Es ist kein Geheimnis: Konsumentenschützer und Finanzdienstleister liegen mit ihren Ansichten mitunter über Kreuz. Wenn aber beide Seiten zur Erkenntnis kommen, dass Vorschriften am Ziel vorbeischießen, und Korrekturen fordern, dann deutet das auf einen echten Missstand hin. Man könnte auch sagen, es gibt einen weiteren Fall von verfehltem finanziellen Verbraucherschutz.

Die Rede ist von der EU-Wertpapierrichtlinie Mifid 2, der Finanzmarktverordnung MiFIR und der Verordnung zur Einführung von Basisinformationsblättern, PRIIPs. Diese Regelwerke sind seit Januar 2018 in Kraft und sorgen für allerhand Unverständnis bei Bankkunden, Beratern und Verbraucherschützern. Ziel war es, die Rechte der Anleger zu stärken. Das ist zweifellos sinnvoll, um schwarzen Schafen in der Finanzbranche Grenzen zu setzen. Doch die Praxis zeigt, dass der europäische Gesetzgeber ein Regelwerk geschaffen hat, das Verbraucher vor allem belastet, ausbremst und bevormundet - statt ihnen zu nützen und sie zu schützen.

Die empirische Evidenz dafür hat kürzlich Stephan Paul vorgelegt. Der ­Finanzwissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum hat im Auftrag der Deutschen Kreditwirtschaft untersucht, ob die aus Mifid, MiFIR und PRIIPs resultierenden Belastungen durch einen ausreichend hohen Nutzenzuwachs kompensiert werden. Dazu ließ er 3.000 Bankkunden sowie mehr als 150 Kredit­institute befragen. Das Fazit der Auswirkungsstudie: "In ihrer Gesamtheit sind die Neuregelungen (…) fragwürdig und laufen Verbraucher­interessen in Summe zuwider."

Neue Schutzvorschriften
machen Geldanlage kompliziert


Pauls Erkenntnisse decken sich mit Rückmeldungen der bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken an den Genossenschaftsverband Bayern. Und sie passen zum Ergebnis einer Umfrage der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Die hat ergeben, dass über 90 Prozent der Teilnehmer die neuen Regeln als "negativ" bewerten. Was ist bei Mifid 2 schiefgelaufen?

Erstens: Die Bankkunden werden mit noch mehr Pflichtinformationen konfrontiert. Knapp zwei Drittel von ihnen fühlen sich von dieser Dokumentenflut überfordert, wie die Paul-Studie ergab. Ebenso viele fühlen sich nicht besser aufgeklärt. Das Ziel, allen Anlegern eine stabile Entscheidungsgrundlage zu geben, wird also verfehlt. Der frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück formulierte es vor einiger Zeit so: "Wenn ich als Privatanleger für jedes Wertpapier seitenlange Formulare vorgelegt bekomme, hat das mit transparenter ­Information doch nichts mehr zu tun, das liest doch kein Mensch."

Ein Beispiel für fragwürdige Informationspflichten ist das sogenannte Basis­informationsblatt. Anlegern wird das "BIB" vor dem Erwerb von Wertpapieren ausgehändigt. Das bis zu drei Seiten umfassende Papier enthält Szenarien für die Wert­entwicklung, die auf Basis gesetzlich vorgeschriebener Rechen­methoden ermittelt werden. So weit so gut, doch in der Praxis ergeben diese mitunter Mondrenditen im zwei- bis dreistelligen Prozentbereich. Das führt nicht nur Kunden in die Irre, sondern bringt auch Bankberater in die Bredouille: Sie müssen ihren Kunden erklären, warum das BIB nicht verlässlich ist.

Zweitens: Die neuen Schutzvorschriften verkomplizieren die Wertpapier­anlage. Ein Viertel der Kunden fühlt sich deshalb ausgebremst und engagiert sich weniger am Kapitalmarkt, wie die Auswirkungsstudie ergeben hat. Jeder Achte will sogar komplett die Finger von Wertpapieren lassen. Die Anleger weichen stattdessen auf einfache, aber renditeschwache Festzinsangebote wie Tagesgeld aus. Das ist kontraproduktiv für die Altersvorsorge. Zumal die EZB die Tiefzinsphase bis 2020 ausdehnen will.

Wie Mifid 2 Wertpapierinvestitionen behindert, zeigt die neu eingeführte Aufzeichnungspflicht von telefonischen Beratungsgesprächen. Spricht der Anleger mit dem Berater über den Erwerb von Finanzinstrumenten, läuft das Band mit - auch dann, wenn der Kunde das gar nicht möchte, weil es tief in die Privatsphäre geht. Die Kritik ist massiv: Fast 65 Prozent der Kunden empfinden das "Taping" als Störfaktor, ergab die Paul-Studie. Nahezu die Hälfte will telefonische Orders deshalb bleiben lassen.

Erschwert wird durch die neuen Regeln auch der Handel mit Anleihen, wie mancher Leser dieser Zeitschrift schon gemerkt haben wird. Das liegt daran, dass Emittenten mittlerweile einen "Zielmarkt" definieren müssen. So legen sie fest, ob Privatanleger als potenzielle Käufer ihrer Bonds infrage kommen. Viele Emittenten mit Sitz außerhalb des Mifid-Rechtsgebiets sparen sich diesen Aufwand jedoch und konzentrieren sich auf institutionelle Investoren. Die Papiere sind dann für Privatleute in Europa nicht mehr verfügbar.

Banken ziehen sich wegen
Mifid aus der Beratung zurück


Drittens: Die Entscheidungsfreiheit der Kunden wird beschnitten. Fast die Hälfte braucht nach eigenen Angaben das BIB nicht. Und drei Viertel würden gerne freiwillig auf die Aufzeichnung der telefonischen Beratung verzichten. Geht aber nicht, denn in beiden Fällen hat der Gesetzgeber das Prinzip der Bevormundung verfolgt - und keine Wahl­freiheit eingeräumt. Dazu der Vorstand einer bayerischen Genossenschaftsbank: "Einer unserer Kunden ordert seit Jahren nahezu täglich am Telefon Aktien. Er kann schlicht nicht verstehen, warum er als mündiger Bürger nicht auf die Aufzeichnung verzichten kann." Ob das überhaupt jemand verstehen kann?

Die neuen Vorschriften zur Wert­papier- und Anlageberatung sind sicher gut gemeint. Doch die drei genannten Problemfelder zeigen exemplarisch Konstruktionsfehler auf. Die neuen Regeln verbessern das Informationsniveau nur bedingt und tragen auch nicht zu ­einer bedarfsgerechten Geldanlage mit Wertpapieren bei. Zumal die Gefahr struktureller Veränderungen besteht: So haben sich bereits Banken in Reaktion auf Mifid 2 aus der Anlageberatung zurückgezogen oder ihr Angebot eingeschränkt. Das kann nicht im gesellschaftlichen Interesse sein. Angesichts der Niedrigzinsphase ist qualifizierte ­Finanzberatung wichtiger denn je.

Die Bundesregierung ist gefordert. Sie sollte sich auf EU-Ebene für Korrekturen an der Wertpapierrichtlinie einsetzen. Wichtig sind praxisgerechte Regelungen, die Schutzbedürfnis, Eigenverantwortung und Selbstbestimmtheit der Anleger ausbalancieren. Und: Die im Berliner Koalitionsvertrag zugesagte Überprüfung des finanziellen Verbraucherschutzes muss über Mifid 2 hinaus zügig angegangen werden.

zum Gastautor:

Jürgen Gros, Präsident des
Genossenschafts­verbands Bayern

Der GVB vertritt seit mehr als 125 Jahren die Interessen bayerischer Genossenschaften. Zu seinen 1.242 Mitgliedern zählen 236 Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie über 1.000 Unternehmen aus Branchen wie Landwirtschaft, Energie, Handel, Handwerk und Dienstleistungen. Sie bilden mit rund 50.000 Beschäftigten und 2,9 Millionen Anteilseignern eine der größten mittelständischen Wirtschaftsorganisationen im Freistaat.