Herr Beck, die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen ist von ihrem Tief bei 0,05 Prozent auf 1 Prozent in der Spitze gestiegen. Dennoch ist die Rendite im historischen Vergleich noch extrem niedrig. War die Aufregung über diesen Anstieg übertrieben?
Andreas Beck: Für die Investoren, die bei 0,05 eingestiegen sind, war die Verzwanzigfachung der Rendite in so kurzer Zeit natürlich katastrophal. Die haben jetzt die Verluste in ihrer Bilanz stehen. Es dürfte aber vor allem die Europäische Zentralbank gewesen sein, die gekauft hat. Je mehr sich die EZB am Anleihemarkt engagiert hat und je irrationaler die Renditen geworden sind, desto mehr haben sich private Investoren zurückgezogen.
Stehen bei Euro-Staatsanleihen Renditen und Risiko noch in einem vernünftigen Verhältnis?
Selbst Portugal kann sich bei kurzen Laufzeiten zu negativen Zinsen verschulden. Der Marktmechanismus ist durch das Handeln der EZB schlicht außer Kraft gesetzt.
Übertreibt es die EZB mit ihren Anleihekäufen?
Die Zielstellung der EZB ist durchaus nachvollziehbar. Die Euro-Staaten brauchen einen gewissen finanziellen Spielraum, um Reformen durchzusetzen, was bei den meisten Ländern der Eurozone nötig ist. Diesen Spielraum verschafft die EZB ihnen. Das Problem ist, dass die EZB offenbar keine Plan B hat. Niemand kann sagen, was passiert, wenn die Regierungen trotzdem keine Reformen machen. Danach sieht es bisher aus. Die mit der gegenwärtigen Geldpolitik verbundenen Kosten sind aber gewaltig.
Worin bestehen denn die Kosten der EZB-Politik?
Die EZB drückt den Zins künstlich auf null. Das läuft letztlich auf eine Enteignung der Gläubiger hinaus. Die wichtigsten Gläubiger in Europa sind die Menschen mit einem Anspruch auf Altersvorsorge. Die Politik der EZB ist ein Frontalangriff auf das Altersvorsorge-System der europäischen Bürger. Für ein paar Jahre ist das akzeptabel, aber nicht auf Dauer, weil sonst der Schaden zu groß wird. Wer eine Kapitallebensversicherung hat, konnte dabei zusehen, wie der Wert seiner Police immer mehr gesunken ist. Die Ablaufleistungen sind deutlich zurückgegangen. Das ist die Zeche, die der Bürger für die Politik der EZB zahlen muss. Die Notenbank sollte nicht riskieren, dass die Altersvorsorge-Systeme zusammenbrechen. Sie kann deshalb die gegenwärtige Politik nicht unendlich lange beibehalten. Das Problem ist, dass die Staaten einfach nicht im notwendigen Maße reformieren.
Wann wird die EZB auf eine andere Politik umschwenken?
Die gegenwärtige EZB-Politik wäre undenkbar, wenn nicht die amerikanische, die japanische und die britische Notenbank eine ähnliche Politik betreiben würden. Machte das nur die EZB, würden die Gläubiger den Tabubruch, als Notenbank Staatsanleihen zu kaufen, nicht tolerieren. Wenn eine der vier großen Notenbanken aus dem "Konzert" aussteigt, werden die anderen Zentralbanken Probleme bekommen, weiterzumachen. Der US-Notenbank Fed ist zuzutrauen, dass sie aussteigen. Dann wird auch die EZB umschwenken.
Warum wird die Fed aussteigen?
Die Amerikaner sind sehr konsequent, wenn es um den Schutz von Eigentum geht. Deshalb kann man davon ausgehen, dass die Fed eine Politik, die auf die Enteignung der Gläubiger hinausläuft, nicht zu lange betreiben werden.
Die Fed hat ja ihr QE-Programm bereits beendet, die Rendite zehnjähriger US-Treasuries liegt bei 2,3
Prozent. Zeigt das, was in der Eurozone passiert, sobald die EZB mit dem Ausstieg beginnt?
Ja, schon der massive Anstieg der Rendite bei den zehnjährigen Bundesanleihen hat gezeigt, wie nervös der Markt reagiert. Dabei wurde nur darüber diskutiert, ob die EZB ihr Anleihen-Kaufprogramm eventuell vorzeitig beenden könnte.
Sollte man als Anleger im gegenwärtigen Umfeld überhaupt noch Anleihen kaufen?
Man kommt als Anleger um ein gemischtes Portfolio aus Aktien und Anleihen nicht herum. Und Aktien sind risikoreicher als Anleihen. Aber es gibt keinen risikolosen Zins mehr. Das schlägt auf alle Anlageklassen durch. Auch eine Aktie wird nach dem Schema "risikoloser Zins plus Risikoprämie" bewertet. Das Credo, weltweit breit gestreut in eine vernünftige Mischung aus Aktien und Anleihen und vielleicht einen Teil Immobilien zu investieren, gilt immer.
Welche Anleihen kann man in der momentanen Situation empfehlen?
Man muss sich bewusst sein, dass die EZB eine immense Macht hat. Sie ist weder demokratisch noch juristisch begrenzt. Diese Macht wird die EZB nutzen. Insofern wird es keinen radikalen Zusammenbruch der Märkte geben. Außerdem gibt es in puncto Sicherheit keinen großen Unterschied mehr zwischen italienischen, französischen oder deutschen Staatsanleihen. Hier gibt es eine Angleichung der Renditen, weil am Ende doch alle für alle haften und die EZB die treibende Kraft ist. Mit einem gemischten Portfolio aus Unternehmensanleihen, europäischen Staatsanleihen, Schwellenländeranleihen, US-Bonds und einige inflationsindexierte Anleihen kommt man auf 1,5 bis zwei Prozent Rendite. Das spiegelt das Zinsänderungsrisiko und das Ausfallrisiko einigermaßen wider.