US-Konjunktur normalisiert sich
Die US-Notenbank hat ihre Wachstumsprognosen insgesamt verringert und geht von einer Normalisierung in den kommenden Jahren aus (2021: 5,9 statt 7,0 Prozent; 2022: 3,8 statt 3,3 Prozent; 2023: 2,5 statt 2,4 Prozent und 2024 2,0 Prozent). Während in der Industrie die Basiseffekte aufgezehrt sind, wirkt eine anhaltend prekäre Infektionslage als Stimmungsbremse auf die Corona-sensitiven Dienstleister.
Ein schwächeres Konjunkturumfeld signalisiert zuletzt auch der enttäuschende Arbeitsmarktbericht. Demnach gibt es in der US-Wirtschaft immer noch rund fünf Mio. Jobs weniger als vor der Krise. Die Beschäftigungsplanung bei Dienstleistern und in der Industrie ist gemäß Institut for Supply Management zuletzt sogar rückläufig.
Inflation als geldpolitische Gretchenfrage
Zwar geht die Fed weiterhin davon aus, dass die jüngsten Inflationsanstiege vorübergehend sind. Diese Einschätzung trägt sie zuletzt allerdings weniger überzeugend vor. Dazu passen auch ihre für 2021 auf 4,2 statt 3,4 und 2022 auf 2,2 statt 2,1 Prozent angehobenen Inflationsprojektionen. Ihre Prognosen für 2023 und 2024 von 2,2 bzw. 2,1 Prozent signalisieren allerdings, dass sie den langfristigen Preisdruck als weniger bedrohlich einschätzt. Ohnehin will sie ja tolerant sein, selbst wenn die Inflation für einige Zeit zwei Prozent moderat übersteigt. Es war ja auch lange Zeit umgekehrt.
Immerhin sprechen rückläufige Preise für Vorprodukte für allmählich auslaufende Lieferengpässe und geringeren Spielraum für Preisüberwälzungen. US-Inflationserwartungen im Abwärtstrend sprechen in der Tat eher für transitorischen Preisdruck.
Tapering ist nüchtern zu betrachten
Dennoch, um ihre geldpolitische Glaubwürdigkeit zu bewahren, reagiert die US-Notenbank auf den aktuell hartnäckigen Preisdruck. So stellt Fed-Chef Powell die Reduktion der Anleihenkäufe (Tapering) gegen Jahresende in Aussicht.
Doch haben sich die Finanzmärkte bereits mit Tapering arrangiert. Die Katze ist aus dem Sack. Laut Bank of America Global Fund Manager Survey erwarten 84 Prozent der Befragten den Tapering-Beginn spätestens im Dezember. Das deutet darauf hin, dass ein Großteil der Renditeanstiege bei US-Staatsanleihen bereits eingepreist ist. Der Vergleich mit 2014 zeigt sogar, dass mit Beginn des tatsächlichen Tapering die vorher gerüchteweise gestiegenen Staatsanleiherenditen sogar wieder gesunken sind.
Grundsätzlich begrüßen die Finanzakteure einen transparenten und strukturierten Tapering-Zeitplan, der sie sprichwörtlich an die Hand nimmt und ihnen klare Anhaltspunkte für eine moderate Liquiditätsdrosselung gibt. Mit Blick auf Konjunkturnormalisierung, Delta-Variante und chinesische Blasen-Probleme wird es die Fed ohnehin nicht eilig haben und bei ihrer Liquiditätsdrosselung wie bereits ab 2014 keine Dynamik an den Tag legen. Bei einer möglichen Tapering-Ankündigung auf ihrer Sitzung am 3. November und einer monatlichen Drosselung des Aufkaufvolumens um 15 Mrd. wird sie voraussichtlich noch bis Mitte 2022 Anleihen aufkaufen. Von einem Liquiditätsentzug ist keine Rede.
Fed verteilt Beruhigungspillen für die Aktienmärkte
Zudem betonte Powell, dass mit dem Ende der Aufkäufe nicht automatisch eine Erhöhung der Leitzinsen einhergeht. Dennoch geht die Fed gemäß ihren Zinsprojektionen (sog. "Dot-Plot") nun 2022 von einer Zinswende aus. 2023 sieht sie den Leitzins bei 1,0 und 2024 sogar bei 1,8 Prozent.
Allerdings ist dies alles andere als in Stein gemeißelt. Denn Powell verweist auf die konjunkturelle Unsicherheit, die die angepeilten Zinsanhebungen zu Eventualgrößen machen. Und selbst wenn die Fed ihre Leitzinsen wie vorausgesagt anhebt, bleiben negative reale US-Notenbankzinsen als Ausdruck üppiger Leitzinspolitik fest verankert. Das ist keine restriktive Zinspolitik.
Marktlage - Wie krisenanfällig ist der Aktienmarkt?
Die Pleite des chinesischen Immobilienriesen Evergrande und die Angst vor Ansteckungseffekten hat die Aktien weltweit zwar beeindruckt. Für etwas Entspannung sorgt aber immerhin die zuletzt pünktliche Zinsrückzahlung auf ausstehende Anleihen.
Ganz überraschend kommt die Evergrande-Krise nicht. China hat bereits vor einiger Zeit Krediteinschränkungen zur Begrenzung der Schuldenlast im überhitzten Immobiliensektor vorgenommen, die die Schieflage von Evergrande mitverursacht haben.
Grundsätzlich ist die KP nicht mehr zur bedingungslosen Stützung komplexer Großkonzerne bereit, durch die sie ihre Macht bedroht sieht und die über Blasenbildungen unkontrollierbare konjunkturelle und finanzwirtschaftliche Risiken darstellen. Dieser sozialistische Kreuzzug gegen kapitalistische Stilblüten lässt sich sicherlich gut vermarkten.
Dennoch wird Peking keinen verheerenden Lehman-Moment riskieren, der China im geopolitischen Wettstreit mit den USA zurückwerfen würde. Ohnehin würde eine Wirtschaft, die durch einen Kollaps des Immobiliensektors - 30 Prozent Beitrag zur Wirtschaftsleistung - in die Rezession abrutschte, der von Präsident Xi ausgerufenen Förderung des "gemeinsamen Wohlstands" widersprechen. Nicht zuletzt geht es um die Wahrung des sozialen Friedens, der durch einen sprunghaften Anstieg der Arbeitslosigkeit und einen Absturz der Vermögenswerte - ein Großteil des Vermögens der Chinesen steckt in Immobilien - in Gefahr geriete.
So dürften Chinas Banken auf Geheiß der KP Zinszahlungen zunächst stunden und weiterhin Kredite bereitstellen, um Ansteckungseffekte für den gesamten Immobiliensektor zu verhindern. Damit kauft sich China genug Zeit, um eine kontrollierte Zerschlagung von Evergrande in die Wege zu leiten und mit dem Verkauf werthaltiger Unternehmensteile - z.B. Autobahn- und Pharma-Beteiligungen - die massive Verschuldung über 300 Mrd. US-Dollar zumindest zu entschärfen.
Unverdächtige Kreditausfallprämien für China und ein nur knapp unter Jahreshoch notierender Shanghai Stock Exchange Composite Index sprechen prinzipiell nicht für drohendes Ungemach für die Konjunktur- und Finanzwelt.
Für Moll-Töne an der Börse sorgt zurzeit das ritualisierte Drama um die Erhöhung der US-Schuldenobergrenze. Bei ausbleibender Einigung droht laut Finanzministerin Yellen ab Mitte Oktober die Staatspleite. Soweit wird es auch dieses Mal nicht kommen. Die Republikaner, die mit ihrem Veto das 3,5 Bio. schwere Sozial-Paket der Demokraten stoppen können, setzten sich einem massiven öffentlichen Druck aus. Und mit Zugeständnissen in puncto Steuererhöhungen arbeiten die Demokraten bereits auf eine Einlenkung im Budgetkonflikt hin. Ohnehin werden sich Republikaner und Demokraten angesichts der 2022 anstehenden Zwischenwahl nicht selbst kasteien wollen.
Sollte der Budget-Konflikt oder auch die Evergrande-Krise jedoch wider Erwarten eskalieren, wird die Fed und andere Notenbanken wie gewohnt die Rolle der Lebensversicherung annehmen und für Börsenentspannung sorgen.
Da somit auch die Gewinn- ihren Vorsprung vor den Anleiherenditen behalten, droht dem Aktienmarkt kein wirkliches fundamentales Ungemach.
Bundestagswahl 2021 - Welche politische Farbkombination hat demnächst das Sagen?
Insbesondere auf Rot-Grün-Rot würden die Aktienmärkte allergisch reagieren. Vor Steuererhöhungsplänen - u.a. Vermögenssteuer - schrecken sie ebenso zurück wie vor zu viel staatsautoritärer Bevormundung. Aufgrund der zu erwartenden Regulierung würden Immobilienunternehmen und Konzerne mit klimaschädlichem Fußabdruck unter Druck geraten. Zudem wird eine weitere Untergrabung der ohnehin darbenden Euro-Stabilitätskultur z.B. mit einer Schulden-Vergemeinschaftung befürchtet.
Bei Beteiligung der Grünen würden dagegen klimafreundlich produzierende Unternehmen und diejenigen, die sich mit Umwelttechnik beschäftigen, profitieren.
Wahlergebnisse, die zu einer Jamaika-, Ampel- oder Deutschlandkoalition führten, würden den deutschen Aktienmarkt allerdings kaum beeindrucken, der bereits bislang wirtschafts- und finanzpolitisch nicht verwöhnt wurde.
Wünschenswert wäre eine Regierung, die eine reformfreudige Wirtschaftspolitik betreibt, beherzt die Digitalisierung vorantreibt und das Aktiensparen fördert. Mit der Aussicht auf ein Dreier-Bündnis besteht zugleich die Gefahr, dass man sich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt.
Sentiment und Charttechnik DAX - Wir sind überverkauft!
Kurzfristig ist die Stimmung unter den Anlegern mit Blick auf das Trio Infernale - Evergrande, Tapering und Bundestagswahl - angeschlagen. Auch am US-Aktienmarkt haben die Pessimisten aktuell die Oberhand. Dieses Szenario hat aber auch große Qualitäten als Kontraindikator, die gegen eine dramatische Aktienkonsolidierung sprechen.
Insgesamt handelt es sich momentan um eine gesunde Korrektur. Überhaupt betrachten viele Anleger den Ausverkauf als lang ersehnte Kaufgelegenheit, um bewertungsseitig wieder günstig einzusteigen.
Charttechnisch trifft der DAX auf der Unterseite bei 15.565, 15.539 und 15.513 Punkten auf erste Unterstützungen. Bei fortlaufender Korrektur bieten die Marken bei 15.450, 15.384 und 15.291 Halt. Darunter nimmt der DAX Kurs auf die Marken bei 15.050, 14.935 und 14.932. Auf dem Weg nach oben trifft der Index zunächst auf Widerstand bei 15.640 und 15.680. Darüber liegen weitere Hürden bei 15.790 und 15.800 Punkten.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.