CRASH-PHASEN IM VERGLEICH
Freilich waren die Crash-Phasen in der Vergangenheit sehr unterschiedlich. Der Einbruch 1987 fällt ganz aus dem Rahmen. Es war ein Crash wie im Lehrbuch: Plötzlich und ohne Vorwarnung, heftig, schmerzhaft, aber glücklicherweise nur sehr kurz. 2007 verlief der Kursrückgang lange Zeit relativ maßvoll (ähnlich wie heute), brach dann aber nach der Lehman-Pleite kräftig ein. Da gab es für die Kurse kein Halten mehr. Der Absturz kam erst zum Ende, als Regierungen und Notenbanken die Reißleine zogen und mit allen Mitteln eine größere Krise zu verhindern suchten.
Beide Phasen kommen als Vergleich zu heute kaum in Frage. Die jetzige Entwicklung ähnelt am ehesten der Zeit 2000. In den ersten zwölf Monaten entwickelten sich die Aktienkurse damals ganz ähnlich wie das, was wir heute sehen. In den darauffolgenden zwei Jahren stürzten die Kurse aber ohne erkennbaren neuen Grund noch einmal um 60 % ab. Wenn sich das jetzt wiederholen sollte, dann würde der DAX in den nächsten zwei Jahren noch bis auf unter 4000 (!) zurückgehen.
»Es ist aber ungemütlich. Vor allem die politischen Risiken sind hoch und schwer einschätzbar. Da kann immer mal was passieren.«
Auf Seite 2: Könnte das passieren?
Könnte das passieren? Aus fundamentaler Sicht, nein. Dazu sind die Verhältnisse heute ganz anders. Das Wirtschaftswachstum ist zwar nicht berauschend. Es ist aber stabiler als damals. Damit sind auch die Unternehmensgewinne besser. Das reale Bruttoinlandsprodukt ist damals in einigen Quartalen zeitweise absolut zurückgegangen.
Hinzu kommt, dass die Stimmung in der Wirtschaft heute besser ist als damals. Der ifo-Index rutschte damals unter die 100er-Marke. Heute liegt er deutlich darüber. Der Euro war auf den Devisenmärkten schwach. Das half zwar der Exportindustrie. Es kamen aber immer mehr Zweifel auf, ob die gerade eingeführte Gemeinschaftswährung wirklich halten würde.
Die Geldpolitik ist diesmal viel "aktienfreundlicher" als damals. Die Europäische Zentralbank hatte ihren Kurs Anfang des Jahres 2000 noch einmal verschärft. Sie erhöhte den Leitzins von 3,5 % auf 4,25 % und behielt ihn über viele Jahre auf diesem hohen Niveau. Das ist in keiner Weise mit der heutigen Situation zu vergleichen.
Schließlich gibt es diesmal - anders als 2000 - keine wirkliche Alternative zu Aktien. Die langfristigen Zinsen waren damals mit um die 5 % vergleichsweise hoch. Wer sich aus dem Aktienmarkt verabschiedete, stand nicht mit leeren Händen da. Er bekam bei Festverzinslichen Wertpapieren ordentliche Erträge.
Es gab eigentlich nur eines, was damals besser war. Das waren die politischen Bedingungen. Die Welt befand sich damals immer noch im Friedenstaumel nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Der Europäische Binnenmarkt wurde eingeführt und stimulierte die Exporte. In Europa verhandelte man mit den osteuropäischen Ländern über einen Beitritt zur EU. Mit Russland war das Verhältnis entspannter. In Ostasien gab es weniger Krisenherde. So etwas hilft den Aktien, reicht aber nicht, die Entwicklung der Märkte umzukehren. Dies umso mehr als im Nahen Osten auch damals schon gekämpft wurde.
Können wir uns also zurücklehnen und müssen keine Kursrückgänge wie damals befürchten? Nein. Als große Risiken bleiben immer noch die überbordende Liquidität und das hohe Niveau der Kurse. Nach dem inflationsbereinigten Kurs-/ Gewinn-Verhältnis des amerikanischen Ökonomen Robert Shiller ("Shiller KGV") ist die Bewertung der Aktienmärkte heute in Deutschland zwar nicht höher als der historische Durchschnitt. Die US-Märkte liegen jedoch weit darüber. Wenn es dort kracht, dann sind natürlich auch wir betroffen.
Es bleiben zudem die Event-Risiken. Wenn es heute so etwas wie ein "Lehman-Moment" gäbe (zum Beispiel im Zusammenhang mit der Bankenkrise in Italien), dann wäre dies auch für die Aktienmärkte ein schwerer Schlag. Er könnte einen Flächenbrand auslösen.
Für den Anleger
Es sieht im Augenblick nicht so aus, als wenn sich einer der Crashs aus früheren Jahren wiederholen würden. Es ist aber ungemütlich. Vor allem die politischen Risiken sind hoch und schwer einschätzbar. Da kann immer mal was passieren. Die Erfahrung lehrt, dass es nach so langen Phasen steigender Kurse immer mal wieder kracht. Aus fundamentaler Sicht dürften etwaige Einbrüche wegen der niedrigen Zinsen aber nicht so stark ausfallen wie früher.
Anmerkungen oder Anregungen? Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen: martin.huefner@assenagon.com.