Was ist es, das die europäische Währungsunion in Zukunft stabiler und besser macht? Reformen in den einzelnen Mitgliedsländern? Eine Bankenunion samt einem europäischen Einlagensicherungssystem, eine Kapitalmarktunion oder gemeinsame Interessen bei der Haushaltspolitik mit einer No-Bailout-Klausel in der Eurozone? Alle vier, sagt Ökonom Guntram Wolff. Reformen in den Mitgliedsländern seien ebenso nötig wie gemeinsame Bestrebungen in der europäischen Währungsunion. "Diese Punkte hängen zusammen. Man kann nicht eines der Themen komplett ignorieren", sagte er im Münchner Ifo-Institut.

Kapitalmarktunion: Weniger Banken, mehr Aktien und Anleihen



"Wenn es in einem Mitgliedsland der EU eine plötzliche politische oder wirtschaftliche Krise gibt, trifft das die Konsumenten und Haushalte in diesem Land wesentlich stärker als wenn etwas Vergleichbares in einem Staat der USA passieren würde", sagt Guntram Wolff vom Brüsseler Wirtschaftsforschungsinstitut Bruegel.

Der Grund dafür liegt laut dem Ökonom in der Struktur des Finanzsystems in Europa: Risiken durch länderspezifische Schocks seien nur wenig über die Kapitalmärkte versichert. In den USA etwa sieht das laut Wolff ganz anders aus: Hier seien bis zu 60 Prozent einer plötzlichen politischen oder wirtschaftlichen Krise über die Kapital- und Kreditmärkte abgesichert. In der Eurozone dagegen nur halb so viel. Um das zu ändern seien eine Union der Kapitalmärkte und eine Bankenunion in der Eurozone wichtig, sagt Wolff.

"Der Fortschritt bei der Kapitalmarktunion ist aber bescheiden, obwohl das Thema bereits älter ist", sagt Wolff. In den letzten zehn Jahren habe sich relativ wenig an der Struktur des Finanzsystems in der Währungsunion getan: "Wir haben ein starkes Bankensystem, einen relativ kleinen Markt für Staats- und Unternehmensanleihen und einen noch kleineren Markt für Aktien", kritisiert er. Die Vorstellung einer Kapitalmarktunion sei es, den Anteil des Anleihen- und Aktienmarktes zu erhöhen.

Der Vorteil: Finanzsysteme, die neben Banken auch eine starke Kapitalmarktkomponente haben, würden schneller wachsen und hätten auch weniger systemisches Risiko, sagt Wolff. "Das System hat sich in den letzten zehn Jahren aber kaum verändert". Hier nimmt der Ökonom auch die Haushalte in die Pflicht: In Europa seien fast 40 Prozent der Ersparnisse Einlagen bei Banken. Solange der Anteil so hoch sei, sei das Potenzial der Entwicklung hin zu mehr Kapitalmarkt begrenzt.

Zweiter wichtiger Punkt bei einer Kapitalmarktunion: Die grenzüberschreitende Integration der Märkte in der Eurozone. Denn ein größerer Kapitalmarkt würde das EU-Finanzsystem stabiler machen, wäre effizienter und länderspezifische Risiken könnten über die Grenzen hinweg geteilt werden. Doch in naher Zukunft wird das laut Wolff noch nicht möglich sein: "Die Kapitalmarktunion ist ein Langfrist-Thema. Kapitalmärkte entstehen nicht über Nacht und entwickeln sich sehr langsam", erklärt er. Durch den Brexit passiere zur Zeit aber etwas mehr. Diese Chance müsse man nutzen, um die Kapitalmärkte zu europäisieren.

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Bankenunion: Staaten und Finanzinstitute müssen entkoppelt werden



Auch bei den Banken in der Eurozone müsse sich noch mehr tun. Wolff plädiert für eine Bankenunion. Das politisch gewünschte Ziel dabei sei die Entkopplung von Staaten und Banken. Die sei wichtig: "Es geht darum, dass eine Bank, die Probleme hat, nicht sofort das gesamte Land und damit letztendlich alle Gläubiger und Unternehmen in diesem Land an den Rand des Abgrunds treibt", sagt der Ökonom. Wolff erinnert dafür an die Krise in den Jahren 2011 und 2012. Grund dafür sei gewesen, dass wegen schwächerer Bankbilanzen auch die Bilanzen der Staaten geschwächt wurden. Die schwächeren Staatsbilanzen wiederum zogen die Bankbilanzen weiter nach unten - ein Teufelskreis.

Um eine vollständige Bankenunion zu erreichen, wären vier entscheidende Punkte wichtig: Die Geldhäuser müssen allen den gleichen Regeln folgen. Das sei bereits umgesetzt worden. Dazu komme eine gemeinsame Bankenaufsicht, auch die gäbe es bereits. Auch in Aktion sei bereits ein gemeinsamer Abwicklungsmechanismus. Was noch ausstehe: Eine gemeinsame europäische Einlagensicherung.

"Wir müssen uns klarmachen: Wenn man eine Bankenunion schafft, die nur aus zwei oder drei dieser Elemente besteht, werden wir nicht das politisch gewünschte Ziel erreichen", sagt Wolff. "Die Frage ist einerseits: Schaffen wir es, Staatsanleihen zu begrenzen und andererseits schaffen wir es, grenzüberschreitende Banken zu haben?" Bis jetzt blieben Banken jedoch weiterhin national, es gäbe kaum grenzüberschreitende Fusionen. Auch die Chance, im Rahmen des Anleihenkaufprogramms der Europäischen Zentralbank Staatsanleihen abzustoßen, sei von den Banken kaum genutzt worden. Wegen der vielen Staatsanleihen, die die Geldhäuser in ihren Büchern hätten, seien sie weiterhin sehr abhängig von der Gesundheit der Staaten. Denn sie hätten zahlreiche Anleihen der Länder in ihren Büchern, in welchen sie ihren Sitz hätten. Italienische Banken etwa hielten viele italienische Staatsanleihen, deutsche Geldhäuser viele deutsche. Die Reduzierung einer solchen Konzentration von Staatsanleihen und eine europäische Einlagensicherung würden sich aber gegenseitig bedingen. Und nur mit der sei eine vollständige Bankenunion auch möglich.

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Fiskalunion: "Juncker und Schäuble liegen falsch"



"Die Vorstellung, dass eine Währungsunion gut funktioniert wenn jeder nur vor seiner eigenen Tür kehrt, ist falsch", sagt Wolff. In einer Währungsunion sei Fiskalpolitik sehr wichtig. Die Haushaltspolitik in einem Mitgliedsland könne auch den Rest der Währungsunion betreffen. "Es ist wichtig, dass man sich das klar macht." Ein Problem sei, dass die jetzigen Fiskalregeln sehr komplex seien und zu falschen Empfehlungen der Europäischen Kommission zur Haushaltspolitik der einzelnen Länder führten. Dazu gebe es zu viel Bürokratie. "Ich hätte gerne ein Rahmenwerk, in dem die nationale Haushaltspolitik wieder eine größere Autonomie hat".

Dafür brauche man aber auch eine größere Verantwortung für Haushaltspolitik auf nationalem Niveau. "Das bedeutet auch, dass es eine glaubwürdige No-Bailout-Klausel braucht. Das heißt, wenn ein Land schlecht wirtschaftet, müssen im ersten Schritt die Gläubiger dieses Landes daran glauben, und nicht der Rest der Währungsunion." Dazu brauche man weiterhin die Eurogruppe zur Koordinierung, wo auch gemeinsame Interessen der Fiskalpolitik diskutiert würden. "Um eine glaubwürde No-Bailout Klausel zu schaffen, müssen wir die Kapital- und Bankenunion vollständig voranbringen".

Aktuelle Vorschläge kritisiert Wolff. Jean-Claude Juncker, Präsident der EU-Kommission, und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble würden mit ihren Vorschlägen beide daneben liegen - aus unterschiedlichen Gründen. Juncker wolle, dass der EU-Kommissar Finanzminister mit einem EU-Budget werde und gleichzeitig den Vorsitz der Eurogruppe innehabe. Schäubles Idee: Die Beaufsichtigung der Haushaltspolitik der Mitgliedsländer solle in den ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) geschoben werden. Da der ESM aber stark von den Mitgliedsländern abhänge, würden dann die europäischen Interessen bei Entscheidungen zur Haushaltspolitik nicht vertreten.

"Junckers Vorschlag geht in die falsche Richtung weil er zu viel Brüssel will, Schäubles Idee geht in die andere falsche Richtung: Er will zu viel Mitgliedsländer und zu wenig Brüssel. Meiner Meinung nach liegen hier beide falsch", meint Wolff. Wolffs Vorschlag: eine "verbesserte Eurogruppe". Der erste Schritt dafür, ein Vollzeit-Eurogruppenpräsident, sei schon gemacht: Jeroen Dijsselbloem ist seit einer Woche weder Minister noch im nationalen Parlament der Niederlande.

Er sei jetzt voll und ganz für die Eurogruppe zuständig. Dazu sollte künftig entweder ein unabhängiger Fiskalrat oder ein nichtpolitischer Finanzkommissar Empfehlungen an die Eurogruppe geben. "Sollte es tatsächlich ein echtes Eurobudget geben, dann könnte man die Person, die es verantwortet, auch EU-Finanzminister nennen." Insgesamt sei aber eine föderale Option bei der Haushaltspolitik nicht realistisch, auch eine rein nationale Lösung in der Frage sei falsch. "Man muss Zwischenlösungen diskutieren", sagt Wolff.