von Herausgeber Frank-B. Werner
Immer wenn es den Leuten zu gut geht, werden sie leichtsinnig. Sie nehmen dann Kredite für Häuser auf, die sie nur zurückzahlen können, wenn sie die Immobilien zu höheren Preisen wieder verkaufen können. Oder sie verschulden sich im Vertrauen auf steigende Einkommen für schöne Urlaubsreisen, dicke Autos oder riesige Flachbildschirmfernseher. Wer solchermaßen die Skepsis verliert - dass es auch einmal nicht so gut laufen könnte -, prüft auch seine Anlagen nicht mehr genau. Das war so im Amsterdam der 1630er-Jahre, als man gegen Ende der Tulpenmanie für den Preis einer Tulpenzwiebel ein ganzes Haus kaufen konnte; das war so am Neuen Markt, als die Leute jede Neuemission zeichneten, die nur irgendetwas mit Internet zu tun zu haben vorgab; und das ist jetzt mit dem Run auf Kryptowährungen wie Bitcoin so. Die Frage, ob man da mitmachen soll, erübrigt sich für Anleger. Für Spekulanten dagegen ist sie interessant. Seit die ersten Banken auch Put-Warrants emittiert haben, kann man im Übrigen auch auf das Platzen der Bitcoin-Blase wetten. Aber wie gesagt, auch das ist Spekulation. Der Tulpenwahn in den Niederlanden dauerte immerhin mehr als fünf Jahre.
Mit "Stunde Null" titelte der "Spiegel" in der vergangenen Woche nach dem Platzen der Jamaika-Sondierungen und fragte: "Land ohne ... Richtung ... Einigkeit ... Kanzlerin?" Er steht damit nicht allein. Die meisten Meinungsmacher geben sich besorgt, weil nicht alles so lief, wie sie es sich vorgestellt hatten: Angela Merkel wickelt Grüne und FDP ein und regiert vier Jahre weiter. Dabei ist gar nichts Unerhörtes passiert. Die FDP hat in den Sondierungen festgestellt, dass es zu wenig Gemeinsamkeiten gibt, und die Gespräche deshalb beendet. Dass viele den Abbruch der Sondierung offenbar als anstößig empfinden, zeigt nur, wie stark Deutschland verlernt hat, was Politik eigentlich ausmacht. Dass in der vergangenen Woche mehr über unterschiedliche Interessen diskutiert worden ist als in den vier Jahren GroKo, ist belebend und nicht besorgniserregend, wie man uns weismachen will. Danke, FDP!