€uro fondsxpress: Herr Felsenheimer, Griechenlands
Premier Tsipras sagt, die Sparauflagen der Geldgeber
plünderten sein Land aus, der IWF trage eine "kriminelle
Verantwortung" für die heutige Lage.
Jochen Felsenheimer: Das ist eine sehr einseitige
Sicht der Dinge und faktisch falsch. Griechenland
hat sich zu Sparauflagen verpflichtet, um Kredite
zu erhalten. Falls die Regierung sich nicht daran
hält, dann - um im Jargon zu bleiben - plündert
es seine Kreditgeber aus und nicht umgekehrt.
Der IWF hat zumindest bis 2014 Griechenland vierteljährlich
die Schuldentragfähigkeit attestiert. Haben
die Währungshüter fahrlässig gehandelt?
Die Wachstumsprognosen des IWF, die dieser Aussage
zugrunde lagen, waren wohl zu optimistisch.
Die positiven Effekte der eingeforderten Reformvorhaben
benötigen einfach mehr Zeit, bis sie ihre
Wirkung entfalten.
Muss auch der IWF die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands
fürchten?
Natürlich stellt die Causa Griechenland einen einmaligen
Vorgang dar. Einen so offenen Affront hat
der IWF wohl noch nicht erlebt. Auch hier löst Griechenland
gewisse Zweitrundeneffekte aus, da andere
Länder, die Kredite vom IWF erhalten haben,
einen griechischen Weg einschlagen könnten.
Der IWF drängt die EU, Griechenland den Schuldendienst
zu erleichtern. Warum geht er nicht mit gutem Beispiel voran?
Es gibt keine einseitigen Lösungen - alle Kreditgeber müssen zustimmen.
Der IWF pocht auf die Einhaltung der vereinbarten Regeln
und die EU steht unter enormem politischem Druck. Alles unter einen
Hut zu bringen ist dementsprechend schwierig.
Bis Ende diesen Monats muss Griechenland an den IWF 1,5 Milliarden
Euro überweisen. Im Juli und August werden 6,7 Milliarden Euro an die
EZB fällig. Kann Athen die Mittel aufbringen?
Nicht ohne weiter Hilfszahlungen zu erhalten. Griechenland hat bereits
alle internen Geldquellen angezapft und ausgeschöpft - ich sehe
nicht, wo da noch relevante Beträge herkommen sollten.
Überweist Athen kein Geld, dann werden die 7,2 Milliarden Euro aus dem
Hilfsprogramm nicht ausgezahlt. Ist das Land dann pleite?
Ökonomisch schon lange, aber es gibt unterschiedliche legale Definitionen
der Zahlungsunfähigkeit. Beispielsweise argumentieren die
Ratingagenturen, dass eine Nichtbedienung der IWF-Kredite nicht
dazu führen würde, dass Griechenland als "zahlungsunfähig" eingestuft
würde. Dasselbe gilt für die EZB-Kredite.
Wie beurteilen Sie die Verhandlungspolitik der griechischen Regierung?
Aus spieltheoretischer Sicht ist die Verhandlungstaktik Griechenlands
schwer nachvollziehbar. Es sieht eher nach einem Pokerspiel
aus: Griechenland hat geblufft und keiner ist darauf hereingefallen.
Verlangen die Gläubiger Ihrer Meinung nach zu viel von der griechischen
Regierung? Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann etwa
vermag den Sinn einer Mehrwertsteuererhöhung auf Medikamente
nicht zu erkennen.
Man kann einzelne Maßnahmen diskutieren, aber
im Prinzip ist die Forderung, Kredite nur dann zu
gewähren, wenn Reformen umgesetzt werden,
vollkommen nachvollziehbar. Es ist übrigens eine
amüsante Anekdote, dass Österreich mit der Abwicklung
der Hypo Alpe Adria einen eher "griechischen"
Weg eingeschlagen hat.
Warum sind trotz des Sparprogramms Griechenlands
die Schulden nicht nachhaltig gesunken?
Fakt ist, dass Griechenland vor fünf Jahren eine
sehr viel höhere reale Verschuldung hatte, als die
offiziellen Zahlen vermuten ließen. Der entscheidende
Punkt ist, dass Griechenlands Schuldenstand
realistisch betrachtet durch Wirtschaftswachstum
allein nicht nachhaltig reduziert werden
kann. Das erklärt die Forderung nach einem
weiteren Schuldenschnitt.
Warum ist es für die Gläubiger so entscheidend, dass
Athen ein Primärüberschussziel verbindlich zusagt?
Nur dann kann zumindest theoretisch eine Rückzahlung
der Kredite erreicht werden. Generiert
Griechenland einen negativen Haushalt, steigt der
Verschuldungsgrad weiter an.
Ist aus Ihrer Sicht noch ein Kompromiss zwischen
Athen und den Institutionen möglich, der dann auch
die Zustimmung der nationalen Parlamente findet?
Ja, aber natürlich nur mehr ein fauler Kompromiss.
Das heißt, man wird sich etwas entgegenkommen, beide Seiten wahren
ihr Gesicht und die Grundproblematik bleibt bestehen. Ich glaube
leider, dies ist das wahrscheinlichste Ergebnis.
Wie aber würden die Märkte auf ein Scheitern reagieren?
Die Märkte haben die direkten Effekte bereits teilweise eingepreist.
Viel bedrohlicher als die direkten sind Zweitrundeneffekte. Hierzu
zählen unter anderem die steigenden Refinanzierungskosten in den
anderen Peripherieländern.
Den Anleihen der Peripheriestaaten drohen Kursverluste?
Ja. Das wäre die logische Konsequenz.
Wird die EZB dann ihr Anleihekaufprogramm intensivieren?
Das muss wohl leider befürchtet werden. Das EZB-Kaufprogramm
hat nur sehr geringe realwirtschaftliche Effekte bewirkt - hauptsächlich
führt es zu Vermögenswertinflation. Und dadurch langfristig zu
einer Destabilisierung der europäischen Finanzmärkte.
Sind dann deutsche Bundesanleihen wieder als sicherer Hafen gesucht?
Die EZB ist der dominante Akteur auf dem Markt für Bundesanleihen.
Das erklärt die aktuelle niedrige Liquidität und die daraus resultierende
hohe Volatilität. Im Falle eines Grexits werden Bundesanleihen
deshalb technisch bedingt davon sehr stark profitieren.
Die Investmentgesellschaft Pimco hat ihre Position bei griechischen
Staatsanleihen erhöht. Riskante Wette oder kluges Investieren?
Es ist eine ziemlich digitale Wette, deren intellektuelle Tiefe ich nicht
erkennen kann. Es gibt andere Strategien, denen ich ein effizienteres
Risiko-Return-Profil unterstellen würde.