In der vergangenen Wochenendausgabe verkündete das "Handelsblatt" "Die Neuerfindung des Liberalismus". Im Untertitel klang das dann schon etwas vorsichtiger: "Wie FDP und Grüne das Land reformieren und den Wert der Freiheit stärken könnten." Und in der Tat scheint hier die Verwendung des Konjunktiv II angemessen, denn es könnte sich um einen Irrealis handeln. Auch wenn die Grünen Kreide fressen wie noch nie, mit liberalen Positionen haben sie eigentlich nichts am Hut. Im Gegenteil: Wo die Liberalen die Frei heit des Individuums gegenüber staatlicher Regierungsgewalt und Regulie rungswut in den Mittelpunkt stellen, wollen die Grünen möglichst wenig dem Markt überlassen und Bürgern und Wirtschaft möglichst viel möglichst detail liert vorschreiben. Dieses völlig unterschiedliche Staatsverständnis wird sich in den Koalitionsverhandlungen noch als Knacknuss erweisen.
Vor knapp zwei Wochen verständigten sich mehr als 140 Länder auf einen Vorschlag der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick lung (OECD), die Mindeststeuer für Unternehmen auf 15 Prozent festzulegen. Wer Steueroasen austrocknen will, muss aber auch das Subventionsunwesen beenden. Zwar weiß noch niemand, wie das in der Praxis umgesetzt werden soll, aber die OECD nimmt bereits das nächste Thema in Angriff, die "Reka librierung" der Mehrwertsteuer, deren Aufkommen durch den grenzüber schreitenden Versandhandel verschiedentlich stark zurückgegangen ist. Wie es hier zu einer Harmonisierung kommen soll, steht erst recht in den Sternen.
Bislang hat der frühere EZB-Präsident Mario Draghi Italien eher lautlos re giert. Seit Mitte Februar ist seine Allparteienregierung jetzt im Amt, ohne dass es zu den Italientypischen Verwerfungen kam. Doch nun ist sie in eine Krise geschlittert: Die Regelung (selbst im Homeoffice), dass den Lohnanspruch verliert, wer nicht mit dem "Green Pass" nachweisen kann, dass er geimpft, genesen oder getestet ist, hat die Gewerkschaften gegen Draghi aufgebracht.