Vor der Klimakonferenz in Glasgow im November schlugen die wichtigsten Politiker der Welt noch einmal Alarm: Die Erde erwärme sich viel schneller als erwartet, die Menschheit sei auf einem "katastrophalen Weg", warnte António Guterres, Chef der Vereinten Nationen. Angesichts immer neuer Naturkatastrophen wie Dürren, Brände und Überschwemmungen drohe ein "massiver Verlust von Menschenleben und Existenzgrundlagen", wenn nicht endlich ernsthaft etwas gegen den Klimawandel getan werde. Boris Johnson, britischer Premier und Mitgastgeber in Glasgow, pochte darauf, die Klimakonferenz müsse ein "Wendepunkt für die Welt" sein. Und nachdem sein Vorgänger Donald Trump noch aus dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen war und den Umwelt- und Klimaschutz mit allen Kräften bekämpft hatte, ließ auch US-Präsident Joe Biden ganz andere Töne hören: "Wir müssen alle handeln. Und wir müssen jetzt handeln", sagte Biden mit Blick auf den wichtigen Gipfel, von dem sich auch in der Wirtschafts- und Finanzwelt viele einen großen Wurf erhoffen.
Der Klimaschutz ist nicht nur eine Jahrhundertaufgabe für die Politik - er ist längst zum Wirtschaftsfaktor geworden. Branchen wie die Öl- und Gasindustrie werden nicht mehr nur von Umweltschützern geächtet, sondern wegen ihrer wirtschaftlichen Risiken auch von Großanlegern wie Staatsfonds oder Pensionskassen. Auf der anderen Seite birgt der Übergang zu einer umweltfreundlicheren Wirtschaft auch riesige Chancen für Unternehmen, die Lösungen für Umweltprobleme anbieten und besonders klimafreundlich arbeiten. "Es findet in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft mittlerweile ein Umdenken statt", sagt Alexander Funk vom Investmentfonds Ökoworld Klima, der in solche Unternehmen investiert. "Nachhaltiges Wirtschaften wird zum Wettbewerbs- und Standortvorteil werden. Es geht also in Glasgow auch um Zukunftsfähigkeit, Jobs und unseren Wohlstand."
Wie groß die Umwälzungen und damit die wirtschaftlichen Chancen sind, zeigen die Summen, die schon heute bewegt werden. Beispiel erneuerbare Energien: Ihr Ausbau gilt als Schlüssel, um die Erderwärmung, wie bei der Pariser Klimakonferenz 2015 vereinbart, auf 1,5 Grad bis langfristig maximal 2,0 Grad zu begrenzen. Allein im Jahr 2019 haben staatliche Stellen deshalb weltweit 400 Milliarden Euro in die Energiewende investiert, rechnet der Branchenverband Irena vor. Doch laut Schätzungen von Irena und der Beratungsgesellschaft Boston Consulting müsste bis 2030 pro Jahr etwa doppelt so viel Geld in die Hand genommen werden, um weniger CO2 auszustoßen und das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen. Dabei ist hier zuletzt schon einiges passiert: Seit fünf Jahren werden weltweit viel mehr neue Wind- und Solarparks in Betrieb genommen als Kohle-, Atom- und Gaskraftwerke.
Kein Wunder also, dass Fonds und Indexfonds für Aktien aus diesem Bereich wie etwa der Lyxor ETF New Energy in den vergangenen Jahren regelrecht durch die Decke gegangen sind. Mit Titeln wie den Windkraftanlagenbauern Nordex, Vestas oder Siemens Gamesa, dem Weltmarktführer bei Offshore-Windparks Ørsted sowie dem Photovoltaikhersteller und Solarparkbetreiber First Solar, dem Modul- und Wechselrichterproduzenten Solaredge oder dem Speicher- und Photovoltaikproduzenten Enphase waren gigantische Gewinne zu holen. Bei Enphase waren es sogar über 12 000 Prozent in fünf Jahren.
Mehr als Tesla und Solar. Nun sind viele Solar- und Windkraftaktien schon ziemlich teuer, wenngleich ihre Wachstumsaussichten nach wie vor groß sind. Gleiches gilt übrigens für Hersteller von Elektroautos wie Tesla, die man ebenfalls direkt mit dem Thema CO2-Reduktion verbindet, die oft aber bereits hohe Bewertungen erreicht haben. Doch es gibt diverse spannende Unternehmen, die im Gegensatz zu den großen Namen der Umwelttechnik bisher eher unter dem Radar fliegen. "Hier sollte man sich die gesamte Wertschöpfungskette statt nur einige bekannte Firmen ansehen", rät Fondsmanager Funk. Bei der Elektromobilität bietet sich statt Tesla etwa der Elektromotorenhersteller Nidec an. Die Japaner investieren Milliarden, um Marktführer in diesem Bereich zu werden. Die Firma motorisiert bereits Fahrzeuge von Toyota, NIO, Opel, Peugeot, Citroën, Fiat, Jeep oder Chrysler. Außerdem sorgt sie dafür, dass sich die Trommeln in Waschmaschinen drehen, Roboter bewegen und Gabelstapler fahren, und das alles möglichst effizient mit wenig Energieeinsatz.
Auch bei erneuerbaren Energien finden sich Firmen, die keine Anlagen bauen und trotzdem von der Energiewende profitieren. Etwa Kabelhersteller wie NKT aus Dänemark und Nexans aus Frankreich. NKT liefert zum Beispiel die Hochspannungsleitungen, in denen der Strom aus den Offshore-Windparks vor der norddeutschen Küste in die Industriezentren im Süden der Republik fließen soll. Und Nexans stellt nicht nur die Leitungen für Solar- und Windparks her - zu den Kunden gehört zum Beispiel Vestas -, sondern hat auch den Transrapid in Shanghai verkabelt und die Hochgeschwindigkeitstrassen in Italien elektrifiziert. Auch das hilft dem Klima. Schließlich stoßen Transporte und Reisen auf der Schiene wesentlich weniger CO2 aus als jene auf der Straße.
Biosprit aus Schlachtabfall. Daneben ist Ressourcen- und Energieeffizienz eines der ganz großen Themen, die beim Klimaschutz eine wichtige Rolle spielen und für Investoren interessant sind. "Wohnen und Gebäude verursachen in Deutschland rund 40 Prozent des Energieverbrauchs", erklärt Ökoworld-Fondsmanager Funk. "Da gibt es enormes Einsparungspotenzial." Senken kann man den Verbrauch etwa mit besserer Isolierung, die sich immer mehr Immobilienbesitzer dank staatlicher Förderung leisten. Das lässt bei Produzenten von Dämmmaterialien wie Rockwool in Dänemark oder Kingspan in Irland die Kassen klingeln. Noch besser wird der CO2-Fußabdruck eines Hauses, wenn die Öl- oder Gasheizung durch eine Wärmepumpe ersetzt wird, was Hersteller wie Nibe aus Schweden freut. Wärmepumpen muss man beim Heizen kaum Energie zuführen. Und weniger ist für das Klima in diesem Fall schließlich mehr.
Wie ein verantwortungsbewusster Umgang mit natürlichen Ressourcen aussehen kann, zeigt das etwas unappetitliche Beispiel mit dem schmeichelhaften Namen Darling Ingredients. Das US-Unternehmen arbeitet eng mit der Agrar- und Lebensmittelbranche zusammen und verwertet so gut wie alles, was diese sonst wegwerfen würden. Zugespitzt gesagt produziert Darling Ingredients aus Schlachtabfällen Biodiesel, aus Schweinemist Düngemittel und aus Lebensmittelresten Strom, Gas sowie Fette, Proteine und andere natürliche Zusätze, die wiederum in neuen Lebensmitteln, Kosmetikartikeln und in Tierfutter landen. Klingt eklig, ist aber nachhaltige Kreislaufwirtschaft. Die schont das Klima in mehrfacher Hinsicht und erfreut auch die Anleger: Die Aktie machte in fünf Jahren rund 400 Prozent Gewinn.
Ebenfalls der Kreislaufwirtschaft verschrieben hat sich Xylem, allerdings bei Wasser. Infolge der bereits weltweit steigenden Temperaturen und der damit verbundenen zunehmenden Trockenheit wird Wasser ein immer wichtigeres Gut. Als Symbol dafür hat Xylem 2019 aus gereinigtem Abwasser Bier gebraut. Dieses leicht augenzwinkernde Projekt sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Amerikaner zu den größten Herstellern der Welt von Wasseraufbereitungsanlagen, Wasseranalysegeräten und Pumpen gehören und pro Jahr etwa fünf Milliarden Dollar Umsatz machen. Anlagen von Xylem helfen auch, heiße und trockene Gebiete wie Teile des Iraks mit Trinkwasser zu versorgen.
Bier aus Abwasser: Die Wirtschaft nutzt ihren Erfindungsreichtum also durchaus, um Ressourcen zu sparen und sich gleichzeitig schon auf die Folgen des Klimawandels einzustellen. Das ist aber auch bitter nötig. Denn selbst wenn sich die Staatschefs bei der Klimakonferenz in Glasgow im November auf ambitionierte Maßnahmen einigen sollten, werden die Politiker die Erderwärmung nicht von heute auf morgen stoppen.