Stattdessen kommen die Truppen von Russlands Präsident Wladimir Putin in den Ballungsgebieten nicht voran, es mangelt mitunter an Nachschub, und die ukrainischen Streitkräfte leisten erbitterten Widerstand. Dramatisch ist nach wie vor die Lage in der eingekesselten südostukrainischen Hafenstadt Mariupol, in der die Kämpfe auch am Mittwoch unvermindert weitergingen.
Im Moskauer Machtgefüge macht sich offenbar ein Unbehagen breit. Das Präsidialamt bestätigte am Mittwoch, dass Putins enger Berater Anatoli Tschubais auf eigenen Wunsch zurückgetreten ist. In seinem Umfeld hieß es, Tschubais sei aus Protest gegen den Krieg in der Ukraine abgetreten und habe Russland verlassen. Als Reuters Tschubais dazu per Telefon persönlich befragte, legte der 66-Jährige auf. Er ist die bislang höchstrangige Persönlichkeit in Russland, die seit dem Einmarsch in der Ukraine zurückgetreten ist.
Die Ukraine und westliche Länder sprechen von einem Angriffskrieg und einer russischen Invasion im Nachbarland, die am 24. Februar begann. Russland bezeichnet sein Vorgehen in der Ukraine als Spezialoperation zur Zerstörung militärischer Stützpunkte. Zudem soll gegen als gefährlich eingestufte Nationalisten vorgegangen werden. In dem Krieg sollen nach Angaben der Ukraine und aus westlichen Sicherheitskreisen bereits Tausende Menschen gestorben sein. Eine unabhängig bestätigte Opferzahl gibt es bislang nicht.
"Putin muss die Wahrheit hören über den Krieg in der Ukraine", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz in der Generaldebatte im Deutschen Bundestag. "Und diese Wahrheit lautet: Der Krieg zerstört die Ukraine. Aber mit dem Krieg zerstört Putin auch Russlands Zukunft." Sowohl die Nato als auch die EU seien so geeint wie nie. Am Donnerstag und Freitag kommen die Staats- und Regierungschefs von Nato, Europäischer Union und G7 zu jeweiligen Gipfeltreffen zur Lage in der Ukraine in Brüssel zusammen. Dabei wird auch US-Präsident Joe Biden erwartet. Scholz versicherte der Ukraine weitere deutsche Unterstützung und betonte, dass auch an neuen EU-Sanktionen gegen Russland gearbeitet werde. Man sei sich allerdings mit den USA einig, dass die Nato nicht Kriegspartei werden dürfe.
SELENSKYJ NIMMT AN NATO-GIPFEL TEIL
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg kündigte aber weitere militärische Unterstützung zur Sicherung der Ostflanke der Allianz an. So sollen weitere Kampftruppen in Bulgarien, Rumänien, Ungarn und der Slowakei stationiert werden. Die Entscheidung dazu würden die Staats- und Regierungschefs auf dem Gipfel am Donnerstag fällen. An dem Treffen wird der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zugeschaltet sein. Stoltenberg schloss erneut aus, dass die Nato eine Flugverbotszone in der Ukraine überwachen könnte. Auch ein Beitritt der Ukraine zu der Militärallianz stehe nicht auf der Tagesordnung.
Selenskyj sieht ungeachtet der anhaltenden Kämpfe kleine Fortschritte in den Verhandlungen mit der Regierung in Moskau über eine Waffenruhe. "Schritt für Schritt kommen wir voran." Den russischen Streitkräften warf er vor, Evakuierungen von Zivilisten aus Mariupol zu vereiteln. In der Hafenstadt würden 100.000 Menschen unter unmenschlichen Bedingungen leben. Sie seien ständigem Beschuss ausgesetzt. Ihnen fehlten Lebensmittel, Wasser und Medikamente. Berichte unabhängiger Journalisten aus der Stadt gibt es seit mehr als einer Woche nicht mehr.
Auch aus anderen Landesteilen wurden wieder Kämpfe gemeldet. Im Lagebericht des britischen Verteidigungsministeriums hieß es, die Situation um die Hauptstadt Kiew sei "statisch". Offensichtlich versuchten die russischen Streitkräfte, sich neu zu formieren. Im Osten sind die russischen Truppen offenbar dabei, ihre Verbände um Charkiw und Mariupol zusammenzuführen. Im Südwesten marschierten die russischen Streitkräfte weiter in Richtung Odessa am Schwarzen Meer, wo sich der größte Hafen der Ukraine befindet. Raketenangriffe wurden in Mykolajiw, in der Region um Tschernihiw nördlich von Kiew sowie in der Hauptstadt selbst gemeldet.
SANKTIONEN THEMA AUF GIPFEL
Die UN sprechen mittlerweile von über 3,6 Millionen Flüchtlingen aus der Ukraine, die sich im Ausland in Sicherheit gebracht haben. In Deutschland sind laut Bundesinnenministerium bislang rund 239.000 Flüchtlinge worden, überwiegend Frauen, Kinder und Ältere.
Beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag soll es auch um weitere Sanktionen gegen Russland gehen. Scholz bekräftigte, dass ein sofortiger Stopp der Energieimporte aus Russland für Deutschland nicht möglich sei, weil ansonsten eine Rezession drohe. Sanktionen dürften die EU-Staaten nicht härter treffen als Russland. Man werde diese Abhängigkeit von russischen Importen von Gas, Öl und Kohle aber "so schnell wie nur irgendwie möglich" beenden. Für EU-Sanktionen im Energiesektor haben sich dagegen etwa Litauen und Irland ausgesprochen.
rtr