Den Hintergrund für diese Art von Portfoliomanagement hat die finanzwissenschaftliche Forschung schon vor Jahrzehnten gelegt. Es zeigte sich, dass gewisse Themen oder Selektionskriterien eine hohe Performance-Relevanz aufweisen. Beispielsweise entwickeln sich Aktienportfolios mit günstig bewerteten Aktien langfristig besser als der breite Markt; Analoges gilt aber auch für Portfolios mit wenig volatilen Aktien oder für Aktien mit einem positiven Momentum. Weitere Faktoren mit einem langfristig positiven Performance-Beitrag sind hohe Profitabilität, hohe Bilanzqualität oder auch positive Gewinnrevisionen. Schließlich spielt auch die Größe von Unternehmen eine Rolle; empirisch lässt sich zeigen, dass kleinere Unternehmen langfristig eine bessere Wertentwicklung als große aufweisen und somit eine Prämie generieren.
In der finanzwissenschaftlichen Literatur spricht man diesbezüglich auch von der Vereinnahmung von Risikoprämien. Der Begriff der Risikoprämie ist durchaus passend, denn auch wenn langfristig eine Aktienselektion auf Basis der oben genannten Faktoren zu einer Outperformance gegenüber dem breiten Markt führt, so ist eine solche Strategie nicht ohne Risiko. Das Risiko besteht in einer Portfoliostruktur, die teilweise extrem von den standardmäßig marktkapitalisierten Indizes abweicht, explizite und implizite "Wetten" enthält und dementsprechend einen erheblichen Tracking Error mit sich bringt. Deshalb setzt sich zunehmend der Trend durch, im Rahmen von sogenannten Multi-Smart-Beta-Konzepten gleichzeitig mehrere Risikoprämien zu vereinnahmen, da somit in gewissen Grenzen eine Risikodiversifikation ermöglicht wird, ohne zwangsläufig Performance-Potenziale zu verwässern.
Allerdings steckt hier der Teufel im Detail: Was sich in der Theorie gut anhört, ist in der Praxis nicht leicht zu realisieren. Schließlich existieren kaum Aktien, die für alle angestrebten Faktoren positive Eigenschaften aufweisen. So sind Unternehmen günstig bewerteter Aktien oft wenig profitabel und weisen fallende Gewinne auf, während Aktien mit einer geringen Kursvolatilität nur selten ein attraktives Momentum aufweisen. Es existieren somit Zielkonflikte zwischen den verschiedenen Faktoren. Ein besonders hoher Zielerreichungsgrad bei einem Faktor kann zu einem geringen Zielerreichungsgrad bei einem anderen Faktor führen.
Deswegen ergibt es auch wenig Sinn, verschiedene Teilportfolios zu konstruieren, die jeweils auf einen Faktor "getrimmt" sind, und diese Teilportfolios in einem Gesamtportfolio zusammenzufassen. Denn jedes dieser Teilportfolios ist letztlich nur attraktiv bezüglich der Faktoreigenschaften, für die es explizit konstruiert wurde. Ein Bewertungsteilportfolio ist dementsprechend hochattraktiv hinsichtlich der Bewertungseigenschaften, aber unterdurchschnittlich attraktiv hinsichtlich aller anderen relevanten Faktoren. Ähnliches gilt für andere Faktorteilportfolios, sodass aufgrund der Zielkonflikte diese Art der Portfoliokonstruktion zwangsläufig suboptimale Ergebnisse liefert. Letztlich ist bei dieser Vorgehensweise das sogenannte Faktorexposure, also die Qualität, mit der man den Zugang zu den gewünschten Faktoren erhält, deutlich verwässert und erfüllt nicht die Ansprüche, die ein Investor an ein Multi-Smart-Beta-Portfolio stellen sollte. Die Lösung liegt stattdessen darin, unter Berücksichtigung sämtlicher Zielbeziehungen zwischen den Faktoren den Zugang zu den Faktoren in einem simultanen Prozess zu steuern. Das ist mathematisch anspruchsvoll, bringt aber einen erheblichen Mehrwert gegenüber marktüblichen Standardlösungen.
Christian Jasperneite
Der promovierte Volkswirt arbeitet seit über 15 Jahren in verschiedenen Positionen der Warburg-Gruppe. Seit 2009 ist er Chief Investment Officer von M.M. Warburg & Co und verantwortet die strategische und taktische Ausrichtung von Portfolios. Zudem beschäftigt er sich seit vielen Jahren mit quantitativen Methoden der Aktienselektion und entwickelt unter anderem faktorbasierte Ansätze zur Steuerung von Aktienportfolios.