Viele betrachten den Markt für den Bitcoin, die weltweit führende Kryptowährung, als ein Spiel von Gewinnern und Verlierern zwischen Hedgefonds, Amateuranlegern, Nerds und Kriminellen. Die einer hochgradig volatilen anonymen Digitalwährung innewohnenden hohen Risiken solle man jenen überlassen, die mit dem Spiel wohlvertraut seien oder denen es nicht so wichtig sei, weil sie Risikominderung betreiben oder eventuelle Verluste verkraften können. Doch hat der Bitcoin in jüngster Zeit bei Ländern und Individuen mit begrenztem Zugang zu herkömmlichen Zahlungssystemen an Attraktivität gewonnen, also bei jenen, die am wenigsten in der Lage sind, die damit verbundenen Risiken zu steuern.
El Salvador hat den Bitcoin in diesem Monat als erstes Land überhaupt als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt. Das heißt, dass der Bitcoin landesweit zum Bezahlen verwendet werden kann. Die Empfänger sind gesetzlich verpflichtet, das Zahlungsmittel zu akzeptieren. Diese Art geldpolitisches Experiment ist für die Salvadorianer nichts Neues. Der US-Dollar wurde in El Salvador 2001 als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt und ist die für Inlandstransaktionen genutzte Währung. Damals erlaubte die Regierung von Präsident Francisco Flores die freie Zirkulation des Dollar parallel zur nationalen Währung, dem Colón, zum fixen Wechselkurs.
Die Dollar-Befürworter argumentierten, dass die zu erwartenden Vorteile gesamtwirtschaftlicher Stabilität El Salvadors Verlust an wirtschaftlicher Souveränität, geldpolitischer Unabhängigkeit und sogar an Einnahmen aus der Geldschöpfung - der Differenz zwischen den Kosten der Produktion von Münzen und Banknoten und ihrem Nennwert - mehr als ausgleichen würden. Doch die Kaufkraft nahm abrupt ab, was das Land noch abhängiger von Geldsendungen aus dem Ausland machte, die sich während der vergangenen zwei Jahrzehnte jährlich auf circa 20 Prozent vom BIP beliefen.
Den Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel zu nutzen, wird die geldpolitischen Beschränkungen, die durch die Dollarisierung aufgedeckt wurden - insbesondere das Fehlen eines unabhängigen gesamtwirtschaftlich-institutionellen Rahmenwerks, an dem sich die Innenpolitik orientiert - noch verschärfen. Darüber hinaus ist der Bitcoin sehr viel schwankungsanfälliger als der Dollar. Zwischen dem 8. und dem 15. Juni schwankte sein Wert zwischen 32 462 und 40 993 Dollar, und im Zeitraum vom 15. Mai bis zum 15. Juni reichte er von 34 259 bis 49 304 Dollar. Derart starke Schwankungen - und die Tatsache, dass sie komplett vom Markt ausgehen und die Politik keinerlei Spielraum zu ihrer Steuerung hat - machen den Bitcoin zu einem ungeeigneten Instrument für die gesamtwirtschaftliche Stabilisierung. El Salvadors Präsident Nayib Bukele hat in einem Tweet geäußert, dass der Bitcoin Geldsendungen aus dem Ausland erleichtern und die Transaktionskosten deutlich reduzieren würde. Die Gebühren, die Migranten zahlen müssen, um Geld in ihre Heimat zu schicken, sind skandalös hoch. Laut Weltbank belaufen sich die weltweiten Durchschnittskosten einer Überweisung von 200 Dollar international auf rund 13 Dollar oder 6,5 Prozent. Das liegt deutlich über dem Zielwert von drei Prozent in den Zielen für nachhaltige Entwicklung.
Trotzdem erhielten die Länder niedrigen und mittleren Einkommens 2020 insgesamt Auslandsüberweisungen in Höhe von 540 Milliarden Dollar - viel mehr, als an ausländischen Direktinvestitionen (2020: 259 Milliarden Dollar) und ausländischer Entwicklungshilfe (2020: 179 Milliarden Dollar) in diese Länder fließt. Eine Gebührensenkung auf zwei Prozent würde die Auslandsüberweisungen um bis zu 16 Milliarden Dollar jährlich erhöhen.
Das große, aber weltweit fragmentierte Geschäft mit Geldsendungen aus dem Ausland stützt sich auf elektronische Überweisungen über die Zahlungssysteme der Geschäftsbanken, und die Banken berechnen hohe Gebühren für die Nutzung dieser Infrastruktur und den Vorteil eines sicheren und zuverlässigen internationalen Netzwerks. Doch sind die hohen Gebühren nicht das einzige Problem. Viele Migranten haben in den Ländern, in denen sie arbeiten, kein Bankkonto, und ihre Familien in der Heimat gehören unter Umständen ebenfalls zu den weltweit 1,7 Milliarden Menschen ohne Konto.
Darüber hinaus müssen einige Migranten womöglich Geld in Länder überweisen, die entweder nicht in das internationale Zahlungssystem eingebunden sind oder in ihrer Fähigkeit beschränkt sind, grenzüberschreitende Überweisungen zu empfangen - wie etwa Syrien oder Kuba.
Bukele hat recht, was die Notwendigkeit angeht, dieses System etwa durch Bereitstellung preiswerter und risikoarmer Alternativen infrage zu stellen. Aber der Bitcoin ist das falsche Werkzeug. Er erlaubt den Menschen zwar, Vermögen direkt weltweit ohne Einbindung eines teuren Finanzmittlers zu überweisen. Doch seine Schwankungsanfälligkeit macht ihn bestenfalls zu einem Anlagewert - und einem äußerst riskanten Wertspeicher -, aber nicht zu einem geeigneten Tauschmittel. Die Gefahr eines plötzlichen Kurssturzes bedeutet, dass die Migranten und ihre Familien in der Heimat sich nie sicher sein können, welcher Betrag überwiesen wird.
Kryptowährungen als Ausweg
Statt El Salvadors Einführung des Bitcoin bloß als ein weiteres Beispiel des Kryptohypes zu verwerfen, sollten wir darüber nachdenken, warum so viele Menschen weltweit bereit sind, Kryptowährungen für nicht spekulative Zwecke zu nutzen. Womöglich liegt die Antwort in der Tatsache begründet, dass das derzeitige internationale Finanzsystem ihnen entweder schlecht oder gar nicht dient.
Innovationen beim digitalen Geld wie etwa der mobile Zahlungsdienst M-Pesa in Afrika sind in den Zahlungssystemen vieler Entwicklungsländer auf dem Vormarsch. Doch es gibt noch einiges zu tun, um die zur Unterstützung digitalen Geldes erforderliche Infrastruktur und Regulierung zu gewährleisten. Bisher bleiben diese lückenhaft.
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Es bedarf dringend grenzübergreifender Richtlinien, um sicherzustellen, dass der Bitcoin und seine Spielformen in den Entwicklungsländern nicht mehr Schaden als Nutzen anrichten. Sofern nicht sowohl der öffentliche als auch der private Sektor wichtige Reformen umsetzen und allen Menschen preiswert Bankdienstleistungen zugänglich machen, werden sich Menschen und Regierungen zunehmend zum Bitcoin und zu anderen preiswerten, aber hochriskanten und undurchsichtigen Alternativen zum traditionellen Bankgeschäft hingezogen fühlen.
Aus dem Englischen von Jan Doolan
Paola Subacchi
ist Professorin für internationale Volkswirtschaft am Queen Mary Global Policy Institute der University of London und Verfasserin mehrerer Bücher, darunter zuletzt "The Cost of Free Money".
In Zusammenarbeit mit Project Syndicate veröffentlichen die Publikationen des Finanzen Verlags Meinungsbeiträge renommierter Experten. Die Ökonomin Paola Subacchi analysiert die Risiken von Kryptowährungen in Entwicklungsländern.