BOERSE-ONLINE.de: Nach ersten Hochrechnungen liegt noch kein Kandidat klar vorn. Bevor Arizona und Pennsylvania nicht ausgezählt sind, wird auch kein klares Ergebnis erwartet. Was bedeutet das für die Börsen?
Dr. Jörg Krämer: Es steht auf Messers Schneide, vermutlich werden wir erst morgen klarer sehen. Die Börsen müssen mit dieser Unsicherheit leben.

Auf Basis vorangegangener Umfragen hätte man von einem klaren Sieg Bidens ausgehen können. Eindeutig ist bis jetzt allerdings nichts. War Biden nicht einnehmend genug, sondern am Ende doch nur "nicht Trump"?
Bidens Wahlkampf lieferte mehr Argumente gegen Trump als für Biden. Deshalb hat Biden weniger Wähler mobilisieren können, als er ursprünglich gehofft hatte. Es gibt keinen Durchmarsch der Demokraten.

Ändern sich Trumps Chancen mit der Neubesetzung im Supreme Court durch die konservative Richterin Amy Coney Barrett, falls das Ergebnis der Präsidentschaftswahl vor Gericht gehen sollte?
So einfach ist das nicht. Schließlich sind die Richter am Obersten Gerichtshof auf Lebenszeit bestellt und recht unabhängig. Sie werden Trump nicht einfach den Sieg zuschanzen.

Präsident Trump zweifelt an der Sicherheit der Briefwahl und befürchtet Wahlfälschung durch die Demokraten. Wie sieht das Worst-Case-Szenario aus, falls Trump die Wahl nicht gewinnt?
Im schlechtesten Fall brauchen die Gerichte lange für ihre Entscheidungen. Das schafft Unsicherheit, was natürlich schlecht ist für die Märkte.

Im Senat liegen die Republikaner vorn. Was bedeutet das für die Regierung, sollte Biden das Rennen machen?
Wer auch immer Präsident wird, hätte keine Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses. Das beschränkt den Gestaltungsspielraum eines neuen Präsidenten. Joe Biden könnte dann beispielsweise nicht seinen "Green Deal" durchbekommen, also den tiefgreifenden Umbau der US-Wirtschaft zugunsten des Klimas.

Falls Biden gewinnt: Wie würden Sie sich wünschen, dass seine erste Amtshandlung in Bezug auf Europa aussehen würde?
Ich würde mir wünschen, dass er die von Trump angedrohten Autozölle vom Tisch nimmt. Das gehört sich nicht unter Verbündeten.

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sagte, dass Deutschland nicht auf einen erneuten Wahlsieg von Präsident Donald Trump eingestellt ist. "Man muss es ehrlich sagen - nein", sagt er im ZDF auf eine entsprechende Frage. "Wenn die Nato nicht vier, sondern acht Jahre infrage gestellt würde, wäre dies etwas ganz anderes." Deutschland müsse dann sehr viel mehr auch in seine Sicherheit investieren. Wie stehen Sie zu dieser Aussage?
Röttgen hat recht. Es wird Zeit, dass die Europäer mehr für ihre Verteidigung tun. So hält sich Deutschland schon seit Jahren nicht an das Versprechen, zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben.

Was bedeuten die Verzögerungen für die milliardenschweren Corona-Konjunkturprogramme in den USA, die eigentlich so rasch wie möglich gestartet werden müssten?
Ich wundere mich immer, wie sehr die Märkte an diese Konjunkturprogramme glauben. Gesundes Wachstum kommt doch nicht von diesen konjunkturellen Strohfeuern. Dass sich die US-Wirtschaft im dritten Quartal so kräftig erholt hat, lag stattdessen daran, dass die Menschen lernen, mit Corona umzugehen.