WARUM ENTLASTEN?
Die Staatskassen sind prall gefüllt. 2017 wird der Fiskus voraussichtlich 732,4 Milliarden Euro einnehmen. 2021 dürften es noch einmal fast 120 Milliarden Euro mehr sein. Grund dafür ist das erwartete Wirtschaftswachstum: Wächst der Kuchen des Bruttoinlandsprodukts, wird automatisch auch das Stück größer, das sich der Staat genehmigt. Die jährlichen Einnahmerekorde sind also nicht überraschend, werden von Steuersenkungsbefürwortern aber als Argument für eine Entlastung vor allem kleiner und mittlerer Einkommen angeführt.
WEN ENTLASTEN?
Vor allem Unionspolitikern ist der Spitzensteuersatz von 42 Prozent ein Dorn im Auge, der bereits ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 53.666 Euro (Verheiratete: doppelter Betrag) auf jeden zusätzlich verdienten Euro fällig wird. Er schlägt also bereits bei gut verdienenden Facharbeitern zu. Dem Institut der Deutschen Wirtschaft zufolge trifft er Arbeitnehmer, die das 1,9-Fache des Durchschnitts-Bruttos erhalten. 1965 lag der Wert beim 15-Fachen, 1980 beim 5-Fachen und 1990 beim 3,2-Fachen. Die Reformbefürworter schlagen deshalb vor, ihn erst später greifen zu lassen, damit wirklich nur Spitzenverdiener betroffen sind.
Zur Debatte gehört aber auch, dass der Spitzensteuersatz für die meisten Arbeitnehmer gar nicht die entscheidende Größe ist, sondern die durchschnittliche Steuerbelastung vom ersten bis zum letzten Euro - und diese liegt bei Beziehern mittlerer Einkommen deutlich niedriger. Aber wo genau liegt die Einkommensmitte?
WO LIEGT DIE MITTE?
Das Medianeinkommen von Vollzeitbeschäftigten liegt 2017 voraussichtlich bei gut 41.700 Euro brutto. Davon werden die Steuerfreibeträge abgezogen. Das gewerkschaftsnahe Institut IMK kommt modellhaft auf ein zu versteuerndes Medianeinkommen eines Single von rund 34.000 Euro - das ist weit vom Spitzensteuersatz entfernt. Ein Ehepaar mit zwei Kindern und Medianverdienst zahlt bei Berücksichtigung des Kindergelds gar keine Einkommensteuer.
Hier liegt das zweite Problem, bei dem etwa die SPD ansetzt: Wer keine Steuern zahlt, weil er so wenig verdient, dass der Fiskus gar nicht bei ihm zugreift, kann steuerlich auch nicht entlastet werden. Und das betrifft die Hälfte der Bürger. Ihnen wäre mehr mit Entlastungen bei den Sozialabgaben geholfen.
WAS IST DER MITTELSTANDSBAUCH?
Eigentlich geht es in der Steuerdebatte also nicht um untere und mittlere Einkommensbezieher, sondern um untere und mittlere Einkommensteuerzahler. Diese werden überproportional belastet, denn die Steuerbelastung auf jeden zusätzlich verdienten Euro steigt in der Zone eines zu versteuernden Jahreseinkommens von etwa 10.000 bis 30.000 Euro steil an und flacht dann ab.
Dieser Knick wird auch Mittelstandsbauch genannt. Ihn zu begradigen, ist extrem teuer, weil hier die breite Mitte der Steuerzahler sitzt: Auf 35 Milliarden Euro im Jahr müsste der Staat bei einer gleichmäßig steigenden Belastung verzichten, errechnet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).
WER SOLL DAS BEZAHLEN?
Das ist die Gretchenfrage bei jeder Steuerreform. Früher wurden zur Gegenfinanzierung gerne Schulden gemacht; seit der Schuldenbremse im Grundgesetz geht das nicht mehr. Erwogen wird deshalb, Spitzenverdiener stärker zu belasten, konkret, den Spitzensteuersatz zwar erst später greifen zu lassen, aber zu erhöhen. Oder den "Reichensteuersatz" von 45 Prozent ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von derzeit 250.000 Euro früher einzufordern. Zur Gegenfinanzierung von Entlastungen der breiten Mitte reicht das aber nicht. So würde dem DIW zufolge eine Anhebung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 49 Prozent nur zehn Milliarden Euro mehr in die Staatskassen spülen.
Damit bleiben nur noch wenige Stellschrauben: Entweder der Staat spart an seinen Ausgaben, um die Bürger zu entlasten, oder die Steuersenkungspläne fallen eben bescheidener aus. Denkbar wäre aber auch ein Mix aus maßvollen Entlastungen mittlerer Einkommensteuerzahler und Mehrbelastungen für Gutverdiener bei einem gleichzeitigem Verzicht darauf, Steuerzuwächse komplett auszugeben.