnern des Krieges in Europa zählen.
Wer als Anlegerin oder Anleger davon profitieren möchte, steht vor einer moralischen Frage: Ist es verwerflich, in Kriegszeiten Aktien solcher Unternehmen zu kaufen?
Pro: Investitionen in Rüstungskonzerne züchten eine schmutzige Industrie
Wer Rüstungsaktien kauft, macht sich aus selbstsüchtiger Profitgier zum Komplizen von Krieg, Leid und Zerstörung. Die Waffenhersteller verdienen eben nicht nur daran, dass neueste Raketen und Panzer Gegner abschrecken, sondern auch daran, dass sie benutzt werden. Der Krieg in der Ukraine zeigt zwar, dass man Frieden nicht ohne Waffen schaffen kann. Genauso wenig wird man aber Frieden schaffen, in dem man immer mehr Waffen produziert.
Rüstungskonzerne sind nicht vergleichbar mit Telefonanbietern, Windkraftbetreibern oder Stromproduzenten. Das sind alles Produkte, die zivil benutzt und in einer modernen Gesellschaft gebraucht werden. Nun mag so mancher einwenden, dass auch Waffen in dieser neuen, bösen Putin-Welt zum Schutz der eigenen Grenzen gebraucht werden. Das stimmt. Einerseits.
Andererseits produzieren Rüstungskonzerne gemeinhin nicht nur Waffen zum Schutz westlicher Demokratien. Sie liefern oft auch in Krisengebiete, in Autokratien, in Bürgerkriegsländer. Bei Rüstungskonzernen gilt mehr als in anderen Bereichen, dass Gewinne privatisiert und die Kosten sozialisiert werden. Konkreter formuliert: Am Verkauf von Bomben lässt sich prächtig verdienen; zerstören diese aber eine Stadt, töten und verstümmeln Einwohner, so müssen diese die Folgen allein tragen.
Aktien von Rüstungskonzernen schwanken stark, zeigt ein Blick in die Historie. Viele schleppen einen Rattenschwanz an Skandalen hinter sich her: Rheinmetall einigte sich 2019 auf einen Millionen-Vergleich im Zusammenhang mit einem Bestechungsskandal um Panzerlieferungen nach Griechenland. Zudem gibt es Vorwürfe, dass Bomben von Rheinmetall im Jemen-Krieg zum Einsatz kommen; Menschenrechtler werfen dem Konzern Beihilfe zu Kriegsverbrechen vor. Auch die schwäbische Rüstungsfirma Heckler & Koch stand schon mehrmals unter Korruptionsverdacht. Unter anderem sollen Gewehre illegal in die Hände mexikanischer Drogenkartelle gelangt sein.Obendrein scheint die Qualität der gelieferten Produkte nicht immer einwandfrei zu sein: Die Bestellung des Sturmgewehrs G36 für die Bundeswehr, made by Heckler & Koch, geriet zur Farce.
Wie gefährlich eine zu mächtige Rüstungsindustrie sein kann, sieht man in den USA: Die Rüstungslobby wurde dort so lange künstlich hochgezüchtet, dass sie zu einem Staat im Staate geworden ist. Folge dieser sehr besonderen Erfolgsgeschichte ist, dass jedes Jahr Tausende Menschen durch Schusswaffen sterben.
Solche Zustände, solche Abhängigkeiten könnten auch in Deutschland entstehen, wenn künftig die Rüstungsindustrie ohne Hemmungen und Kontrolle hofiert wird. Nebenbei bemerkt: Wer unbedingt an der Aufrüstung teilhaben will, tut es in den meisten Fällen bereits. Der Weltindex MSCI World enthält die Aktien vieler Rüstungshersteller, wenn auch nur zu kleinen Teilen.
Felix Petruschke
Contra: Eine wehrhafte, abschreckende Verteidigung von Demokratien ist unabdingbar
Russlands Angriffskrieg in der Ukraine, den davor nur wenige für möglich gehalten haben, macht klar: Demokratien müssen über eine Landesverteidigung verfügen, die ausreichend stark ist, um potenzielle Aggressoren einzuschüchtern.
In ihrer Rücksichtslosigkeit sehen autoritäre Regierungen und Diktaturen Demokratien als schwach, zögerlich und wenig wehrhaft an - der Angriff auf die Ukraine hat das nun auch in Europa, zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, deutlich gemacht. Das ist ein Weckruf zur Verteidigung von Demokratien, vor allem in Ländern wie den Baltischen Staaten, Polen, Ungarn, Rumänien, die inzwischen Teil des westlichen Verteidigungsbündnisses sind. Die Menschen in diesen Ländern haben in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg Diktaturen erlebt. Dass sich diese Menschen jetzt eine starke Landesverteidigung wünschen, liegt auf der Hand.
Besorgniserregend ist deshalb der desolate Zustand der Bundeswehr, obwohl ihre Ausrüster, also die Rüstungsunternehmen, hierzulande technologisch weltweit in der ersten Reihe stehen. Das Umdenken der Bundesregierung, ausgelöst durch den Krieg in der Ukraine ist deshalb ein überfälliger, wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer wehrhaften Demokratie in Deutschland. Dass die Geschäfte von Rüstungsunternehmen von den Parlamenten demokratischer Staaten kontrolliert und dass die Unternehmen bei Verstößen deutlich sanktioniert werden müssen, ist genauso unabdingbar.
Der von Robert Havemann und Pfarrer Rainer Eppelmann am 25. April 1982 in Ost-Berlin verfasste Appell "Frieden schaffen ohne Waffen" hat bei der Friedlichen Revolution im Jahr 1989 zur Wiedervereinigung Deutschlands funktioniert. Es war ein historischer, für die Menschen auf beiden Seiten der Mauer, sehr wertvoller Glücksfall - jedoch keine Selbstverständlichkeit. Mit dem Krieg in der Ukraine ist das eine bittere Erkenntnis für alle Demokraten geworden, vor allem hier in Europa.
Klaus Schachinger