DAS NEIN-SZENARIO
Sollten die Griechen am Sonntag gegen die Reformvorschläge der Gläubiger stimmen, dürfte die Regierung in Athen wohl mit gestärkter Brust um neue Gespräche mit den Gläubigern bitten. Der Chefunterhändler von Ministerpräsident Alexis Tsipras unterstrich am Dienstag, dass das Referendum Teil des Verhandlungsprozesses sei und diesen nicht ersetzen solle. An der Position der andern 18 Euro-Staaten, auf Strukturreformen zu bestehen, dürfte das jedoch nichts ändern.
Glaubt man Finanzminister Yanis Varoufakis, ist es nicht die Absicht der Regierung, das Land aus der Euro-Zone zu führen. Er schrieb am 27. Juni in einem Brief an Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem: "Da die EU-Verträge keine Bestimmungen über einen Austritt aus der Währungsunion enthalten, wirft das Referendum vom 06. Juli (Anmerkung der Redaktion: Offiziell ist das Referendum für den 05. Juli angesetzt) weder direkt oder indirekt die Frage nach der Mitgliedschaft Griechenlands in der Währungsunion auf, sondern es ist allein auf die Vorschläge der Institutionen fokussiert."
Von den anderen Euro-Ländern herausdrängen lassen will sich die Regierung auch nicht. So zitierte die Online-Ausgabe des "Daily Telegraph" Varoufakis am Montag mit den Worten: "Die griechische Regierung wird all ihre Rechte nutzen. Wir werden beraten und sicher eine gerichtliche Verfügung beim Gerichtshof der Europäischen Union erwägen. Die EU-Verträge sehen keine Bestimmungen für einen Euro-Austritt vor und wir weigern uns, es zu akzeptieren. Unsere Mitgliedschaft ist nicht verhandelbar."
Ob das tatsächlich die Position der Tsipras-Regierung ist, bleibt dahingestellt. "Es gibt schon ein Team im Amt des Ministerpräsidenten, mit Personal vom Rechnungshof, das zurzeit an der Drachme arbeitet", sagte der Abgeordnete Haris Theoharis von der Zentrumspartei To Potami am Dienstag im Parlament. Tsipras reagierte verärgert und sprach von "Hirngespinsten".
Fakt ist, dass die Griechen in dem Fall ohne Geldquellen sind und vor enormen Zahlungsverpflichtungen stehen. Die Gläubiger geben sich dagegen entspannt. So äußerte sich der EU-Kommissar für Finanzstabilität, Jonathan Hill, zuversichtlich, dass das EU-Finanzsystem jede Entwicklungen in Griechenland meistern werde. Und der deutsche Finanzstaatssekretär Thomas Steffen erklärte: "Die Risiken aus der jüngsten Entwicklung in Griechenland sind bedeutend für Griechenland, für das deutsche Finanzsystem bestehen jedoch kaum mehr bedeutsame Ansteckungskanäle." Stimmt das, hat die griechische Regierung kaum Druckmittel in der Hand.
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DAS JA-SZENARIO
Sollten sich die Griechen für eine Fortsetzung der Spar- und Reformpolitik aussprechen, werden sie wohl in absehbarer Zeit ein neues Parlament wählen müssen. "Wenn das griechische Volk mit den Austeritätsplänen bis in Ewigkeit weitermachen will - was uns unmöglich machen würde, die Hand zu heben - werden wir das respektieren, aber wir werden nicht diejenigen sein, die es umsetzen", sagte Regierungschef Tsipras am Montag. Er will diesen Weg nicht gehen: "Wenn das Volk einen gedemütigten Ministerpräsidenten will, gibt es da draußen einige. Aber ich werde es nicht sein." Tsipras hat sein Schicksal mit dem Votum verknüpft - ist er konsequent, müsste er bei einem "Ja" gehen.
Ein Blick ins Athener Parlament zeigt, dass in der jetzigen Zusammensetzung eine Regierung gegen Tsipras' Syriza-Partei kaum zu bilden wäre. Sie kommt auf 149 von 300 Mandaten, liegt also nur zwei Sitze unter der Mehrheit. Um gegen Syriza zu regieren, müssten sich alle anderen - von Kommunisten bis zu Faschisten - zusammentun. Deutlich wahrscheinlicher wären also Neuwahlen.
Wahlen kosten allerdings weitere Zeit. Bis dahin wäre ein Expertenkabinett denkbar, das den Volkswillen umsetzt und die Reformvereinbarung mit den Geldgebern abschließt. Eine Technokratenregierung gab es zuletzt vom Mai bis zu den Wahlen im Juni 2012. Davor war der Ökonom Loukas Papadimos ein halbes Jahr lang Chef einer Übergangregierung mit Ministern der sozialdemokratischen Pasok und der konservativen Nea Dimokratia.
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ÜBERRASCHUNGEN?
Darüber hinaus gibt es etliche weitere Richtungen, die das Land einschlagen könnte. So könnte Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos vor Sonntag zurücktreten - und damit das Referendum stoppen bis ein Nachfolger gewählt ist. Dazu braucht es eine Drei-Fünftel-Mehrheit im Parlament, die Syriza nicht hat. Die Folge wären Neuwahlen. Der frühere konservative Politiker hält sich in der Regel aus der Politik heraus, hatte der Zeitung "Real News" aber diesen Monat gesagt, er sei nicht bereit, Präsident zu bleiben, wenn das Land den Euro verlassen sollte.
Referenden sind außerdem in Griechenland nicht gesetzlich bindend, sondern haben lediglich "konsultativen" Charakter - und bei einer Wahlbeteiligung unter 40 Prozent nicht einmal das.
Bei einem Ja-Votum könnte Pavlopoulos auch die Opposition beauftragen, eine Minderheitsregierung zur Umsetzung der Reformen zu bilden, statt ein Technokratenkabinett zu ernennen.
Reuters