Das etwas lückenhafte Bild, das die Bibel im Alten Testament von König Salomon zeichnet, hat die Fantasie der Nachwelt erblühen lassen: Maler, Schriftsteller, Komponisten, sogar Hollywood haben sich mit dem Mythos Salomon beschäftigt. Archäologen machten sich in der Wüste, in Israel und Saudi-Arabien, auf die Suche nach den legendären Goldminen des Königs.

Salomon, der 970 vor Christus den Thron bestieg, soll der zehnte Sohn Davids gewesen sein, jenes Königs, der einst den Riesen Goliath bezwungen hatte. Salomons Reich, das sich laut Bibel zwischen Ägypten und dem Euphrat erstreckte, galt als Musterstaat, bewundert und gefürchtet von den Nachbarn. Der Überlieferung nach war Salomon ein vorbildlicher Herrscher mit einem ausgeprägten Sinn für Diplomatie. Er war ein großartiger Baumeister und Händler. Er verwandelte sein ursprünglich landwirtschaftlich geprägtes Reich in einen starken und wirtschaftlich mächtigen Staat mit großem politischem Einfluss. Er errichtete Jerusalem, baute dort den ersten jüdischen Tempel und stellte eine moderne Streitmacht mit 12 000 Reitern auf. Er schuf eine Handelsflotte, entwickelte das Handwerk und förderte den Handel mit anderen Ländern.

40 Jahre lang habe er gemäß der Bibel "Juda und Israel" ein sicheres Leben in Frieden und Wohlstand beschert, jedem "unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum". Er öffnete sein Reich, das über eine moderne Verwaltung mit einem Beamtenstab verfügte, anderen Kulturen und Religionen, was ihm bei anderen Völkern großes Ansehen verschaffte. Gott habe Salomon - gemäß der Bibel im 1. Buch der Könige - zu Beginn seiner Herrschaft die Gewährung eines Wunsches zugesagt. Er wünschte sich Weisheit, um sein Volk gerecht regieren zu können, da er sich dieser Aufgabe noch nicht gewachsen fühlte. Gott gefiel, dass er sich nicht ein langes Leben oder Reichtum gewünscht hatte, und so gewährte er ihm diese zur Weisheit noch dazu.

So wurde Salomon einer der reichsten Menschen der Geschichte. Legendär sind vor allem seine Goldschätze. Das Alte Testament gibt uns eine ungefähre Vorstellung davon, wie viel von dem Edelmetall er besaß: Jedes Jahr erhielt der König während der 40 Jahre seiner Regentschaft 25 Tonnen Gold. Seinen Reichtum schöpfte er noch aus anderen Quellen: Er hatte die Goldschätze seines Vaters David geerbt, er führte eine eigene Reederei und Handelsgesellschaft und ließ bei seinen Untertanen Steuern eintreiben. Und ein beträchtlicher Teil seines Reichtums stammte aus seinen Goldminen im geheimnisvollen Land Ophir, das jedoch in der Bibel nicht genau lokalisiert wird.

Der König, der auf einem sechsstufigen und von zwölf Löwen flankierten Thron aus reinem Gold saß, war so unermesslich reich, dass alle seine Kelche und Tassen sowie Messer und Gabeln aus Gold gefertigt wurden. Edelmetalle waren damals in Jerusalem so häufig wie einfaches Kopfsteinpflaster oder Kieselsteine. Der Palast und Salomons private Wohnräume seien zudem mit Zedernholz aus dem Libanon dekoriert gewesen.

Salomons Ruhm und seine Weisheit führten dazu, dass Könige, Kaufleute oder Botschafter aus den arabischen Ländern ihn um Rat fragten. Und sie brachten Geschenke mit, "um die Augen des Königs zu erfreuen": Gemäß Bibel meist Gefäße aus Gold und Silber, teure Gewänder, Elfenbein, viele Arten von Gewürzen, außerdem Pferde, Streitwagen, Sklaven und exotische Tiere wie Affen oder Pfauen.

Zu den Besuchern des Königs gehörte auch Königin Mâkedâ aus dem fernen Saba (heute vermutlich Jemen). Auch sie war sagenhaft reich und nach Jerusalem gekommen, um sich zu überzeugen, dass Salomon tatsächlich so klug war, wie alle Welt sagte. Sie stellte ihn mit Rätseln auf die Probe und war, so die Bibel, am Ende "außer sich vor Staunen".

Mehr gibt die Bibel über dieses royale Gipfeltreffen nicht preis, aber es wurde zum Stoff fantasievoller Interpretationen. Viele Maler dokumentierten das Zusammentreffen der beiden Glamourstars im prunkvollen Palast in Jerusalem. Hollywood drehte 1959 sogar einen Film mit Yul Brynner und Gina Lollobrigida, in dem aus der Königin von Saba kurzerhand "Sheba" wurde. Von Marokko bis Persien ist die Begegnung des auch im Koran bewunderten "Sulaiman" mit der Sabäerin, die im Arabischen Bilkis heißt, verherrlicht worden. Die Bibel gibt keine Auskunft darüber, ob die Königin aus Saba jung oder alt gewesen ist; auf den zahlreichen Gemälden wird sie jedoch als exotische Schönheit dargestellt.

Frauen wichtiger als Gott

Überhaupt Salomons Liebe zu den Frauen: Insgesamt tausend sollen es gewesen sein, die Mehrzahl Ausländerinnen. Ihre Gunst, so die Heilige Schrift, sei ihm am Ende sogar wichtiger gewesen als sein Gott. Man muss allerdings in Betracht ziehen, dass Salomon, um auf die Sensibilitäten der einzelnen Stämme Rücksicht zu nehmen, die Politik seines Vaters fortführte, sich mit Frauen aus den unterschiedlichsten Stämmen zu verheiraten.

Salomons legendärer Ruf als weiser Herrscher gründet vor allem auf einem berühmten Richterspruch, der als "salomonisches Urteil" in die Sprache einging. Es ging um zwei Prostituierte, die sich um ein Kind stritten. "Holt mir ein Schwert", sagte der König. "Schneidet das Kind entzwei und gebt eine Hälfte der einen und eine Hälfte der anderen." Entsetzt flehte da- raufhin eine der streitenden Frauen: "Bitte, Herr, gebt ihr das lebende Kind und tötet es nicht" - woraufhin Salomon der Bittstellerin als der aller Wahrscheinlichkeit nach echten Mutter das Kind überließ.

Für den deutschen Theologen und Bibelexegeten Hugo Gressmann handelt es sich bei dem Stoff vom salomonischen Urteil jedoch um eine Wanderlegende, die erstmals in Indien auftauchte, sich nach Tibet und China ausbreitete, vielfach abgewandelt wurde und schließlich auch in den Vorderen Orient gelangte.

Aber hat König Salomon tatsächlich existiert? Der britische Historiker Ralph Ellis, der 20 Jahre lang die Geschichte Salomons und die Berichte der Archäologen und Theologen studiert hatte, die im Heiligen Land nach Hinweisen auf die Existenz des superreichen Königs suchten, kam zum Schluss, dass die Story ein Mythos sei. Der Forscher glaubt, dass die Legende aus der Geschichte eines mächtigen und gefürchteten ägyptischen Pharaos namens Shoshenq hervorgegangen sei, der im 10. Jahrhundert vor Christus über Ägypten und Israel geherrscht hatte.

Laut Ellis stammte der Reichtum dieses Pharaos von benachbarten Herrschern, die im ägyptischen Tal der Könige Gräber ausraubten und sie dem Pharao als Tributzahlungen überbrachten - als Gegenleistung dafür, dass er nicht in ihre Gebiete einfiel. Ellis glaubt, dass die Geschichte des Pharaos für die biblischen Schriftgelehrten später nicht akzeptabel war. Deshalb hätten sie die Geschichte umgeschrieben, um aus dem Pharao einen israelitischen Helden zu machen.

Ellis geht sogar so weit zu behaupten, dass die legendären Goldminen, die vermeintliche Quelle von Salomons Vermögen, gar nicht existierten. "Streng historisch gesehen, ist nicht einmal die Existenz von Salomon selbst nachweisbar", zitiert der "Spiegel" den Rostocker Theologen Hermann Michael Niemann. Neben der Bibel, dem Koran und den Mythen seiner Beziehung zu Mâkedâ alias Bilkis alias Sheba findet sich kein historischer oder archäologischer Beleg für ihn.