Man hatte damit gerechnet, ein Schock war es dennoch: der historisch beispiellose Anstieg der Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe in den USA auf 3,3 Millionen Personen. Eine Verzehnfachung der sonst zuletzt üblichen Zahl. Angesichts der Tatsache, dass ein großer Anteil der amerikanischen Haushalte über keinen nennenswerten finanziellen Notgroschen verfügt, ist der Schreck über den Anstieg noch einmal größer.
Allerdings, und das relativiert die Zahl ein wenig, ist der amerikanische Arbeitsmarkt weit flexibler als etwa der deutsche. Es wird zwar schnell gefeuert, aber eben auch schnell wieder eingestellt. Und so kommt es, dass manch einer - gerade an der Börse - weiterhin von einer V-förmigen, also einer schnellen Erholung träumt. Doch das ist vermutlich verkehrt.
Entscheidend für die Entwicklung der Konjunktur sind die drei altbekannten Produktionsfaktoren Kapital, Land (respektive Mieten, wenn man den Begriff weiter fasst) und Arbeit. Die aktuelle Krise hat jeden dieser Faktoren auf unterschiedliche Weise beeinflusst, und die Kombination von Geld-, Steuer- und Gesundheitspolitik hat auch unterschiedliche Auswirkungen auf jeden der drei Faktoren. Bisher hat die Geld- und Fiskalpolitik der Amerikaner und der Europäer Zeit gewonnen, damit sich die Wirtschaft stabilisieren kann. An Liquidität und Kapital mangelt es zunächst nicht. Schwieriger wird es mit den anderen Faktoren.
Die Wirtschaft kann sich letztlich nicht vollständig erholen ohne gesunde und produktive Arbeitskräfte. Dieser Faktor hängt hauptsächlich von der Gesundheitspolitik ab, mit ein wenig Glück vom Wetter und natürlich von der medizinischen Forschung. Auch der Faktor Land ist schwierig einzuschätzen, nachdem zahlreiche Unternehmen angekündigt haben, zunächst keine Mieten mehr für Geschäftsräume oder Ladengeschäfte zahlen zu wollen.
Das ist eine Menge Unsicherheit, was die entscheidenden Faktoren angeht. Der Traum einer V-förmigen Erholung erscheint daher unrealistisch.
Aber man weiß als Aktionär, dass die Börse die Dinge vorwegnimmt: Der Aktienmarkt ist zukunftsgerichtet und wird mit Sicherheit früher nach oben tendieren, als es aktuelle Konjunkturindikatoren vermuten lassen. Trotzdem wird man sich gedulden müssen. Studien zeigen, dass Bärenmärkte während einer Rezession - und von einer Rezession sollte man realistischerweise ausgehen - tendenziell länger anhalten als Bärenmärkte, die nicht während einer Rezession ablaufen.
Vom starken Anstieg der Aktienkurse in der vergangenen Woche sollte man sich als Anleger daher nicht blenden lassen. Denn auch hier zeigt uns die Historie, dass es innerhalb eines übergeordneten Bärenmarkts immer wieder zu atemberaubenden Zwischenrallys kommt, die allerdings stets wieder in sich zusammenfallen.
So wie sich die Kurse seit einigen Wochen entwickeln, kann man daraus schließen, dass es sich bei der Rally, die beispielsweise den DAX um rund 2000 Punkte zeitweise über die 10 000er-Marke gehievt hat, lediglich um eine Bärenmarktrally handelt.
Als Anleger sollte man sich also nicht wundern, wenn die bisherigen Tiefstände der zurückliegenden Wochen erneut angesteuert werden, egal ob es sich nun um den DAX oder um die anderen großen Indizes der Weltbörsen handelt. Und es gibt keine Garantie dafür, dass diese Tiefs dann halten werden.