Die Bewältigung von Covid-19 hat vor allem Impfstoffentwickler und Diagnostikspezialisten ins Scheinwerferlicht gerückt. Dagegen verbuchten die meisten Unternehmen aus der Medizintechnik bis zum Herbst 2020 spürbare Umsatz- und Gewinneinbußen, weil Kliniken und Arztpraxen rund um den Globus unter dem Eindruck der Corona-Krise sowohl die regulären Behandlungen als auch ihre Investitionen zurückfahren mussten. Eine wichtige Rolle spielte hier, dass Patienten von sich aus aufgrund der Furcht vor einer Infektion im Krankenhaus chirurgische Eingriffe aufschoben.

Zugleich haben die jüngsten Quartalszahlen untermauert, dass sich dieser Trend seit Ende 2020 umgekehrt hat. So blieb Telemedizinspezialist Teladoc Health zuletzt unter den Erwartungen. Zugleich hat das Wachstum bei den Branchengrößen wieder angezogen, unter anderem weil die Nachfrage in traditionellen Segmenten wie der Orthopädie oder Herz-Kreislauf-Behandlungen steigt. Etliche Produkteinführungen, die für 2021 erwartet werden, könnten Wachstum und Aktienkurse weiter beflügeln. "Es zeichnet sich immer mehr ab, dass sich das Wachstum bei reinen Covid-19-Profiteuren abschwächt. Andere Bereiche wie die Orthopädie oder die OP-Robotik werden dagegen von Nachholeffekten getragen", meint Kai Brüning von Apo Asset Management.

Chancen für den Bereich Telemedizin

Zugleich beschleunigt sich die Digitalisierung der Branche. "Durch die Corona-Krise ist dieser Trend 2020 so schnell fortgeschritten, wie es ohne die Pandemie für drei Jahre erwartet worden war", meint Marcel Fritsch, Portfoliomanager bei Bellevue Asset Management. Das zeige sich vor allem bei der Telemedizin und dem digitalen Management chronischer Krankheiten. Die gestiegene Akzeptanz, so das Fazit des Experten, werde auch in den kommenden Jahren für hohe Wachstumsraten sorgen. Davon profitieren würden etwa die robotergestützte Chirurgie und die Diabetesbehandlung über Blutzuckermessgeräte, die am Körper getragen werden und in Echtzeit den Glukosespiegel messen.

Anders als in der Medikamentenentwicklung existieren in der Medizintechnik keine Produktmonopole. Für jedes zugelassene Gerät auf der Grundlage einer neuen Technologie etablieren sich danach in der Regel bis zu drei große oder auch kleinere Anbieter. Zugleich ist ein neuer Markt im Entstehen, der alle Services rund um die Anwendung der Produkte und die Patientenbetreuung abdeckt. Für die Branchengrößen in der Medizintechnik eröffnet dieser Paradigmenwandel die Chance, sich als Komplettanbieter zu etablieren. Katalysator für diesen Trend sind Einsparungen im Gesundheitswesen. Die medizinische Versorgung steht hier vor der Herausforderung, mehr Effizienz bei niedrigeren Kosten zu erzielen.

Wegen des konjunkturresistenten Wachstums ist die Medizintechnik ein klassischer defensiver Baustein für jedes Anlegerdepot. Wer in diesen Sektor investiert, muss einen langfristigen Anlagehorizont mitbringen. Darin ähnelt die Medizintechnik der Biotechnologie, die mit noch höheren Wachstumsraten glänzt, aber auch erheblich höhere Verlustrisiken, vor allem bei klinischen Fehlschlägen, mitbringt. Allerdings müssen Anleger für die stabilen Wachstumsraten in der Regel höhere Bewertungen in Kauf nehmen.

Edwards Lifesciences zählt zu den technologischen Vorreitern beim minimalinvasiven Ersatz von Herzklappen und steht in diesem Jahr vor einem Gewinnsprung. Mit den jüngsten Quartalszahlen hat das Unternehmen bei Umsatz und Gewinn bereits die Erwartungen getoppt. Im Zuge der Corona-Krise aufgeschobene chirurgische Eingriffe werden in den kommenden Monaten nachgeholt. Der Markt für Transkatheter-Aortenherzklappen soll sich zwischen 2018 und 2024 auf sieben Milliarden US-Dollar verdoppeln. Hier ist Edwards mit dem Modell Sapien 3 führend. Beim Transkatheter-Aortenklappenersatz werden zusammenlegbare Herzklappen in einem Stent verankert und über Ballonkatheter bis zum Herzen vorgeschoben und dann platziert.

Die Stärke von Medtronic, dem weltweit größten Medtechkonzern, liegt in seiner Diversifikation. Damit hat das Unternehmen zwischen 2015 und 2019 ein jährliches Umsatzplus von fast elf Prozent geschafft. Medizinische Geräte für minimalinvasive Eingriffe und Blutzuckermessgeräte für Diabetiker zählen ebenso zum Produktsortiment wie Herzschrittmacher oder auch Beatmungsgeräte. Trotzdem machten sich die Auswirkungen der Corona-Pandemie auch bei Medtronic negativ bemerkbar, weil sowohl Gerätebestellungen als auch medizinische Behandlungen verschoben wurden. In den letzten zwei Quartalen hat sich das Wachstum wieder beschleunigt. Die Aktie nimmt einen neuen Anlauf auf das Allzeithoch, das sie unmittelbar vor dem Corona-Crash im März 2020 erreicht hatte.

Stryker wiederum ist unter anderem bei robotergestützten chirurgischen Eingriffen für den Hüft- und Kniegelenkersatz top. Der Mako-Roboterarm ermöglicht hier eine neue Operationstechnik, bei der Simulationen dem operierenden Arzt einen genauen Plan vorgeben. In allen seinen Geschäftsfeldern gehört Stryker zu den fünf größten Produzenten weltweit. Der Umsatz soll bis 2024 auf beachtliche 20,8 Milliarden US-Dollar klettern, was ausgehend von 2020 einer Steigerung von über 44 Prozent entspricht. Der Gewinn soll dazu überproportional steigen. 35 Prozent der Erlöse entfallen auf die Orthopädiesparte mit ihren Geräten und Technologien für die Unfallchirurgie.

Bei Siemens Healthineers sollte die Neuausrichtung auf der Produktseite die Profitabilität gegenüber Konkurrenten weiter steigern. Die Vorsteuermarge liegt mit 14,4 Prozent auf dem Niveau von Abbott Labs und übertrifft deutlich die 9,5 Prozent von Medtronic. Um die 16,4 Milliarden Dollar teure Übernahme des auf Strahlentherapien gegen Krebs spezialisierten US-Unternehmens Varian zu finanzieren, hat die frühere Siemens-Tochter im März über eine Kapitalerhöhung 2,3 Milliarden US-Dollar eingesammelt. Der Streubesitz erhöht sich auf 25 Prozent - und damit auch die Chance, im September in den auf 40 Titel erweiterten DAX aufzusteigen.

Durchstarter mit Nischenfokus





Der geplante Verkauf des Ultraschallgeschäfts könnte Branchenexperten zufolge eine Milliarde Dollar einbringen. Noch im ersten Halbjahr soll das Analysesystem Atellica die Zulassung erhalten. Über Blutentnahme aus der Fingerspitze lassen sich kardiale Troponine feststellen, also Eiweißbausteine, die in den Muskelzellen der Herzmuskulatur vorkommen. Ärzte können mit diesem Verfahren Herzinfarkte präziser diagnostizieren.

Dexcom hat sich seit der Einführung des ersten Geräts zur kontinuierlichen Blutzuckermessung über Sensoren als Pionier in diesem Segment etabliert. Die neue Gerätegeneration G7 soll 2021 auf dem Markt eingeführt werden.

Bei den reinen Medtechfonds hat der BB Adamant Medtech & Services seine Positionen bei Aktien wie Thermo Fisher und Teladoc reduziert, die mit ihren Produkten stark von der Corona-Krise profitiert hatten. Die robotergestützte Chirurgie und die Behandlung chronischer Krankheiten wie Diabetes zählt das Fondsmanagement zu den wachsstumsstarken Bereichen für die Zeit nach der Corona-Pandemie.

Der Apo Digital Health ist von seiner Anlagestrategie ganz auf digitale Anwendungen im Gesundheitswesen ausgerichtet. Zu den Portfoliopositionen zählen so unterschiedliche Firmen wie Amazon, Philips, Intuitive Surgical oder Teladoc Health. Zuletzt erwies sich der beträchtliche Anteil von Internetschwergewichten als wichtiger Performance- treiber. stefan riedel

 


Auf einen Blick: Medizintechnik