Andreas Beck: Wir haben seit vier bis fünf Jahren in einigen Städten einen extremen Boom und gleichzeitig eine Ausdifferenzierung am Wohnimmobilienmarkt. Das heißt, dass sich der Immobilienmarkt sehr unterschiedlich entwickelt. Schon bei Entfernungen von 20 Kilometer kann es große Unterschiede geben. Das Thema lässt sich am besten verstehen, wenn man es auf Basis der demografischen Daten interpretiert.
Was heißt das konkret?
Beck: Es gibt verschiedene Einflussfaktoren für die Immobilienpreise, zum Beispiel die Zinsen und die Bautätigkeit. Aber der wesentliche Treiber ist die Nachfrage nach Wohnfläche - und diese Nachfrage ist sehr stark durch die Demografie determiniert. Nicht nur durch die Demografie im Sinne "Wieviel Menschen leben in Deutschland", sondern auch durch die Altersstruktur. Diese hat großen Einfluss, weil unterschiedliche Altersklassen sehr unterschiedlichen Wohnraum beanspruchen. Man spricht in diesem Zusammenhang vom Remanenzeffekt. Nach klassischem Muster gründet man im Alter von rund 30 Jahren eine Familie, leistet sich ein Eigenheim, bekommt zwei bis drei Kinder, baut aus oder um. Kaum ist das Haus endgültig fertig, ziehen die Kinder aus. Das führt dazu, dass in vielen Regionen über die Hälfte aller familiengerechten, großen Einfamilienhäuser nur noch von ein oder zwei relativ alten Personen bewohnt wird. Andererseits erhöhen die Kinder der geburtenstarken Jahrgänge seit einigen Jahren die Nachfrage nach Wohnfläche. Sie sind in dem Alter, in dem sie von zu Hause ausziehen und eigene Wohnungen suchen, insbesondere in Städten mit Universitäten, Fachhochschulen und anderen guten Ausbildungsmöglichkeiten. Auf Grund des Remanenzeffekts nimmt das Angebot an Wohnraum also nur geringfügig zu und trifft auf die wachsende Nachfrage der Kindergeneration der geburtenstarken Jahrgänge, was zur momentanen Knappheit am Wohnimmobilienmarkt führt.
Dann spielen also die derzeit extrem niedrigen Zinsen für die Nachfrage nach Immobilien keine große Rolle?
Beck: Es ist nicht zu leugnen, dass die Zinsen die Immobiliennachfrage ebenfalls beeinflussen. Aber dass es in vielen Städten im Moment einen Mangel an Wohnraum gibt, ist eindeutig demografisch bedingt. Gleichzeitig gilt: Da wo es keine Mieter gibt, nützen auch die niedrigsten Zinsen nichts. Man wird als Hauseigentümer trotzdem keine Nutzer haben. Das lässt sich in Regionen feststellen, in denen es wegen Binnenmigration bereits zu einem Nachfragerückgang bei Wohnflächen gekommen ist. Der Wohnimmobilienmarkt ist sehr unflexibel. In Phasen eines Nachfrageanstiegs reagiert das Angebot sehr langsam. Umgekehrt bedeutet das, dass der Markt bei einem Nachfragerückgang, wie heute schon in einigen Regionen zu beobachten, zusammenbricht. Die Folge ist Leerstand - und der Wert einer leerstehenden Immobilie ist kleiner als null, weil sie nur Kosten verursacht.
Heißt das, dass Investoren, die auf der Suche nach Sicherheit in Immobilien investieren, unter Umständen sehr hohe Risiken eingehen?
Beck: Ja, die üblichen Argumente von "Sicherheit" und "Betongold" muss man kritisch hinterfragen. Betrachtet man den Immobilienmarkt aus dem Blickwinkel der Wohnflächennachfrage, landet man unweigerlich bei den demografischen Strukturen, wie etwa dem Remanenzeffekt. Dann wird sehr schnell klar, dass die Entwicklung kippen wird. Die Geburtenrate in Deutschland liegt bei 1,4 Kindern pro Frau, um die Bevölkerungszahl aufrecht zu erhalten wäre eine Rate von 2,1 notwendig. Das bedeutet rechnerisch pro Generation ein Drittel weniger Wohnraumbedarf. Es ist einleuchtend, dass das am Immobilienmarkt nicht spurlos vorübergehen wird.
Wann wird die Entwicklung voraussichtlich kippen?
Beck: Die Daten deuten darauf hin, dass der gegenwärtige positive Effekt auf die Immobilienpreise spätestens im Jahr 2025 kippen wird. Dann drängt immens viel Wohnfläche auf den Markt, während die Kinder der geburtenstarken Jahrgänge längst mit Wohnraum versorgt sein werden. Die Bevölkerungszahl wird relativ linear sinken, es entsteht kein Bedarfsdruck mehr.
Auf Seite 2: Welche Empfehlungen lassen sich aus diesem Ausblick ableiten?
Welche Empfehlungen lassen sich aus diesem Ausblick ableiten?
Beck: Viele Menschen erben derzeit ihr Elternhaus, oft in einer Region, in der sie gar nicht mehr leben. Will man es nicht langfristig behalten, etwa um es später selbst zu bewohnen, lautet die Empfehlung, bald zu verkaufen. Denn heute gibt es in Deutschland noch funktionierende Immobilienmärkte. In zehn Jahren wird das in vielen Regionen nicht mehr der Fall sein. Viele Häuser werden dann unverkäuflich sein. In einigen Gegenden, insbesondere in Ostdeutschland, ist das heute schon Realität.
Gilt das irgendwann auch für größere Städte?
Beck: In Großstädten und regionalen Zentren sind die Immobilienpreise häufig stabil oder entwickeln sich sogar weiter positiv, selbst wenn eine bestimmte Bevölkerungsdichte unterschritten wird. In anderen Ländern, beispielsweise in Frankreich und Italien, ist das ebenfalls zu beobachten. Das heißt, dass sich die Ausdifferenzierung am Immobilienmarkt, die bereits begonnen hat, wird sich voraussichtlich noch deutlich verstärken.
Würde es sich unter langfristigen Gesichtspunkten noch lohnen, beispielsweise in München noch eine Wohnimmobilie zu kaufen?
Beck: In München wird es sicherlich nie Leerstand in großem Stil geben. Ein Problem könnte aber werden, dass derzeit in großem Umfang neue Wohnungen gebaut werden, die überwiegend vom gleichen Typ sind - nämlich für Leute, die sich hohe Mieten leisten können. So viele Menschen mit entsprechend hohen Einkommen gibt es vermutlich gar nicht. Die jetzigen Preise erfordern so hohe Mieten, um sich zu rechnen, dass das kaum gutgehen kann.
Kann Zuwanderung die Trends an den deutschen Wohnungsmärkten nicht stark beeinflussen?
Beck: Natürlich hat Zuwanderung einen gewissen Effekt. Aber sie kann den Trend nicht umkehren. Das größte Problem hierbei ist, dass die klassischen Länder, aus denen die Menschen bisher nach Deutschland kamen, etwa Spanien, Portugal oder Polen, noch niedrigere Geburtenraten aufweisen als Deutschland. Deshalb wird es von dort künftig keinen Zuzugsdruck mehr geben. Einwanderung aus afrikanischen Ländern werden wir dagegen weiterhin haben. Das wird aber sicherlich nicht zu einer Stabilisierung des deutschen Immobilienmarkts führen.
Eine bessere Familienpolitik könnte versuchen, eine Steigerung der Geburtenrate zu erreichen.
Beck: Ja, man geht davon aus, dass sie von 1,4 wieder auf 1,6 Kinder steigen könnte. Aber eine Rate von 2,1 ist unwahrscheinlich - und selbst dann würden die Auswirkungen auf den Immobilienmarkt überaus lange auf sich warten lassen. Demografische Änderungen sind nur auf sehr lange Sicht möglich. Deshalb müsste die Politik entsprechend frühzeitig reagieren, was sie eindeutig verschlafen hat.
Auf Seite 3: Taugen Immobilien für den Vermögensaufbau?
Viele Bundesbürger halten den Erwerb einer Immobilie für das beste Mittel, ein Vermögen aufzubauen. Liegen die damit falsch?
Beck: Da muss man unterscheiden. Für Eigennutzung Wohnraum anzuschaffen ist eine Frage der Lebensqualität, das muss sich nicht unbedingt rechnen. Aber beim Kauf von Wohnraum zur Vermietung wird oft irrational gedacht. Viele Bürger befürchten, dass der Euro zerbricht und Deutschland Pleite geht, alles sei so unsicher - deshalb kaufen sie Grund und Boden. Da muss man daran erinnern, dass Privateigentum in unserer Gesellschaft etwas sehr fragiles ist. Privateigentum ist ein rechtliches Konstrukt, das eng mit der Stabilität der Gesellschaft verknüpft ist. Wenn ich Angst davor habe, dass unsere Gesellschaft zusammenbricht, sollte ich mir keinesfalls eine Immobilie anschaffen. Die Geschichte zeigt doch hinlänglich: Immer wenn es für einen Staat finanziell eng wurde, wurde als erstes auf die Immobilienbesitzer zugegriffen. Beispiele für zumindest Teilenteignung der Immobilienbesitzer in Deutschland waren die Einführung der Rentenmark in den 1920er-Jahren und der Lastenausgleich nach dem Zweiten Weltkrieg. Worauf kann der Staat am schnellsten zugreifen? Auf Immobilien, die können nicht ins Ausland flüchten.
Wenn dennoch jemand unbedingt sein Geld in eine Immobilie stecken will, worauf sollte er dann das größte Augenmerk legen?
Beck: Er sollte sich genau ansehen, ob sich die Immobilie in einer zukunftssicheren Region befindet, ob es ein diversifiziertes Arbeitsplatzangebot gibt, moderne Industrien. Er sollte auch mal durch die Straße laufen, in der das potenzielle Objekt liegt, und abschätzen, wieviel Häuser in den nächsten zehn Jahren wahrscheinlich auf den Markt kommen. Je mehr es sind, desto unwahrscheinlicher ist, dass er in Zukunft mit einer positiven Preisentwicklung rechnen kann.