Josef Neckermann kam 1912 in Würzburg zur Welt. Sein Vater war ein wohlhabender Kohlenhändler, der Großkunden wie die Reichsbahn belieferte, Immobilien besaß und an Zeitungsverlagen beteiligt war. Außerdem hatte er gute Beziehungen zu Wirtschaft und Politik und wurde deshalb der "Rockefeller von Würzburg" genannt. Sohn Josef besuchte in der Barockstadt die Schule, die er mit der Mittleren Reife abschloss. "Zum Abitur hätte es auch gereicht", sagte er in einem Interview mit der "Zeit". "Mathematik, Deutsch und Geschichte waren meine Renommierfächer, in Botanik versagte ich. Aber nach dem Tode meines Vaters musste ich die Schule abbrechen. Ich war der älteste Sohn."

Neckermann, der schon früh eine Leidenschaft für Pferde hegte und eigentlich Kavallerieoffizier hatte werden wollen, machte erst eine Banklehre und trat dann in das väterliche Unternehmen ein, das nach dem frühen Tod des Patriarchen von ­einem Prokuristen geleitet wurde. Mit 22 Jahren übernahm er die Leitung der Firma. Er führte mechanische Rechen­maschinen ein, schaffte die Zugpferde ab und motorisierte den Fuhrpark.

Ein geschickter Deal mit der Luftwaffe verhalf ihm bereits zu einigem Wohlstand: Er lieferte Kohle für den Bau von Fliegerhorsten im Raum Würzburg - pro Horst zehn Lastwagenladungen täglich. Aber Neckermann wollte mehr. Er wollte ein richtiger Unternehmer werden. "Ich wollte etwas Eigenes, etwas ganz Großes." Sein Bruder Walter übernahm den Kohlenhandel, ­Josef ließ sich mit auszahlen, um mit den 200 000 Reichsmark einen eigenen Betrieb zu kaufen.

Es war die Zeit, als nach der Macht­übernahme der Nazis der Terror der SA gegen die jüdischen Geschäfte begann. Im September 1935 wurden die Nürnberger Rassengesetze erlassen, die Unternehmen der jüdischen Kaufleute wurden jetzt zu Spottpreisen "arisiert". Auch Josef Neckermann profitierte davon. Er kaufte 1935 in Würzburg die beiden Kaufhäuser des jüdischen Unternehmers Siegmund Ruschkewitz für einen Preis, der deutlich unter dem Firmenwert lag.

Die anderen Einzelhändler begannen nun ein "erbittertes Kesseltreiben", so Neckermann, gegen den neuen Kaufhaus­besitzer, der seine Waren zu deutlich günstigeren Preisen anbot als die herkömmlichen Geschäfte. Die Würzburger Kaufleute verlangten und erwirkten die Schließung der Kaufhäuser. Aber Neckermann ließ sich nicht unterkriegen. Er fuhr nach Berlin, und es gelang ihm, bis zur Spitze des Reichswirtschafts­ministeriums vorzudringen. Die Reise war ein Erfolg. Im November 1935 konnte er seine Kaufhäuser wieder eröffnen.

1937 wurde Neckermann Mitglied der NSDAP. Kurz darauf bot man ihm, dem Parteigenossen, im Rahmen der "Arisierung" die Berliner Wäschemanu­faktur des jüdischen Besitzers Karl Amson Joel (dem Großvater des amerikanischen Popsängers Billy Joel und des Dirigenten Alexander Joel) in Berlin und Nürnberg zum Kauf an. Neckermann schlug ein und gründete die Wäsche- und Kleiderfabrik Josef Neckermann. Er besaß jetzt Deutschlands viertgrößtes Textilversandhaus und zog in die ehemalige Villa der Joels in Berlin-Charlottenburg ein. Wie schon beim Ruschkewitz-Deal rechtfertigte Neckermann den Kauf mit der Begründung: "Wenn ich es nicht tue, macht es ein anderer."

Als die Wehrmacht 1939 Polen überfiel, unternahm Neckermann alles, um "u. k." gestellt zu werden, also unabkömmlich. Er hatte nicht die Absicht, den "Heldentod" zu sterben. Seine guten ­Kontakte zum Reichswirtschaftsministerium zahlten sich jetzt aus. Statt an die Front geschickt zu werden, kümmerte sich ­Neckermann um die Bekleidung der zivilen Angehörigen der Armee, der Zwangs­arbeiter und schließlich auch der Soldaten an der Ostfront. Neckermann machte Karriere im NS-­System: Er wurde zum "Reichsbeauftragten für Kleidung und verwandte Gebiete" ernannt.

Der Luftkrieg der Alliierten setzte ihm zu. Im Dezember 1943 wurden das Fabrikgebäude in Berlin sowie sein Haus in Charlottenburg zerstört. Die Familie überlebte im Luftschutzkeller. Auch sein Elternhaus und seine beiden Kaufhäuser in Würzburg fielen Bombenangriffen zum Opfer.

Auf Seite 2: Die Nachkriegszeit



Die Nachkriegszeit


In der Zeit des beginnenden Wirtschaftswunders startete Neckermann seine zweite Karriere. Er stieg in den Versandhandel ein, bot erst Wäsche und Textilien an, später auch Elektroartikel, Mopeds oder sogar Schweinehälften. Mit knapp kalkulierten Preisen sorgte er in den Fünfziger- und Sechzigerjahren dafür, dass sich eine breite Verbraucherschicht mit Konsum­gütern und den damaligen Wohlstands­symbolen eindecken konnte. Sein Unternehmen lieferte, genauso wie die Konkurrenten Otto oder Quelle, bis in die hintersten Winkel der Bundesrepublik.

Sein Slogan "Neckermann macht’s möglich" wurde zu einem geflügelten Wort und brachte das Lebensgefühl einer ganzen Epoche, der Epoche des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders, zum Ausdruck. Die 1963 gegründete Firma Neckermann und Reisen markierte den Beginn des deutschen Massentourismus. Mitte der Sechzigerjahre fiel Neckermann hinter die Konkurrenten Quelle und Otto Versand zurück, der Konzern stand am Rande der Pleite und wurde 1976 von Karstadt übernommen. Der passionierte Dressurreiter, der sechs Olympiamedaillen gewann, widmete sich nun seinem Hobby, der deutschen Sporthilfe. Als er 1988 von seinem Amt zurücktrat, hatte er 230 Millionen Mark an Spendengeldern akquiriert, von denen insgesamt 16 500 Athleten profitierten.

Josef Neckermann starb 1992 in seinem Haus bei Frankfurt an Lungenkrebs. Und er, der "Perfektionist und Träumer in einem, ein Eigenbrötler, der den Erfolg braucht, ein Einzelgänger, der Menschen sucht", wie die "Zeit" schrieb, hat bis ganz zuletzt seinen eigenen Slogan gelebt.