Viel war gestritten worden um die 60 Milliarden Euro schwere Fusion zwischen Linde und Praxair. Die Verhandlungen starteten denkbar schlecht - Linde-Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle ging mit einem zerstrittenen Vorstand in die Verhandlungen. Zudem musste er sich den Vorwurf des Insiderhandels gefallen lassen, da er vor den Verhandlungen Aktien für eine halbe Million Euro gekauft hatte. Die Staatsanwaltschaft München fand jedoch keine Beweise dafür.
Arbeitnehmervertreter protestierten gegen mit der Fusion einhergehenden Jobabbau und Werksschließungen. Vor allem im Segment Anlagebau ging die Sorge vor Schließung, einem Verkauf oder Spin-Off um. Insgesamt sorgten sich die Eigner darum, dass Linde bei der Fusion "Unter Gleichen" zu kurz kommen könnte - auch weil der Sitz der neuen Holding in den USA liegen soll.
Reitzle hat im Tumult einiges an Renomée eingebüßt. Dennoch ist er auf der Hauptversammlung am 10. Mai mit immerhin 94 Prozent der Aktionärsstimmen entlastet worden. Und am Donnerstag kann er damit rechnen, dass rund zwei Drittel der Aufsichtsräte der Fusion zustimmen werden. Selbst wenn sich die Arbeitnehmervertreter dagegen stellen sollten, könnte Reitzle den Zusammenschluss mit seinem doppelten Stimmrecht durchboxen. Aber es deutet sich an, dass die Arbeitnehmerseite nicht geschlossen abstimmen wird - die Logik der Fusion ist vielen klar. Nach dem Zusammenschluss überholt der neue Konzern mit einem Umsatz von rund 30 Milliarden Euro und rund 90 000 Mitarbeitern den französischen Konkurrenten Air Liquide.
Nur der Dresdner Betriebsratschef Frank Sonntag könnte sich enthalten. Er vertritt das Anlagenbauer-Werk in Dresden. Und das stünde auf der Kippe, wenn Linde kartellrechtliche Anforderungen erfüllen müsste. Der Anlagebau ist von Großaufträgen abhängig und damit stark zyklisch.
Gestärkt wird das Werk nun allerdings von einem Großauftrag aus Russland. Die "Süddeutsche Zeitung" meldete, dass am Freitag ein Deal im Umfang von etwa einer Milliarde Euro im Beisein des russischen Präsidenten Wladimir Putin, dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer und einem Vorstandsvertreter von Linde in St. Petersburg unterzeichnet werden soll.
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Einschätzung der Redaktion
Die Wahrscheinlichkeit, dass Reitele die Fusion durchsetzt ist mittlerweile so groß wie nie zuvor. Die Fusion würde das operative Geschäft positiv beeinflussen. Ende der Woche dürften im Falle einer Zustimmung erste Synergieerwartungen bekannt gegeben werden dürfen - die guten Nachrichten könnten den zuletzt eher abwartenden Kurs nach oben schieben.
Empfehlung: Kaufen.
Zielkurs: 193,00 Euro
Stoppkurs: 165,00 Euro