Wenn das Land weiter vollen Zugang zum Binnenmarkt haben wolle, müsse es auch alle vier Grundfreiheiten der EU nach einem Austritt akzeptieren. Zugleich betonte Merkel, dass die EU sich ohne die Briten weiter entwickeln und behaupten werde. "Die EU ist stark genug, um den Austritt Großbritanniens zu verkraften."

Merkel wird am Dienstag zum EU-Gipfel nach Brüssel reisen. Dort wird es zunächst ein Treffen der 27 EU-Regierungen mit dem britischen Premierminister David Cameron geben. Am Mittwoch beraten die 27 Regierungen dann alleine über den weiteren Weg der Union und die Verhandlungen mit London. Merkel sagte, Großbritannien könne zwar selbst bestimmen, wann es in Brüssel nach Artikel 50 den Austrittswunsch anmelde. Sie warnte die Briten aber, dass es vorher keine "formellen oder informellen Verhandlungen" über den künftigen Status des Landes mit der EU geben werde.

Der Ansicht des Brexit-Befürworters und früheren Londoner Bürgermeisters Boris Johnson, dass Großbritannien auch weiterhin vollen Zugang zum EU-Binnenmarkt haben werde, erteilte Merkel eine Absage. "Es muss und es wird einen spürbaren Unterschied machen, ob ein Land Mitglied der EU sein will oder nicht."

Norwegen habe als Nicht-EU-Mitglied etwa nur vollen Zugang zum EU-Binnenmarkt, weil es gleichzeitig die vier Grundfreiheiten der EU für Menschen, Güter, Dienstleistungen und Kapital akzeptiere, und dazu gehöre eben auch die Einwanderung aus der EU. Die Ablehnung der Zuwanderung von EU-Bürgern auf die Insel war aber ein zentrales Thema der Brexit-Befürworter gewesen. "Wer austreten möchte, kann nicht erwarten, dass alle Pflichten entfallen, die Privilegien aber weiter bestehen", sagte Merkel.

EU SOLL BIS MÄRZ 2017 BESCHLÜSSE FASSEN



Zugleich kündigte sie an, dass die verbleibenden 27 EU-Staaten bis spätestens bis März 2017 beschließen sollten, wie sie die EU effektiver machen wollen. Es sei falsch, die Debatte auf die Frage eines "mehr Europa" oder "weniger Europa" zu reduzieren. Dies stärke nur die Fliehkräfte in der EU. "Ein erfolgreiches Europa, das ist ein Europa, das seine Verträge und seine Versprechen einhält." Das frühere Ziel, die EU zum wettwerbsfähigsten Raum der Welt zu machen, sei nicht erreicht worden, weil Regeln missachtet und Einzelinteressen sich gegen das Gemeinwohl durchgesetzt hätten. Europa müsse nun Anschluss bei der Digitalisierung und Hochtechnologie erreichen und endlich die Jugendarbeitslosigkeit in den Griff bekommen.

Zugleich machte sie den Europäern Mut. "Wir können stolz sein auf unsere gemeinsamen europäischen Werte, auf Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Und wir können stolz sein auf unser einzigartiges Gesellschaftsmodell, um das uns auf der Welt viele beneiden", sagte sie. Dies alles werde auch ohne Großbritannien weiter bestehen bleiben.