Christine Lagarde geht in die Offensive: Für die nächste Zinssitzung am 22. Juli hat die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) Änderungen in Sachen Zinspolitik angedeutet. Es seien "interessante Abwandlungen und Veränderungen" zu erwarten, sagte sie dem Fernsehsender Bloomberg TV am Rande des G-20-Gipfels. "Es wird ein wichtiges Treffen", so Lagarde.
Konkret wird es dabei vor allem um die Formulierung des Inflationsziels gehen, so viel ist schon bekannt. Statt wie bisher "unter, aber nahe zwei Prozent" lautet die Formulierung dann "genau zwei Prozent". Dies mag eine marginale Änderung sein, jedoch erlaubt die neue Zielmarke der Notenbank künftig, auch dann die Zinsen unverändert zu lassen, wenn die Teuerung zeitweise "moderat über den Zielwert" hinausschießen sollte. Was beispielsweise aktuell in Deutschland der Fall ist: Hier lag der Preisauftrieb zuletzt bei 2,3 Prozent
Abgeschaut hat man sich das alles ganz offensichtlich bei der amerikanischen Notenbank Federal Reserve (Fed). Zumindest ähnelt die Idee der EZB dem amerikanischen Average Inflation Targeting. Diese Regel lässt zu, dass die Fed nach einer Zeit mit einer Inflation unterhalb des Inflationsziels temporär auch ein Überschießen dulden darf. In den USA reicht letztlich also ein Durchschnittswert aus, um die Zielmarke zu erreichen.
Sorgen beim ZEW
Dass die EZB ihre Politik ändert, sorgt indes auch für Kritik. So hat sich Bundesbankpräsident Jens Weidmann im Vorfeld dagegen ausgesprochen, um dann final aber doch zuzustimmen. Friedrich Heinemann vom Konjunkturinstitut ZEW wiederum glaubt, dass das neue Inflationsziel einer tatsächlich höheren Geldentwertung den Weg bereitet. "Weil Inflation unter zwei Prozent jetzt als genauso schlecht gilt wie Inflation über zwei Prozent, wird es die EZB in den kommenden Jahren noch leichter haben, die Politik der extrem lockeren Geldpolitik und der Anleihekäufe fortzusetzen", so der Experte.
Man darf also gespannt sein. Im September wird die EZB neue Projektionen zu Inflation und Wirtschaftswachstum vorlegen. Zuvor steht am 22. Juli die bereits erwähnte Sitzung ins Haus, auf der man die gerade beschlossenen Änderungen der Strategie anwenden wird.
Nichts geändert wird an der derzeit wichtigsten Stellschraube der EZB: am Anleihekaufprogramm PEPP. Hier gingen die Meinungen weit auseinander. So gab es Stimmen, die mit Blick auf die verbesserten Konjunkturaussichten eine Kürzung des PEPP nach dem dritten Quartal forderten. Andere verwiesen auf die niedrigen Inflationsaussichten für die Jahre ab 2022 und sahen daher gar eine Ausweitung des Programms im Bereich des Möglichen.
Rekorde an der Börse
Für die Börsen ist das zunächst positiv. Weder die EZB noch die Fed werden riskieren, dass die Erholungsdynamik nachlässt. Beide Notenbanken sind bereit, eine vorübergehende Überhitzung der Volkswirtschaften hinzunehmen. Und darum wird es wohl dabei bleiben: Die Konsumausgaben privater Haushalte sowie die Aufhebung der Restriktionen treiben die wirtschaftliche Erholung weiterhin an, was wiederum den Risikoappetit der Anleger fördert. Daher ist es kaum verwunderlich, dass die Indizes wie schon in den Vormonaten immer wieder neue Rekorde erreichen. Das gute makroökonomische Momentum hält also an und wird vor allem konjunktursensiblen Aktien weiterhin Auftrieb verschaffen.
Martin Blümel ist leitender Redakteur bei BÖRSE ONLINE und Autor des Börsenblogs www.bluemelstaunt.com