Seit Monaten kreist May in ihren Erklärungen, Interviews und Reden um dieses Problem. Zwar greift sie dabei immer wieder auf Plattitüden zurück wie "Brexit bedeutet Brexit" oder den "Brexit zum Erfolg machen". Wer genau zuhört, macht allerdings eine Entwicklung aus: May scheint immer mehr von einem klaren Schnitt ("hard Brexit") Abstand zu nehmen und ihr Land - wenn möglich - im Binnenmarkt halten zu wollen.

Ein englisches Sprichwort bringt Mays Dilemma auf den Punkt: "You can't have your cake and eat it". Beides geht eben nicht: Den Kuchen unversehrt lassen und ein Stück davon essen. Bezogen auf den Brexit bedeutet das, wer beim EU-Binnenmarkt dabei sein will, muss auch die EU-Grundfreiheiten akzeptieren - dazu gehört die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Immer wieder haben das die anderen Europäer den Briten gesagt, zuletzt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in der "Financial Times": "Es gibt kein Menü a la carte. Es gibt nur das ganze Menü oder keines." Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dieses Mantra seit dem Brexit-Votum der Briten stets wiederholt: Die EU werde keine Rosinenpickerei zulassen.

MAY SETZTE ZUNÄCHST AUF EIGENINTERESSE DER EU-STAATEN



Wie kommt May aus der Zwickmühle heraus? In ihren ersten Reden nach der Amtsübernahme klang sie noch recht zuversichtlich und versuchte, die anderen EU-Staaten bei deren Interessen zu packen. Es sei "sehr klar" dass die Briten in ihrem Referendum dafür votiert hätten, die EU zu verlassen und die Kontrolle über die Einwanderung von EU-Bürgern zurückzugewinnen, sagte sie nach ihrem Antrittsbesuch bei Merkel am 20. Juli. Klar sei aber auch, dass man einen "angemessenen Deal" für den Handel mit Waren und Dienstleistungen wolle. Das sei nicht nur gut für Großbritannien, sondern auch für die restlichen EU-Staaten.

In den folgenden Wochen variierte May diese Argumentation, etwa nach Gesprächen mit dem französischen Präsidenten Francois Hollande oder ihrem italienischen Kollegen Matteo Renzi. Immer ging es um den "besten Deal" für die Briten, aber auch für die EU. Ab Ende September verschob sich der Akzent dann etwas. Die künftigen Handelsbeziehungen rückten etwas stärker nach vorn. So erklärte May am 27. September nach einem Telefonat mit dem belgischen Regierungschef Charles Michel, in den Verhandlungen mit der EU werde es eine Priorität sein, britischen Firmen weiter den Handel mit dem EU-Binnenmarkt zu erlauben. Es müsse aber sichergestellt werden, dass "wir mehr Kontrolle über die Anzahl der Menschen bekommen, die aus Europa hierher kommen".

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FREIER HANDEL "MIT UND INNERHALB DES BINNENMARKTES"



Auf dem Parteitag der Konservativen am 2. Oktober wählte May dann eine neue Formulierung. In ihrer Rede ging es erneut um den "bestmöglichen Deal". Aber dann folgten die Sätze: "Ich will, dass dieser den freien Handel mit Waren und Dienstleistungen beinhaltet. Ich will, dass er den britischen Firmen die maximale Freiheit im Handel mit und innerhalb des Binnenmarktes ermöglicht - und europäischen Unternehmen das gleiche bei uns." Am 21. Oktober wiederholte sie das neue Vokabular dann bei ihrem ersten EU-Gipfel. Es gehe um den freien Handel "mit und innerhalb" des Binnenmarktes. Richard North, ein früherer Redenschreiber für euroskeptische britische Politiker, sagt, die Formulierung "innerhalb" sei bezeichnend: "Sie ist sehr, sehr präzise und sagt damit ganz klar, dass sie in dem anstehenden Abkommen mit der EU den Zugang Großbritanniens zum Binnenmarkt anstrebt."

Ein Sprecher der britischen Regierung wollte sich nicht dazu äußern. Er sagte nur, es gehe um eine "maßgeschneiderte Abmachung". Seit dem Parteitag rückte die Einwanderungsfrage verbal weiter in den Hintergrund. In einer Rede vor Geschäftsleuten in dieser Woche erwähnte sie das Thema nicht einmal mehr. Stattdessen ging sie verstärkt auf die Sorgen vor wirtschaftlichen Problemen ein.

Mit ihren sprachlichen Volten lässt May zumindest Raum für weitere Spekulationen, welchen Kurs sie tatsächlich einschlagen wird. Spätestens bis Ende März will sie den Austrittsantrag bei der EU stellen - ab dann wird es konkret. Kürzlich witzelte Oppositionsführer James Corbyn im Unterhaus, er habe erwartet, dass May die Formulierung wiederhole, "Brexit bedeutet Brexit". Unter dem Gelächter der Abgeordneten fügte er hinzu: "Ich bin sicher, eines Tages wird sie uns sagen, was das bedeutet."

rtr