Nun ist es also soweit: An diesem Mittwoch, dem 04. August, wird mit dem Ethereum Improvement Protocol (EIP) 1559 das größte Ethereum Update auf dem Mainnet lanciert. Am Markt ist man natürlich gespannt, ob und wie sich das auf den seit 2015 stark gestiegen Ethereum-Kurs auswirkt.
Was das Ereignis aus seiner Sicht bedeutet, hat Matt Hougan, Chief Investment Officer bei Bitwise Asset Management, dem weltweit größten Krypto-Indexfondsmanager, in einer aktuellen Einschätzung erläutert. BÖRSE ONLINE will seinen LeserInnen diese Meinung nicht vorenthalten, schließlich handelt es sich bei Hougan um einen der weltweit führenden Experten für Kryptowährungen, ETFs und Finanztechnologie.
Hougan beginnt seine Erläuterungen zu dem Thema mit dem Hinweis, dass Kryptoassets wie Bitcoin und Ethereum aus zwei Teilen bestehen: der zugrunde liegenden Technologie (d. h. der Blockchain) und dem Vermögenswert (d. h. der Kryptowährung). Bitcoin zum Beispiel sei ein Vermögenswert (BTC), der über die Bitcoin-Blockchain (die Technologie) aufgezeichnet und übertragen werde. Ähnlich sei Ether ein Vermögenswert (ETH), der über die Ethereum-Blockchain (die Technologie) aufgezeichnet und übertragen werde.
Bei Kryptowährungen sei es leicht, sich auf den Vermögenswert zu versteifen: Steigt oder fällt der Bitcoin-Handel heute? Aber von Zeit zu Zeit gibt es ein Ereignis, das uns laut Hougan daran erinnert, dass die zugrunde liegende Technologie von großer Bedeutung ist. Er meint damit das Ethereum Improvement Proposal 1599, kurz EIP-1599, das am 4. August stattfindet. Aus der Sicht von Hougan handelt es sich dabei um eine der größten Geschichten in der Kryptowelt in diesem Jahr.
Was steckt hinter EIP-1599?
So wie Apple ein Upgrade für seine iOS-Software veröffentlichen könnte, ist EIP-1599 ein Software-Upgrade, das Ethereum-Entwickler für die Ethereum-Blockchain freigeben. EIP-1599 führt laut Hougan zwei wichtige Änderungen in Ethereum ein, welche die Benutzererfahrung verbessern und ETH als Investition attraktiver machen:
1. Klare Preisgestaltung
Die erste Änderung hat mit der Art und Weise zu tun, wie Nutzer mit Ethereum interagieren. Blockchains wie Ethereum wickeln Transaktionen in Stapeln oder "Blöcken" ab; daher kommt buchstäblich auch das Wort Blockchain, so Hougan. Jeder Block kann demnach nur eine bestimmte Anzahl von Transaktionen enthalten, und wenn ein Block voll ist, muss man auf den nächsten warten.
Die Miner, welche die Transaktionen verarbeiten, entscheiden auf der Grundlage der Gebühren, welche die Nutzer zu zahlen bereit sind, welche Transaktionen in die einzelnen Blöcke aufgenommen werden. Nutzer, die wollen, dass ihre Transaktion im nächsten Block verarbeitet wird, zahlen eine höhere Gebühr als diejenigen, die bereit sind, auf zukünftige, billigere (und weniger überfüllte) Blöcke zu warten.
Wie Hougan weiter ausführt, gibt es derzeit bei Ethereum keine Möglichkeit, im Voraus genau zu wissen, welche Gebühr man zahlen muss, um sicherzustellen, dass eine Transaktion genehmigt wird. Es gebe zwar Leitfäden, aber im Grunde müsse man raten. Dies schaffe zwei Probleme: Erstens führe es zu einer großen Ungewissheit darüber, ob eine Transaktion rechtzeitig bearbeitet wird, und zweitens zahlten die Leute zu viel, weil sie den Verrechnungspreis nicht kennen würden (sie bieten zu viel, um sicher zu sein, dass sie über der Schwelle sind).
EIP-1599 schafft hier nach Einschätzung von Hougan Abhilfe. Durch einige clevere technische Schritte - darunter die Verdoppelung des in jedem Block verfügbaren Platzes - schaffe EIP-1599 eine öffentlich bekannt gegebene Gebühr, auf die sich die Nutzer unter fast allen Umständen verlassen könnten. Die Nutzer müssten nicht mehr raten, welche Gebühr sie für ihre Transaktion zahlen müssen, und sie müssten auch nicht mehr zu viel für das Privileg der Nutzung des Netzwerks bezahlen. Das ist eine große Sache, so Hougan.
2. Attraktiver als Investment
Die größere Veränderung durch EIP-1599 liegt für Hougan jedoch darin, wie Ethereum als Investment umgestaltet wird. Wie bereits erwähnt, zahlt jemand, der eine Transaktion auf einer Blockchain durchführen möchte, in der Regel eine Gebühr für die Bearbeitung dieser Transaktion. Bei den meisten Blockchains wird diese Gebühr in der nativen Kryptowährung gezahlt, d.h. man zahlt einen kleinen Betrag an ETH, um eine Transaktion auf der Ethereum-Blockchain durchzuführen. Derzeit werden diese Gebühren an den Miner gezahlt, der die Transaktion verarbeitet. Miner verkaufen in der Regel das erhaltene Kryptoasset, um die Kosten für den Betrieb und die Wartung ihrer Mining-Ausrüstung zu decken. EIP-1599 wird dies für Ethereum, das Netzwerk, und Ether, den Vermögenswert, ändern.
Nach dem Upgrade wird die Kerngebühr, die Nutzer für Transaktionen auf Ethereum zahlen, "verbrannt" oder für immer aus dem Verkehr gezogen, so Hougan. Dies werde die Menge an ETH, die existiert, reduzieren und den Vermögenswert Ether in eine verbrauchbare Ware wie Gas oder Öl verwandeln. Ein zusätzlicher Vorteil sei, dass diese Änderung es den Anlegern wesentlich leichter machen werde, den Wert von ETH zu verstehen.
Nach EIP-1599 steige mit zunehmender Nutzung von Ethereum die Menge an ETH, die von der Maschine verbraucht werde, so wie wenn man ein Auto länger laufen lässt und mehr Benzin verbraucht. Wenn man ETH halte, sei das so, als habe man einen Anteil an der Gasversorgung. Diese intuitive Analogie könnte dazu beitragen, eine neue Welle institutioneller Anleger auf den Markt zu bringen, glaubt Hougan.
Warum ist dies wichtig und wie groß sind die Auswirkungen?
Beide Hälften dieses Upgrades sind nach Einschätzung von Hougan wichtig und haben lange auf sich warten lassen. EIP-1599 sei zum ersten Mal 2019 vorgeschlagen worden, und es habe Jahre des Testens, der Forschung und der Überlegungen gebraucht, um einen Konsens in der Gemeinschaft (insbesondere unter den Minern) zu erreichen, dass es das Richtige ist.
Doch das Warten hat sich aus der Sicht von Hougan gelohnt. Die Verbesserung des Nutzererlebnisses sei wichtig, weil sie Ethereum helfen werde, mit der steigenden Zahl der sogenannten "Ethereum-Killer" zu konkurrieren. Gemeint sind damit Blockchains wie Cardano und Solano, die zum Teil aufgrund ihrer Fähigkeit, billigere und besser vorhersehbare Transaktionsgebühren anzubieten, an Popularität gewonnen haben.
Die "Burn"-Komponente von EIP-1559 ist für Hougan eine noch größere Sache: Wenn ETH verbrannt werde, würden diese Anteile für immer aus dem Verkehr gezogen, wodurch der Wert aller anderen ETH, die noch vorhanden sind, effektiv erhöht werde. Laut Coin Metrics zahlten Ethereum-Nutzer im Jahr bis Juni 2021 4,16 Milliarden Dollar an Transaktionsgebühren. Alle diese Gebühren wurden in ETH an Miner gezahlt, die diese ETH wahrscheinlich verkauften, um Energie- und Hardwarekosten zu decken.
Nach EIP-1599 werden die Kerntransaktionsgebühren nicht mehr auf dem freien Markt verkauft, sondern für immer verbrannt, was die Inflationsrate von Ether verringern werde. Schätzungen gehen davon aus, dass EIP-1599 die Gesamtinflationsrate von ETH von etwa vier Prozent pro Jahr auf drei Prozent pro Jahr reduzieren wird. Das mag laut Hougan nicht nach viel klingen, aber eine wesentliche Verringerung des neuen Angebots sei bei Kryptowährungen immer eine große Sache (und bei den meisten Formen von gesundem Geld, historisch gesehen).
Zum Vergleich: Der Rückgang ist im Verhältnis etwa halb so groß wie bei den Bitcoin-Halbierungsereignissen, die oft als Auslöser für die über Jahre andauernden Bullenmärkte im Bitcoin-Bereich angesehen werden. Es ist auch wesentlich niedriger als die Inflation, die wir in den US-Verbraucherpreisindex-Daten in letzter Zeit sehen, so Hougan. Die Miner selbst würden weiterhin bezahlt, auch wenn ihr Einkommen möglicherweise geringer ausfalle.
Zusätzlich zu den Kerntransaktionsgebühren, die von den Nutzern gezahlt werden, erhalten die Miner jedes Mal, wenn sie einen Transaktionsblock abwickeln, neu gemünzte ETH, und dies wird laut Hougan auch nach EIP-1599 so bleiben. Darüber hinaus könnten ETH-Supernutzer den Minern zusätzliche Gebühren zahlen, die über die Kerntransaktionsgebühr hinausgingen, um die Rangfolge bestimmter Transaktionen innerhalb eines Blocks zu bestimmen. Aus diesen und anderen Gründen - einschließlich der Möglichkeit, dass steigende ETH-Preise die Einkommenseinbußen ausgleichen könnten - hätten die meisten Miner entschieden, dass sie am meisten von der Unterstützung dieses Upgrades profitieren.
Was kommt als nächstes?
Das Erstaunliche an EIP-1599 ist für Hougan, dass dies nicht das einzige Upgrade ist, das in naher Zukunft für die Ethereum-Blockchain geplant ist. Irgendwann im Jahr 2022 solle Ethereum den Übergang zu dem vollziehen, was als ETH 2.0 bezeichnet werde. Bei ETH 2.0 handele es sich nicht um ein einzelnes Upgrade, sondern vielmehr um eine Reihe technologischer Verbesserungen, zu denen auch die Umstellung der Blockchain von einem "Proof-of-Work"-Konsensmechanismus auf einen "Proof-of-Stake"-Konsensmechanismus gehöre.
Diese und verwandte Änderungen sollten, wenn sie erfolgreich sind, den Durchsatz der Ethereum-Blockchain drastisch erhöhen, ihren Kohlenstoff-Fußabdruck um mehr als 90 Prozent reduzieren und die Neuausgabe von ETH jedes Jahr um weitere 50 Prozent oder mehr verringern (über die Auswirkungen von EIP-1599 hinaus).
Zusammengenommen sind EIP-1599 und ETH 2.0 für Hougan ein starker Doppelschlag, der Ethereum sowohl als Technologie als auch als Investition dramatisch verbessert. Wie bei jeder technologischen Verbesserung gebe es auch hier Risiken. Die Upgrades könnten sich verzögern, oder die versprochenen Verbesserungen könnten nicht eintreten. Wenn sie jedoch die Erwartungen erfüllten, werde dies ein wichtiger Moment sein, der die Entwicklung von Ethereum in den kommenden Monaten, Quartalen und Jahren maßgeblich beeinflussen werde.