Nach den Bundestagswahlen haben die Gespräche zur Bildung einer neuen Bundesregierung Fahrt aufgenommen. Grüne und FDP sind zu Treffen zusammengekommen, um eine gemeinsame Basis zu finden. In den nächsten Tagen wird dann voraussichtlich eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP ausgelotet. Das Gleiche gilt für eine sogenannte Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP, die aber als eher unwahrscheinlich gilt.
Deutsche Unternehmen haben unterdessen von der künftigen Regierung schnelle Reformen verlangt, um den Standort wieder attraktiver zu machen. "Digitalisierung, Klimaschutz und der Fachkräftemangel sind für die Unternehmen die wichtigsten Zukunftsthemen", sagte der Präsident des Industrieverbands DIHK, Peter Adrian. Hier drohe Deutschland zunehmend Boden zu verlieren. Die Wirtschaft brauche einen "spürbaren Investitions-Ruck." Richtschnur für den neuen Koalitionsvertrag sollte sein, private und öffentliche Investitionen zu fördern.
Ökonomen gehen bei den Koalitionssondierungen davon aus, dass insbesondere Grüne und FDP rasch zu einer gemeinsamen Linie kommen dürften, Gespräche zwischen FDP und SPD aber schwierig werden könnten, wie eine Blitzumfrage von €uro am Sonntag ergab. Der Graben zwischen Grünen und FDP gilt jedenfalls als flacher als der zwischen SPD und FDP.
Donner & Reuschel-Chefvolkswirt Carsten Mumm sieht bei Grün-Gelb eine Reihe von ähnlichen Zielen etwa bei Klima oder Altersvorsorge. Und bei strittigen Punkten wie in der Steuerpolitik rechnet Mumm mit Bereitschaft zu Kompromissen. "Vor allem Jüngere, die Grüne und FDP gewählt haben, erwarten, dass die Verhandlungsteams pragmatische Lösungen erarbeiten und nicht in Blockadehaltung verfallen."
ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann wiederum hält die Grünen "zwar in ihrem Steuer- und Wirtschaftsprogramm für eine markant linke Partei mit ausgeprägter Präferenz von Umverteilung und Regulierung". Dennoch könnten sie der FDP mit ihrer Marktorientierung ohne nennenswerten Gesichtsverlust entgegenkommen, solange die Klimapolitik entsprechende Substanz behält. Schwieriger könnten in einem nächsten Schritt allerdings die Gespräche der FDP mit der SPD werden.
Börse hakt Ergebnis ab
Die Börse hatte das Ergebnis der Bundestagswahl von Sonntag ohnehin rasch abgehakt, aus der die SPD als stärkste Kraft hervorgegangen war. Vor allem nachdem klar war, dass das gefürchtete rot-grün-rote Bündnis vom Tisch ist - und damit wohl auch stärkere Markteingriffe und höhere Steuern insbesondere auf Vermögen. "Ob es nun zu einer Ampel oder einer Jamaika-Koalition kommt oder zu einer Wiederauflage der Großen Koalition, macht für die im DAX und anderen Indizes notierten Unternehmen kaum einen Unterschied - zu international ist ihr Geschäft in den vergangenen Jahren geworden", sagt DZ-Bank-Chefanlagestratege Christian Kahler.
"Anleger können jetzt wieder einen freundlicheren Blick auf den deutschen Aktienmarkt werfen", sagte Robert Halver, Kapitalmarktexperte der Baader Bank, gegenüber dem Finanzportal boerse-online.de. "Man kann durchaus einen Schwerpunkt auf Klimatechnik- und Umwelttechnik-Werte gerade aus der zweiten Reihe richten." Auch konjunkturzyklische Werte seien jetzt attraktiv, weil es eben kein Linksbündnis gebe und es bei marktwirtschaftlichen Strukturen bleibe. Klimawandel und Digitalisierung gelten als Schlüsselbereiche, auf die sich Investoren nun konzentrieren sollten.
Vom Wahlausgang profitierten am Tag danach vor allem der Bereich der erneuerbaren Energien, insbesondere Siemens Energy und Encavis. Aber auch Wohnkonzerne wie Vonovia, LEG und Aroundtown zogen deutlich an, weil neue Regulierungen für die Branche wie eine Mietpreisbremse weniger wahrscheinlich geworden sind.