Die Corona-Turbulenzen im März, als der WTI-Future kurzzeitig sogar in den negativen Bereich abgerutscht war, sind vergessen. Sowohl die Nordseemarke Brent als auch die US-Sorte WTI kosten mittlerweile wieder deutlich mehr als vor Ausbruch der Pandemie. Im April 2020 haben die OPEC-plus-Förderländer mit einer massiven Kürzung der Ölproduktion reagiert und dadurch einen markanten Rebound generiert. Auf den pandemiebedingten Einbruch der Ölnachfrage reagierte man nämlich mit einer enormen Reduktion der täglichen Fördermenge um fast zehn Millionen Barrel. Seit einigen Monaten soll das Ölangebot wieder sukzessive nach oben gefahren werden, was einigen Ländern aber nach dem Stilllegen von Förderanlagen und coronabedingten Einschränkungen nun erhebliche Probleme bereitet.
Zwar haben laut einer Reuters-Umfrage zehn an die Förderquoten gebundene OPEC-Länder ihre tägliche Produktionsmenge im Januar um 230.000 Barrel nach oben gefahren. Das Ziel von 250.000 Barrel wurde damit allerdings erneut verfehlt. Folgende Länder unterschreiten derzeit ihre Förderquoten: Angola, Nigeria, Kongo, Äquatorial-Guinea sowie der Irak. Ungemach droht aber auch der US-Ölproduktion. In Texas könnte nämlich die Vorhersage von Temperatureinbrüchen zu Förderausfällen beim größten US-Schieferölvorkommen Permin Basin führen. Im Land des weltweit zweitgrößten Ölverbrauchers verzeichneten die gelagerten Ölmengen in den vergangenen zwölf Monaten laut Daten von Commerzbank Commodity Research einen "Aderlass" in Höhe von 14 Prozent auf 416 Millionen Barrel, beim WTI-Lieferpunkt in Cushing (Oklahoma) war im selben Zeitraum sogar ein Rückgang um 40 Prozent auf 31,7 Millionen Barrel registriert worden. US-Präsident Biden sah sich im vergangenen Herbst dazu veranlasst, zur Eindämmung der Inflation einen Teil der strategischen Ölreserven freizugeben - bislang ohne Erfolg.
Geopolitische Krisen verunsichern
Bisher ist es nicht gelungen, den Aufwärtsdrang des Ölpreises zu stoppen. In den vergangenen Wochen gab es zusätzliche Preistreiber zu vermelden. Die drohende Kriegsgefahr in der Ostukraine sowie mehrere Angriffe jemenitischer Huthi-Rebellen auf die Vereinigten Arabischen Emirate haben zu erheblichen Unsicherheiten geführt. Prognosen zum Ölpreis gestalten sich aufgrund der Unberechenbarkeit derzeit als ausgesprochen schwierig. Mittlerweile nennen einige Analysten ein Kursziel von 100 Dollar. Für die Erholung der Weltwirtschaft wäre eine solche Entwicklung sicherlich kontraproduktiv. Dass ein Ölinvestment gegenwärtig mit einem hohen Risiko behaftet ist, belegt der vom US-Terminbörsenbetreiber CBOE konzipierte Ölvolatilitätsindex (OVX), der aus den Optionspreisen auf Öl-ETFs ermittelt wird. Mit aktuell 42 Prozent notiert er zwar deutlich unter seinem Anfang Dezember markierten 52-Wochenhoch (78,2 Prozent), zugleich übertrifft der Index allerdings seine Pendants auf den S&P-500 (VIX: 25,0 Prozent) oder Gold (GVZ: 16,7 Prozent) um mehr als das Dreifache bzw. Vierfache. Fazit: Das Risiko eines Ölinvestments ist derzeit relativ hoch.
Charttechnik: Intakter Aufwärtstrend
Seit April 2020 bewegt sich die Nordseemarke Brent unter charttechnischen Gesichtspunkten in einem steilen Aufwärtstrend und hat sich seither um den Faktor 4,6 auf den höchsten Stand seit sieben Jahren verteuert. Im Herbst vergangenen Jahres führte die hochansteckende Omikron-Variante zu einem temporären Kurseinbruch in Höhe von rund 20 Prozent. Das Verletzen der langfristigen 200-Tage-Linie generierte jedoch keinen weiteren chartinduzierten Verkaufsdruck und erwies sich somit als "Bärenfalle". Den aktuellen Aufwärtstrend kann man als intakt und ausgesprochen gesund bezeichnen. Charttechnisch spannend dürfte es werden, falls der Ölpreis in Richtung 75 Dollar zurückfallen sollte. Zum einen, weil hier die untere Begrenzung des Aufwärtstrends verläuft, und zum anderen, weil dann ein erneutes Verletzen der 200-Tage-Linie drohen würde.