Dieser Umstand und diverse fundamentale Belastungsfaktoren bringen den fossilen Energieträger aus charttechnischer Sicht in erhebliche Schwierigkeiten. Der wöchentliche Stimmungsbericht bezüglich WTI-Futures basiert stets auf den Daten vom Dienstag und spiegelt die zu diesem Zeitpunkt ermittelten Long- und Short-Positionen von kommerziellen Branchenangehörigen (Commercials), Großspekulanten (Non-Commercials) und Kleinspekulanten (Non-Reportables) wider. In der Woche zum 21. Juli war vor allem unter Großspekulanten ein nachlassender Optimismus registriert worden.
Großspekulanten haben innerhalb einer Woche auf der einen Seite ihre long positionierten Futures markant reduziert und auf der anderen Seite zugleich ihr Short-Exposure massiv nach oben gefahren. Dies führte bei deren Netto-Long-Position (optimistische Markterwartung) zu einem Rückgang von 264.387 auf 253.683 Futures (-4,0 Prozent). An den Energiemärkten genießen die Transaktionen der großen Spekulanten erfahrungsgemäß eine höhere Aufmerksamkeit als die Umschichtungen der kleinen Spekulanten. Letztere drehten ihre Netto-Short-Position (pessimistische Markterwartung) von minus 7.485 Kontrakte ins Plus und sind mittlerweile wieder mit immerhin 3.455 Futures netto long, also mehrheitlich optimistisch gestimmt. In der Vergangenheit erwiesen sich ihre Launen allerdings eher als Kontraindikator.
Aus charttechnischer Sicht kann der WTI-Future derzeit wahrlich nicht überzeugen. Nachdem der Ölpreis im Mai und Juni mehrfach am nachhaltigen Überwinden der Marke von 60 Dollar gescheitert war, verursachten negative Fundamentalnachrichten einen massiven Absturz. Die rapide fallende 200-Tage-Linie zeigt einen anhaltenden Abwärtstrend an und lässt chartorientierte Investoren eher skeptisch dreinblicken. Innerhalb von zwölf Monaten hat sich der fossile Energieträger damit mehr als halbiert.
Der charttechnische Timingindikator Relative-Stärke-Index (RSI) bewegt sich derzeit unter der Marke von 30 Prozent, was als Indiz für eine überverkaufte Lage gilt. Ende 2014 und Anfang 2015 zeichnete der RSI mit 20 Prozent unter diesem Aspekt ein eindeutigeres Bild. Da die Gefahr eines Rückfalls in Richtung altes Jahrestief noch nicht gebannt ist, drängt sich ein Einstieg noch nicht auf. Mitte März markierte der WTI-Future mit etwas mehr als 45 Dollar den niedrigsten Stand seit über sechs Jahren. Auf diesem Niveau würde sich das seit Mitte 2014 erzielte Minus auf 60 Prozent belaufen. Noch schlimmer erwischte es den Ölpreis während der Finanzmarktkrise 2008. Damals verlor der fossile Energieträger innerhalb von weniger als sechs Monaten mehr als 75 Prozent an Wert.
Auf Seite 2: Kein Ende des Überangebots in Sicht
Unter fundamentalen Aspekten spricht derzeit wenig für Rohöl. Chinas Wirtschaft, die den Löwenanteil des globalen Nachfragewachstums generiert, hinterlässt keinen sonderlich robusten Eindruck. Die seit November von der chinesischen Notenbank durchgeführten vier Zinssenkungen haben dazu geführt, dass im zweiten Quartal mit plus sieben Prozent p.a. immerhin das von der Regierung vorgegebene Wachstumsziel erreicht wurde. Auf der Angebotsseite droht im kommenden Jahr aufgrund der zu erwartenden Steigerung der iranischen Ölexporte eine Ausdehnung des Überangebots. Die Kombination einer weniger dynamischen Ölnachfrage bei zugleich wachsendem Ölangebot räumt einen nachhaltigen Trendwechsel nach oben derzeit keine großen Chancen ein.
Glaubt man den von der Nachrichtenagentur Bloomberg erfassten Analystenprognosen, darf man in den kommenden Jahren mit deutlich höheren Ölpreisen rechnen. Für das Jahr 2016 reichen nämlich die ausgesprochen Kursziele von 55,00 Dollar (Business Monitor International) bis 85,00 Dollar (Sanford C. Bernstein) und ergeben im Durchschnitt einen Wert von 67,36 Dollar. Noch optimistischer sehen die Konsenserwartungen für die Jahre 2017 (Mittelwert: 72,57 Dollar) und 2018 (Mittelwert: 76,89 Dollar) aus. In der abgelaufenen Handelswoche rutschte der fossile Energieträger jedoch in die entgegengesetzte Richtung und verletzte sogar die psychologisch wichtige Marke von 50,00 Dollar.
Zum Commitments of Traders-Report:
Einmal pro Woche veröffentlicht die US-Aufsichtsbehörde Commodity Futures Trading Commission (CFTC) den sogenannten Commitments of Traders-Report (COT) für sämtliche US-Terminbörsen und deren angebotenen Futures. Im wöchentlichen Rhythmus wird unter anderem die Anzahl der offenen Kontrakte (Open Interest) für jeden Basiswert veröffentlicht. Sie bringt zum Ausdruck, wie sich das allgemeine Interesse auf Wochensicht entwickelt hat.
Außerdem zeigt der COT-Report auf Basis der Marktdaten des jeweiligen Dienstags auf, wie sich die Marktpositionen der kommerziellen Branchenvertreter (Commercials) und der spekulativen Marktakteure - aufgeteilt in Großspekulanten (Non-Commercials) und Kleinspekulanten (Non-Reportables) - innerhalb einer Woche verändert haben. Für jede Gruppe von Marktakteuren werden jeweils deren Long- und Short-Positionen aufgeführt. Übertrifft die Long-Seite das Short-Engagement wird von einer Netto-Long-Position gesprochen, die eine mehrheitlich optimistische Markterwartung zum Ausdruck bringt. Im anderen Fall (mehr short als long) handelt es sich um eine Netto-Short-Position, die eine tendenziell pessimistische Markterwartung anzeigt. Für die Aktivitäten der spekulativen Marktakteure interessieren sich die Marktbeobachter normalerweise besonders stark, da ihr Handeln vor allem auf das Erzielen möglichst hoher Gewinne ausgerichtet ist und daher einen starken Einfluss auf die Preisentwicklung und das Marktsentiment ausüben kann.
Zum Autor:
Jörg Bernhard ist freier Journalist und hat sich in den vergangenen Jahren auf Zertifikate-, Rohstoff- und Edelmetallinvestments spezialisiert.