Das Königreich solle aus dem Binnenmarkt und der Zollunion austreten und stattdessen ein neues Freihandelsabkommen mit der EU vereinbaren. Zugleich betonte May aber in ihren bislang detailliertesten Äußerungen zum Bruch mit den 27 anderen EU-Staaten, dass ihr Land "bester Freund und Nachbar" seiner europäischen Partner bleiben wolle. "Wir verlassen die Europäische Union, aber wir verlassen nicht Europa."
Formell sollen die Brexit-Verhandlungen mit der EU im März eingeleitet werden. Das wäre ein dreiviertel Jahr nach dem Referendum, bei dem eine knappe Mehrheit der Briten für einen Ausstieg aus der EU stimmte. May sagte, sie peile als Zeitraum zwei Jahre an. Das Ergebnis werde beiden Häusern des britischen Parlaments zur Abstimmung vorgelegt. Anschließend solle es in mehreren Schritten umgesetzt werden. Vermutlich 2019 dürfte sich dann eine der neben Deutschland und Frankreich drei größten Wirtschaftsmächte Europas endgültig aus der EU verabschieden. Großbritannien war der Staatengemeinschaft 1973 beigetreten.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier begrüßte, dass May "endlich ein wenig mehr Klarheit über die britischen Pläne geschaffen hat". Deutschland wolle "möglichst gute, enge und vertrauensvolle Beziehungen" zu Großbritannien. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sagte, ein Rosinenpicken der Briten, das Bewahren von Binnenmarkt-Vorteilen trotz EU-Austritts, werde es nicht geben. "Wichtig ist nun, dass wir schnell in ein geordnetes Verfahren kommen." EU-Ratspräsident Donald Tusk sprach von einem schmerzlichen Prozess. Die restliche EU bleibe vereint und sei zu Verhandlungen bereit.
An den Märkten sorgte Mays mit Spannung erwarteter Auftritt für Erleichterung. Das britische Pfund zog zum Euro und zum Dollar an. Dax und EuroStoxx50 drehten vorübergehend ins Plus.
"BESSER KEIN ABKOMMEN ALS EIN SCHLECHTES ABKOMMEN"
Die Europäer blieben in Großbritannien willkommen, und sie hoffe, dass dies auch umgekehrt gelte, sagte May. Sie unterstrich allerdings, es sei ihre Aufgabe, "das richtige Abkommen für Großbritannien" zu erzielen. Keine Vereinbarung sei im Zweifel besser als ein schlechtes Abkommen. May warnte, Großbritannien könnte Unternehmen und Investoren außerhalb Europas mit Steuervergünstigungen anlocken. Europäische Firmen und Banken liefen dann Gefahr, ohne Abkommen den Zugang zum britischen Markt zu verlieren.
"Keiner hat ein Interesse daran, dass Unternehmen an einen Abgrund geraten oder es eine Bedrohung der Stabilität gibt", sagte May. Der Brexit solle "ruhig und geordnet" ablaufen. Ihr schwebe eine "neue und gleichberechtigte Partnerschaft zwischen einem unabhängigen, sich selbst regierenden, globalen Großbritannien und unseren Freunden und Verbündeten in der EU" vor. Ihre Vorschläge ließen es jedoch nicht zu, dass Großbritannien Teil des EU-Binnenmarkts bleibe. "Stattdessen streben wir den größtmöglichen Zugang durch ein neues, umfassendes, mutiges und ehrgeiziges Freihandelsabkommen an."
In bestimmten Bereichen könne ein solcher Deal Elemente der derzeitigen Binnenmarkt-Vereinbarungen enthalten, sagte May. Sie hoffe auf ein Zollabkommen, das einen reibungslosen und grenzüberschreitenden Handel gewährleiste. Mitglied der Zollunion könne Großbritannien aber keinesfalls bleiben, wenn es auch eigene Handelsvereinbarungen mit anderen Ländern treffen wolle. Was etwa ein Abkommen mit den USA angehe, so befinde sich Großbritannien nun "in vorderster Reihe". Donald Trump, der am Freitag als US-Präsident vereidigt wird, hatte in einem Zeitungsinterview angekündigt, rasch ein Handelsabkommen mit Großbritannien anzustreben. "Der Brexit wird sich als großartige Sache herausstellen", sagte er.
EXPERTEN: WACHSTUM AUF DER INSEL WIRD STÄRKER LEIDEN
Insgesamt listete May zwölf Ziele auf, die für sie in den Verhandlungen mit der EU Priorität haben. Dazu zählte sie auch eine strengere Kontrolle der Einwanderung vom europäischen Kontinent auf die Insel. Auch wolle sie Großbritannien aus dem Zuständigkeitsbereich des Europäischen Gerichtshofs nehmen. Die Beschränkung der Einwanderung und die Verärgerung über den Einfluss der EU waren für viele Briten Hauptgründe, im Juni für den Brexit zu stimmen.
Kritik kam von Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon. Sie warnte vor einer "wirtschaftlichen Katastrophe" für Großbritannien. Schottland habe nicht für den Kurs gestimmt, den May nun vorgebe. Die Regierung in London dürfe Schottland nicht aus der EU oder den Binnenmarkt reißen, ohne dass die Schotten über eine andere Zukunft entscheiden könnten. Die Stimme Schottlands werde bisher aber nicht gehört.
Der deutsche Bankenverband BdB reagierte gelassen. Britische Institute verlören mit einem harten Brexit auf jeden Fall den "EU-Pass". Dies werde zu Anpassungen von Geschäftstätigkeiten führen und mit Verlagerungen an andere Finanzstandorte einhergehen. Profitieren werde davon etwa der Finanzplatz Frankfurt. Der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier, sagte der Nachrichtenagentur Reuters, das Wachstum auf beiden Seiten des Ärmelkanals werde leiden, allerdings "deutlich stärker auf der britischen Seite". Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, sagte Reuters, die wirtschaftlichen Kosten eines harten Brexit seien "sicherlich höher als alle anderen Optionen".
rtr