Am Geschacher um die Machtzentren war letztlich im Spätsommer beim ersten Anlauf ein Zusammengehen gescheitert. In der Folge nahmen einige Spitzenmanager bei Linde ihren Hut, Finanzchef Georg Denoke musste sofort gehen, Vorstandschef Wolfgang Büchele folgte wenig später. Zuvor verpasste er Linde noch einen harten Sparkurs, um die Rendite nach oben zu trimmen.
Insidern zufolge zeigten sich die Amerikaner im aktuellen Versuch nicht mehr so hartleibig und machten einige Zugeständnisse. "In ihrem Brief vor zwei Wochen machte Praxair zwar keine konkreten Vorschläge, machte aber deutlich, dass sie nun verstanden hätten, was für die deutsche Seite wichtig ist und versprachen, darauf einzugehen", sagte ein Kenner des Vorgangs.
LINDE STEHT DRAUF - PRAXAIR DRIN?
Ein wichtiger Schachzug: Insidern zufolge soll das neue Gebilde weiterhin Linde heißen, womit die 131-jährige Namenstradition beibehalten würde. Das Personaltableau scheint bereits einigermaßen austariert: Reitzle soll Verwaltungsratschef werden, Konzernlenker der bisherige Praxair-Chef Steve Angel. Das Finanzressort soll Praxair-CFO Matthew White übernehmen. Von Linde könnten im Spitzenmanagement Europa-Chef Bernd Eulitz und Asien-Lenker Sanjiv Lamba an Bord bleiben, schätzt Baader-Analyst Markus Mayer. Doch wo die Männer ihren Dienstsitz nehmen, bleibt eines der sensibelsten Themen.
Insidern zufolge will Angel das Machtzentrum im Praxair-Hauptquartier im US-Bundesstaat Connecticut halten. Lediglich ein Vorstand soll demnach noch in München residieren. Die zwei großen Standorte im Großraum der bayerischen Landeshauptstadt dürften allerdings entgegen dem ersten Plan weitgehend verschont werden, vor allem das Traditionswerk in Pullach im Isartal, hieß es. Andernfalls hätte Praxair sicher nicht die Stimmen der Arbeitnehmervertreter bei der Abstimmung am Mittwoch gewonnen, wenn auch die IG Metall die Entwicklung weiter mit Argwohn verfolge.
Nachdem der Aufsichtsrat des Münchner Traditionskonzerns am Mittwoch grünes Licht für neue Fusionsgespräche gegeben hat, muss nun der alte Linde-Veteran Aldo Belloni das Projekt zu Ende bringen. Aufsichtsratschef Reitzle stattete den 66-jährigen Pensionär mit einem zweijährigen Mandat dafür aus, nachdem Vorstandschef Büchele gleich am Mittwoch sein Amt räumte, um den Weg für einen neuen, unbelasteten Anlauf frei zu machen.
Von der bayerischen Staatsregierung braucht Linde keinen großen Widerstand zu fürchten. Nach Aussage von Insidern hat sich am Dienstag das bayerische CSU-Kabinett mit dem Thema befasst und auf Basis der neuen Vorschläge keine Einwände mehr erhoben. Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner erklärte am Donnerstag gegenüber Reuters, dem Freistaat sei besonders wichtig, dass "der Zusammenschluss gleichwertig erfolgt und die Bedeutung des Standorts Bayern eine herausgehobene bleibt". Mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit von Linde könne die Fusion deutliche Vorteile bringen. "Für mich steht dabei auch die Frage im Vordergrund, ob im Zuge der Fusion Beschäftigung gesichert wird. Gleichzeitig ist es wichtig, dass München ein gewichtiger Firmenstandort bleibt", erklärte die Ministerin.
Analysten zeigten sich zurückhaltend, ob es im zweiten Anlauf zur Megafusion kommt. "Die Entscheidung des Aufsichtsrats, die Gespräche wieder aufzunehmen, ist ein Schritt in Richtung einer Übereinkunft, aber es reduziert das Risiko des Scheiterns nur marginal", urteilt Peter Spengler von der DZ Bank. "Ein Zusammengehen hängt weiter von der Zustimmung beider Seiten und der Freigabe durch die Kartellbehörden ab." Knud Hinkel von Equinet schätzt die Chancen auf eine Einigung optimistischer ein, allerdings ebenfalls nicht ohne Gefahr: "Obwohl wir die Vorteile einer nun sehr wahrscheinlichen Fusion sehen, so ist sie doch nicht ohne Risiken."
rtr