Die Börsen haben wieder etwas mehr Schwung: Der global ausgerichtete Aktienindex MSCI World hat drei Wochen in Folge zugelegt. Allerdings läuft es nicht überall gleich gut. Auffällig ist, dass die US-Indizes mehr Kraft haben als etwa die europäischen Börsenbarometer. Der Leitindex Dow Jones hat sogar ein neues Allzeithoch geschafft.
Die Sorgen, die gerade im September sehr belastend waren, wurden beiseitegeschoben. Fast scheint es so, als ob sich die Anleger inzwischen an die doch immer gleichen Belastungen gewöhnt hätten: an die steigenden Energiepreise, Renditen und Inflationsdaten. Weniger Sorgen auch in China: Hier soll sich der hoch verschuldete Immobilienkonzern Evergrande mit einer längst überfälligen Zinszahlung Luft verschafft haben.
Ein weiterer wichtiger Grund für die bessere Stimmung am Aktienmarkt ist der gute Start in die Berichtssaison. So lieferten vor allem die großen US-Banken starke Umsatz- und Gewinnzahlen. Und auch die anderen bisher veröffentlichten Quartalsberichte lagen großteils über den Erwartungen der Analysten. Zwar haben erst 100 der 500 großen Unternehmen des S & P-Index ihre neuesten Daten publiziert, doch diese geben einen guten Vorgeschmack auf das, was in den nächsten Wochen ansteht. Denn 88 Prozent der vorgelegten Quartalszahlen übertrafen die Gewinnerwartungen und sorgten so für eine positive Überraschung.
Das Raunen am Markt
In Europa ist vor allem die Zinssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) im Fokus, die parallel zum Erscheinen dieser BÖRSE ONLINE stattfindet. Zwar stehen keine Beschlüsse an, jedoch dürfte wie immer die Pressekonferenz Hinweise auf die EZB-Politik in den kommenden Monaten liefern. Dies ist vor allem deswegen spannend, weil sich die Leitzinserwartungen am Markt zuletzt stark verschoben haben: Die Mehrheit sieht inzwischen eine erste Zinsanhebung gegen Ende 2022. Dies jedoch steht im krassen Gegensatz zur aktuellen "Forward Guidance" der EZB, also der bisherigen offiziellen Kommunikation der Notenbank, was ihre künftigen geldpolitischen Absichten angeht.
EZB-Chefin Christine Lagarde wird hierzu also Stellung beziehen müssen: Hat der Markt recht mit der erwarteten Erhöhung 2022 oder bleibt es bei den von Lagarde versprochenen unveränderten Leitzinsen für einen viel längeren Zeithorizont? Auch zu den Gerüchten über den Fortgang der Anleihekäufe im kommenden Jahr könnte sie sich äußern. Einen Entschluss hierzu soll es im Dezember geben. Dass die Käufe fortgesetzt werden, scheint derweil klar. "Wir sind so wie viele Beobachter der Meinung, dass die Anleihekäufe im März 2022 nicht abrupt reduziert, sondern diese im Jahr 2022 graduell reduziert werden", schreibt die österreichische Raiffeisenbank in einer Analyse. "Zudem gibt es für die EZB nach unserer Ansicht kein Argument, aggressiver als die Fed vorzugehen."
Ein Hauch von Jahresendrally
Was bleibt also? Die Inflationsängste als vermutlich größter Belastungsfaktor für den Aktienmarkt sind derzeit in den Hintergrund getreten, werden aber wohl immer wieder mal, je nach Datenlage, in den Fokus rücken. Aktuell aber wird den Nachrichten aus dem Unternehmenssektor weit mehr Beachtung geschenkt. Und da hier in den nächsten Wochen von weiteren positiven Überraschungen in Sachen Umsatz- und Gewinnentwicklung auszugehen ist, darf man für Aktien weiterhin positiv sein. Es sieht durchaus nach Jahresendrally aus.
Martin Blümel ist leitender Redakteur bei BÖRSE ONLINE und Autor des Börsenblogs www.bluemelstaunt.com