Die Wirtschaftslobby hat Finanzminister Wolfgang Schäuble wegen seiner Reformvorschläge für die Erbschaftsteuer zu einer Art Totengräber des Mittelstandes erklärt. Die Familienunternehmen sehen 7,6 Millionen Jobs in Gefahr. Der BDI wirft Schäuble vor, bei der Besteuerung großer Unternehmenserbschaften weit über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinaus zu schießen. Der Wirtschaftsflügel der Union hat sich angeschlossen und arbeitet an einem Gegenkonzept. Vor allem die von Schäuble vorgesehene Einbeziehung des Privatvermögens von Betriebserben in die Prüfung, ob sie nicht doch einen Teil der Steuer zahlen könnten, stößt auf erbitterten Widerstand. Im verbalen Trommelfeuer gegen Schäuble droht allerdings vergessen zu werden, dass am Ende des Streits eine verfassungskonforme Steuerreform stehen muss.
In der aufgeheizten Debatte lohnt es sich, zu ihrem Anfang zurückzukehren. Das oberste Gericht hatte am 17. Dezember die derzeitigen Regeln zur Verschonung von Unternehmenserben für verfassungswidrig erklärt und eine Frist bis Mitte 2016 für eine Neuregelung gesetzt. Zwar billigte der Erste Senat prinzipiell, dass Unternehmenserben begünstigt werden dürfen, wenn dadurch Jobs gesichert werden. Bei großen Betriebserbschaften pochte er aber auf eine Prüfung, ob das Privileg wirklich notwendig ist.
Außerdem bemängelten die Richter, dass im gekippten Gesetz allzu oft die Ausnahme zur Regel gemacht wird. Dort gilt: Wer den Betrieb sieben Jahre fortführt und die Lohnsumme - und damit die Arbeitsplätze - stabil hält, erbt steuerfrei. Dabei kann es auch bleiben. Allerdings bemängelten die Richter, dass Erben von Betrieben mit weniger als 20 Beschäftigten von der Klausel, die Lohnsumme stabil zu halten, befreit wurden. Denn weil über 90 Prozent der Betriebe weniger als 20 Mitarbeiter haben, war das Ergebnis eine flächendeckende Steuerverschonung ohne Rücksicht auf den Joberhalt. Die Richter forderten deshalb, die Ausnahme auf Betriebe "mit einigen wenigen Beschäftigten" zu begrenzen.
Weiter stießen sich die Richter daran, dass nicht nur das "Produktivvermögen" eines Betriebes wie Maschinen oder Patente steuerfrei weitergereicht werden konnte, sondern auch bis zur Hälfte des "Verwaltungsvermögens" - also auch das Ölgemälde im Büro des Geschäftsführers oder nebenbei verpachtete Grundstücke.
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SCHWIERIGE ABGRENZUNG ZWISCHEN GROSS UND KLEIN
Nachdem das Erbschaftsteuergesetz wiederholt in Karlsruhe kassiert wurde, dringt Schäuble auf eine Einhaltung der Verfassung. Bei der kniffligen Frage, ab welcher Betriebsgröße die Lohnsummenklausel eingehalten werden muss, will er sich erst gar nicht auf die Diskussion einlassen, was ein kleiner Betrieb mit "einigen wenigen Beschäftigten" ist - denn darüber könnte in Karlsruhe leicht wieder gestritten werden. Stattdessen will er die Grenze bei einem Firmenwert von einer Million Euro ziehen.
Auch die Abgrenzung von Produktiv- und Verwaltungsvermögen will er aufgeben. Stattdessen schlägt er vor zu prüfen, welche Wirtschaftsgüter überwiegend dem Hauptzweck der Firma dienen und deshalb steuerfrei weitergereicht werden können. Bei einem Taxiunternehmen wäre das sicherlich der Fuhrpark, bei einer Immobilienverwaltung die Häuser - aber nicht der Oldtimer des Chefs. Damit nicht jede Abgrenzungsfrage vor Gericht endet, will der Minister aber zulassen, dass maximal zehn Prozent des unbegünstigten Betriebsvermögens mit unter das Steuerprivileg fallen können.
Neben den zwei bisherigen Bedingungen, den Betrieb sieben Jahre lang fortzuführen und die Jobs zu erhalten, will Schäuble bei einer Betriebserbschaft von mehr als 20 Millionen Euro zudem eine Bedürfnisprüfung einführen: Der Erbe muss nachweisen, dass er die Steuerschuld nicht aus seinem Privatvermögen begleichen kann, allerdings nur bis zu dessen Hälfte. Außerdem bleiben andere Firmen, die er möglicherweise schon besitzt, außen vor.
Auf Seite 3: KRITIKER VERWEISEN AUF "PSYCHOLOGISCHES MOMENT"
KRITIKER VERWEISEN AUF "PSYCHOLOGISCHES MOMENT"
Ist das wirklich der "Ausverkauf des German Mittelstands", wie der CDU-Wirtschaftsrat kritisiert? An Gegenvorschlägen fehlt es nicht. So will Baden-Württembergs Finanzminister Nils Schmid (SPD) statt der von Schäuble vorgeschlagenen Freigrenze von 20 Millionen Euro einen Freibetrag von 100 Millionen Euro für die Prüfung des Privatvermögens einführen, Lobbyverbände wollen 300 Millionen Euro. Bei der Befreiung von der Lohnsummenklausel plädieren die Kritiker für eine Schwelle von drei bis sieben Mitarbeitern. Eine Prüfung des Privatvermögens wollen sie vermeiden. Stattdessen soll zum Beispiel im Unternehmen geschaut werden, ob die Steuerschuld aus dem Unternehmensgewinn bezahlt werden kann. Andere Schäuble-Kritiker wollen Unternehmen mit typischer Familienstruktur gleich ganz von der Erbschaftsteuer befreien.
Wegen der großen Aufregung in der Union sind Korrekturen an Schäubles Konzept sehr wahrscheinlich. Ganz kippen wird es aber voraussichtlich nicht. Denn alle Alternativen stehen vor dem gleichen Problem, ebenfalls in Karlsruhe bestehen zu müssen. Und das ist gar nicht so leicht. So heißt es im Finanzministerium, bei einer Freigrenze von 20 Millionen Euro blieben 98 Prozent der Erben von der Bedürfnisprüfung unbehelligt. Wer mit der Schwelle weiter nach oben geht, macht die Ausnahme also erst Recht zur Regel - und riskiert eine neue Schlappe vor Gericht.
In ruhigen Momenten räumen selbst Schäubles Kritiker ein, dass sein Vorschlag eine "gewisse innere Logik" habe. Und dass es schwer wäre, eine verfassungsfeste Alternative zu entwickeln. Es gehe aber auch um das "psychologische Moment", heißt es dann: Die Wirtschaft wolle nach dem Mindestlohn und der Rente mit 63 eben einfach keine weiteren Belastungen mehr sehen.
Reuters