Aktuell werden im europäischen Energiesektor die notwendigen Ausgangsbedingungen für nachhaltige und signifikante Mehr­renditen geschaffen. Dazu tragen nicht nur die Reformziele der EU und ihrer Mitgliedsländer für den Energiesektor bei, sondern auch ein deutlicher Anstieg der CO2-Preise durch das EU-Emissionshandelssystem (ETS) sowie drastisch sinkende Stromgestehungskosten (LCOE) für Onshore-Wind- und Solarstrom. Die Politik hat sich zu konkreten und langfristigen Zielen bekannt, daher kann sich der Energiesektor auf Investitionen festlegen, um die nationalen und EU-weiten Ziele umzusetzen.

Bisher war stets die Politik die treibende Kraft für Veränderungen am europäischen Energiemarkt, doch die Zeiten der Out-of-Market-Strombeschaffung sind vorüber. Die aktuellen Stromgestehungskosten für Onshore-Wind- und Photovoltaikstrom im spanischen, italienischen, französischen und britischen Stromgroßhandel liegen unter den Terminpreisen, in Deutschland liegen die Kosten unverändert oder gleichauf mit den aktuellen ­Futures-Preisen. Experten gehen davon aus, dass die Kosten weiter fallen werden. Dank effizienter Lieferketten, Skalenerträgen und sinkender Installationskosten werden erneuerbare Energien noch wettbewerbsfähiger - und mit sinkenden Kosten wird sich der Ausbau erneuerbarer Energien in der EU nicht inflationär, sondern deflationär auf die Verbraucherpreise auswirken und zusätzlichen Spielraum für Investitionen in Übertragung und Verteilung schaffen.

Für Anleger ist das Potenzial des europäischen Energiesektors enorm. Auf 1,2 Billionen Euro wird der EU-weite Investitionsbedarf bis 2030 für Kapazitäten zur Erzeugung erneuerbarer Energien sowie für Übertragungs- und Verteilungsnetze geschätzt, der sich auf die Bereiche Kapazität, Stromübertragung sowie Stromverteilung aufteilt. Kapazität: Im Jahr 2017 betrug die installierte Kapazität an Windkraft (Onshore und Offshore) 162 Gigawatt (GW), Solarenergie (Photovoltaik) kam auf 83,5 GW. Bis 2030 soll die Produktion nach Schätzungen der IEA auf 1435 Terawattstunden steigen, was 42 Prozent der Gesamtproduktion entspräche. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die EU die installierte Kapazität bis 2030 auf 608 GW erhöhen. Zu diesem Ergebnis kommt die IRENA, die den Investitionsbedarf in erneuerbare Energieerzeugung auf 65 Milliarden Euro pro Jahr beziffert (650 Milliarden Euro über zehn Jahre).

Stromübertragung: Ohne adäquate und zuverlässige Übertragungssysteme sind erneuerbare Energieanlagen bei hoher Produktion zunehmend eingeschränkt oder aber entwickeln sich nicht über die Planungsphase hinaus, da ein Ausbau nicht möglich ist. In einem Bericht an die EU-Kommission ermittelte Navigant einen Investitionsaufwand für die Übertragungsinfrastruktur von 188 Milliarden Euro für den Zeitraum von 2017 bis 2030. Dies entspricht 63 Prozent des EU-weiten Infrastrukturbedarfs im Energiesektor (Strom, Gas, Öl, Flüssigerdgas und Lagerung).

Stromverteilung: Die Stromnetze müssen für höhere Belastung ausgebaut werden. Der Investitionsbedarf in den Verteilernetzen ist deutlich größer als in der Übertragung. Geht man von einer konservativen 2 : 1-Skalierung aus, liegt das EU-weite Investitionsvolumen für Stromverteilung bis 2030 bei rund 376 Milliarden Euro.

Strategien für ESG (Umwelt, Gesellschaft, Governance) bieten Anlegern ein praktisches Modell, mit dem sie vielversprechende Unternehmen identifizieren und Risiken bei Unternehmen begrenzen können, deren Geschäftsmodell durch den Wandel bedroht ist. Zu den wichtigsten ESG-Faktoren gehören das Investitionsvolumen in erneuerbare Energien und Netze, der Leistungsausweis eines Unternehmens in der Umsetzung entsprechender Projekte sowie Management- und Aufsichtsgremien, die sich durch Vielfalt, Kompetenz und zukunftsorientierte Planung auszeichnen.

John Miller


Miller ist seit 2018 als Senior ESG Research Analyst bei Calvert Research and Management, Washington D. C., einer Tochter von Eaton Vance Management, Boston, USA, tätig. Calvert ist ein weltweit führendes Unternehmen für verantwortungsbewusstes Investieren mit einem verwalteten Kundenvermögen von 17,8 Milliarden Dollar. Zuvor war Miller unter anderem bei der Federal Energy Regulatory Commission (FERC) tätig.