Es ist äußerst wichtig, die drei deutschen Kernkraftwerke, die noch in Betrieb sind, länger laufen zu lassen." Mit dieser Aussage drängte Anfang Juli Thierry Breton, seines Zeichens EU-Binnenkommissar, die Bundesregierung in einem Interview, den Ausstieg aus der Kernenergie zumindest auf nächstes Jahr zu verschieben. Der Grund ist klar: Russland droht, seine Öl- und Gaslieferungen nach Europa einzustellen, was für die Industrie und die Verbraucher wahrscheinlich eine mittlere Katastrophe bedeuten würde.
Derzeit sind noch die drei Kernkraftwerke Emsland, Neckarwestheim 2 und Isar 2 in Betrieb. Eigentlich ist geplant, die AKWs Ende des Jahres endgültig vom Netz zu nehmen. Diese lieferten in Deutschland laut Statistischem Bundesland im ersten Quartal noch sechs Prozent des gesamten Stroms. Erdgas kam auf einen Anteil von 13 Prozent. Liefen die drei AKWs weiter, könnte also rund die Hälfte des Gases, das bislang für die Stromerzeugung eingesetzt wird, in der Industrie und zum Heizen von Gebäuden genutzt werden.
Kein Wunder, dass selbst im kernkraftkritischen Deutschland der Ruf nach einer Verlängerung der Laufzeiten lauter wird. Mittlerweile fordert schon die FDP, dass die Regierung einen Weiterbetrieb der drei Kernkraftwerke diskutieren müsse. CSU-Chef Markus Söder verlangt das schon länger. Noch stellen sich vor allem die Grünen quer. Doch vor wenigen Monaten wäre es auch undenkbar gewesen, dass die Ökopartei einer Verlängerung der Laufzeiten von Kohlekraftwerken zustimmt.
Für die Branche ist es zweitrangig, wie sich die Bundesregierung entscheidet. Schon seit Jahren spielt die Musik bei der Kernkraft ohnehin in anderen Ländern, in Europa etwa in Frankreich. Bereits seit Jahrzehnten setzt das Nachbarland auf die strahlende Energieerzeugung. Dort produzieren derzeit mehr als 50 Reaktoren rund 70 Prozent des benötigten Stroms. Und weitere Kernkraftwerke sind geplant.
Wenig CO2-Emissionen
Die Franzosen werfen einen ganz anderen Blick auf die atomare Technologie als die Deutschen. Hier gilt die Kernkraft als eine umweltfreundliche Energiequelle, weil bei ihrer Nutzung wenig Treibhausgase in die Luft geblasen werden. Tatsächlich beläuft sich laut Weltklimarat der Ausstoß bei Kernkraftwerken auf zwölf Gramm Kohlendioxid-Äquivalent (CO2) pro Kilowattstunde (kWh). Damit schneiden die AKWs einen Tick besser ab als Offshore-Windkraftanlagen und sind deutlich besser als Solarparks. Und Steinkohlekraftwerke emittieren mehr als 60-mal so viel wie Reaktoren.
Mit seiner Einschätzung hat sich Frankreich auch in Brüssel durchgesetzt. Im Rahmen ihrer Taxonomie, also ihrer Bewertung, stuft die EU nicht nur Gas-, sondern auch Kernkraftwerke als grüne Übergangstechnologien ein. Dadurch dürfen auch Ökofonds in Unternehmen aus der Kernkraftbranche investieren.
Frankreich steht mit seiner Sympathie in Europa längst nicht allein da. Vor allem osteuropäische Staaten wie Polen, Ungarn oder die Tschechische Republik denken über den Bau neuer Reaktoren nach. Neben der vermeintlichen Klimafreundlichkeit, über die sich sicherlich streiten lässt, spielt hier die Unabhängigkeit bei der Stromerzeugung eine entscheidende Rolle.
Zwar liefert Russland rund acht Prozent des weltweit produzierten Urans. Doch bei einem Wegfall aufgrund von Sanktionen seitens des Westens oder eines Lieferstopps durch die Russen selbst ließe sich das weitaus besser kompensieren als beim Öl oder Gas.
Asien setzt massiv auf Atomkraft
Auch in Asien sind Atomkraftwerke ausgesprochen angesagt. Das mag nicht unbedingt für die dortige Bevölkerung gelten, aber bestimmt für die entsprechenden Regierungen. In Fernost, aber auch weltweit steigt die Nachfrage nach Strom. Da setzen viele Länder bei ihrem Energiemix auch auf Kernkraft.
Allein China plant 35 weitere Anlagen. Davon befinden sich bereits 13 im Bau. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr liefen weltweit in 33 Ländern insgesamt 436 Reaktoren. Auch Russland setzt stark auf Kernenergie und will laut World Nuclear Association in den kommenden Jahren 27 Meiler bauen. Moskau würde sein Öl und Gas lieber verkaufen als selbst nutzen. Auch Indien hat mit dem geplanten Bau von zwölf neuen AKWs ambitionierte Pläne. In Europa sticht vor allem Frankreich mit 14 neuen Anlagen hervor, die sich in der Pipeline befinden, auch technischer Fortschritt hilft dabei.
Seit Jahren kündigt die Industrie die Entwicklung kleinerer Reaktoren an. Sie sollen preiswerter zu bauen sein als die herkömmlichen Anlagen. Geplant sind Serienfertigungen, die Skaleneffekte ermöglichen. Bei den großen Meilern laufen dagegen regelmäßig die Baukosten völlig aus dem Ruder. Außerdem sollen die kleineren Anlagen mit weniger angereichertem Uran auskommen, woraus auch weniger Abfall resultiert und eine Kernschmelze wie in Fukushima unwahrscheinlicher wird. Unter anderem investieren die beiden US-Milliardäre Warren Buffett und Bill Gates in die Entwicklung dieser Kernkraftwerke der nächsten Generation.
Uranpreis korrigiert
So oder so ist absehbar, dass die Kernkraft weltweit elf Jahre nach dem Gau in Fukushima ein Comeback feiert. Nach einer jahrelangen Flaute ist der Uranpreis Mitte des vergangenen Jahres bereits wieder angesprungen, hat zuletzt aber deutlich nach unten korrigiert. Perspektivisch dürfte der Krieg in der Ukraine und die damit verbundene unsichere Versorgungslage mit Energie den Uranpreis unterstützen.
Hinzu kommt, dass in den nächsten Jahren eine Reihe der üblicherweise fixen Lieferverträge zwischen Uranproduzenten und Abnehmern ausläuft. Dann dürfte sich die zunehmende Angebotsknappheit bei den Preisen für das Metall spürbar bemerkbar machen. Ein Selbstläufer sind die Aktien der Minengesellschaften allerdings nicht. Die Kurse von Cameco, Denison Mines oder Paladin sind extrem volatil und seit Frühjahr wieder ordentlich unter Druck geraten.
Für interessierte Anleger, die keine Berührungsängste mit dem Kernkraftsektor haben, empfiehlt es sich daher, ihre Investments breiter zu streuen. Sie sollten also auch Unternehmen in Betracht ziehen, die beispielsweise Atomkraftwerke bauen oder für diese bestimmte Dienstleistungen erbringen. Das ist zum Beispiel bei Vinci aus Frankreich der Fall. Außerdem gibt es Rohstoffförderer, die zwar auch Uran abbauen, bei denen das Metall aber nicht die Hauptrolle spielt - zum Beispiel bei Harmony Gold. Schließlich bieten sich breit gestreute Investments wie ETFs oder Zertifikate an.
INVESTOR-INFO
Cameco
Wieder schwarze Zahlen
Der kanadische Konzern ist in der westlichen Welt der mit Abstand größte Produzent von Uran. Cameco betreibt mehrere Minen in politisch stabilen Ländern wie Kanada. Allerdings braucht das Unternehmen aufgrund umfangreicher Kosten einen vergleichsweise hohen Uranpreis, um schwarze Zahlen zu schreiben. Im ersten Quartal war das der Fall. Cameco verdiente 0,10 Dollar je Aktie. Ein Jahr zuvor waren noch Miese angefallen. Die Aktie ist eine typische Turnaround-Wette.
Kernkraft von Vontobel
25 Schwergewichte
Die Schweizer Bank hat zum Jahresanfang ein Strategie-Zertifikat auf ihren Kernkraftindex lanciert. Dieses umfasst die 25 Unternehmen aus den Bereichen Uran und Kernkraft mit der höchsten Marktkapitalisierung. Dazu zählen vor allem Entwickler und Betreiber von Uranvorkommen. Ausgabeausschlag und Indexgebühr sind mit 0,5 und 1,25 Prozent moderat. Das Zertifikat hat seit Auflage Anfang 2022 knapp zehn Prozent an Wert verloren.
BO-Index Grüne Zukunft
Alternative zum Atom
Anleger, die mit Uran Berührungsängste haben und ökologisch auf das Thema Energie setzen wollen, können per Zertifikat auf den BO-Index Grüne Zukunft setzen. Er besteht aus 16 Firmen aus den Bereichen Wasserstoff, Solar- und Windenergie, grüne Versorger sowie Infrastruktur und Energieeffizienz. Perspektivisch sollten diese Unternehmen davon profitieren, dass sich Europa unabhängiger von russischer Energie macht.