Prämienverträge: Banken und Kunden streiten schon lange über die Zinsen. Nun urteilte der Bundesgerichtshof - zugunsten der Sparer. Von Simone Gröneweg
Auf diesen Termin fieberten Verbraucherschützer und Sparer schon lange hin. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat vergangene Woche über die umstrittenen Zinsänderungsklauseln in lukrativen und entsprechend populären Prämiensparverträgen verhandelt. Das Urteil dürfte die Sparer freuen, denn der BGH stärkte ihre Rechte. Ein Paukenschlag und wichtiger Meilenstein für den Verbraucherschutz sei gelungen, sagt die Verbraucherzentrale (VZ) Sachsen. Sparern winken nun Zinsnachzahlungen.
Worum es geht
Die Prämiensparverträge gehörten einst zu den Lieblingen der deutschen Anleger. Das Besondere: Zusätzlich zum variablen Grundzins gab es eine jährliche Prämie, die mit der Laufzeit stieg. Vor allem in den 1990er-Jahren und zu Beginn der 2000er-Jahre entwickelte sich das Produkt zum Kassenschlager. Dann kam jedoch die Niedrigzinsphase und die Zahlungen wurden zur Belastung für die Banken. Sie hätten darum rechtlich umstrittene Klauseln genutzt, um die Verzinsung einzig zu ihren Gunsten zu ändern, kritisierten Verbraucherschützer und forderten Nachzahlungen.
Welche Klage wurde verhandelt?
Beim BGH wurde die Musterfeststellungsklage der VZ Sachsen gegen die Stadt- und Kreissparkasse Leipzig verhandelt. Der Klage hatten sich mehr als 1300 Sparer angeschlossen. Nach Berechnungen der Verbraucherschützer zahlte ihnen die Sparkasse im Schnitt 3100 Euro zu wenig. Im April 2020 hatte das Oberlandesgericht (OLG) Dresden entschieden, dass deren Berechnungsklausel unwirksam ist (Az: 5 MK 1/19). Das Gericht stellte klar, die Verzinsung müsse sich an einem angemessenen, langfristigen und öffentlich zugänglichen Referenzzinssatz orientieren. Wie genau die Berechnung geschehen solle, ließen die Richter in Dresden offen.
Warum die VZ Sachsen klagte
In den Vertragsformularen der Stadt- und Kreissparkasse Leipzig heißt es unter anderem: "Die Spareinlage wird variabel, z. Zt. mit ... % p. a. verzinst." Zudem steht in den Vertragsbedingungen, dass die Sparkasse dem Kunden den von ihr jeweils durch Aushang im Kassenraum bekannt gegebenen Zinssatz vergütet. Die Verbraucherschützer hielten die Regelungen zur Änderung des variablen Zinssatzes für unwirksam und die während der Laufzeit der Sparverträge von der Musterbeklagten vorgenommene Verzinsung für zu niedrig. Sie forderten unter anderem, dass die Bank Zinsanpassungen nach der Verhältnismethode vornimmt und nicht eins zu eins. In den vielen Jahren mit sinkenden Zinsen wären die Sätze dann weniger stark gefallen.
Das entschied der BGH
Der BGH stellte zunächst einmal klar, dass die Klausel für Zinsanpassungen in dem Vertrag der Sparkasse unwirksam sei, weil sie keinerlei Vorgaben enthielt und für Sparer unkalkulierbar gewesen sei (Aktenzeichen XI ZR 234/20). Der BGH erklärte zudem, dass ein langfristiger Zinssatz der Deutschen Bundesbank und ein relativer Zinsabstand anzuwenden seien. Demnach gilt das Äquivalenzprinzip. War der Zinssatz bei Vertragsabschluss günstiger als der Marktzins, muss dies also weiterhin gelten. Der absolute Abstand müsse hingegen nicht immer gleich sein, hieß es. Lag der Zins bei Vertragsabschluss zum Beispiel drei Prozentpunkte über dem üblichen Marktzins, kann der Zins in der Niedrigzinsphase nicht einfach auf null oder gar noch tiefer gesenkt werden. Es muss vielmehr bei einem günstigeren Zinssatz bleiben. Noch nicht geklärt ist allerdings, mit welchem Referenzzinssatz die Anpassung der Zinsen vorzunehmen ist. Das OLG Dresden muss das jetzt mithilfe eines Gutachters klären.
Zahlreiche Kunden betroffen
Das Urteil gilt zwar unmittelbar nur für die Leipziger Sparkasse, es hat aber eine Signalwirkung für die Branche. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), die das BGH-Urteil ausdrücklich begrüßt, hatte ermittelt, dass 255 befragte Kreditinstitute insgesamt mehr als eine Million Verträge im Bestand haben. Die Befragung sei aber nicht flächendeckend erfolgt und nicht repräsentativ. Zudem wurden mittlerweile Verträge gekündigt und einzelne Sparer haben mehrere Sparverträge. Wie viele Kunden von dem Zinsärger betroffen sind, dazu gibt es also keine offiziellen Zahlen. Aber manche Verbraucherschützer gehen davon aus, dass es Hunderttausende Kunden sind. Etliche wüssten gar nicht, dass ihnen möglicherweise Tausende Euro zustehen, meint Andreas Eichhorst, Vorstand der VZ Sachsen. Die umstrittenen Zinsklauseln wurden sehr oft von Banken verwendet. Die VZ Baden-Württemberg listet auf ihrer Website etliche Geldhäuser auf. Die Verträge heißen zum Beispiel "Prämiensparen flexibel", "VorsorgePlus", "Vorsorgeplan", "Scala" oder "Bonusplan".
Verjährung beachten
An eine Verjährung müssen vor allem Kunden denken, deren Sparkasse oder Bank den Vertrag bereits gekündigt hat. Die Frist liegt bei drei Jahren - beginnend ab dem Ende des Jahres, in dem aus Bankensicht der Vertrag endet. Wurde ein Vertrag 2018 beendet, hat man bis Ende 2021 Zeit, dagegen vorzugehen. Wer die Frist stoppen will, kann sich beim Ombudsmann der Banken beschweren. Alternativen bestehen darin, gerichtliche Schritte wie ein Mahn-oder Klageverfahren einzuleiten oder sich einer Musterfeststellungsklage anzuschließen. Landet die Kündigung in diesen Tagen im Briefkasten, müssen Verbraucher sich schlaumachen, ob ein Widerspruch aussichtsreich ist. Das ist etwa dann der Fall, wenn eine fest vereinbarte Laufzeit noch nicht zu Ende ist oder der Vertrag überhaupt keine exakte Laufzeit enthält. "Steht im Vertrag etwa konkret die Laufzeit 25 Jahre oder wurden Prämien über 25 Jahre fest vereinbart, dann ist das Kündigungsrecht der Bank für diese Zeit ausgeschlossen", erläutert Niels Nauhauser von der VZ Baden-Württemberg.
Sparer sollten sich kümmern
Die Verbraucherschützer gehen davon aus, dass das Urteil auf andere Sparkassen übertragbar ist. Die Verbraucher hätten mehr Rechtssicherheit bekommen, sagt Michael Hummel, Justiziar der VZ Sachsen. Wer den Verdacht hat, einen Vertrag mit fehlerhafter Zinsanpassung zu haben, sollte die Bank auffordern, ihre Berechnung darzulegen und neu zu rechnen. Zudem sollten sich Betroffene an die Verbraucherzentralen wenden. Dort erhalten sie eine rechtliche Bewertung. "Falls die Bank tatsächlich ein Nachzahlungsangebot unterbreitet, ist immer noch Vorsicht geboten", warnt Finanzexperte Nauhauser. So sei es möglich, dass die Offerte nur geringfügig höher als die ursprünglich geleisteten Zahlungen liege. Akzeptiere der Kunde dies, verzichte er auf jegliche weitere Rechte.
Gemeinsam klagen
Mit einer Musterfeststellungsklage können Verbraucherverbände grundsätzlich klären, ob ein Unternehmen Rechte der Kunden verletzt hat. Die Möglichkeit gibt es in Deutschland seit November 2018. Im einfachsten Fall endet der Musterprozess mit einem Vergleich für alle Verbraucher, die sich der Klage angeschlossen haben. Die Anmeldung ist kostenlos. So wundert es nicht, dass den Aufrufen zu Musterklagen bei Prämiensparverträgen bereits Tausende Kunden folgten - vor allem bei der Verbraucherzentrale (VZ) Sachsen, deren Musterfeststellungsklage gegen die Stadt-und Kreissparkasse Leipzig nun beim Bundesgerichtshof verhandelt wird. Weitere Sammelklagen sind derweil in Arbeit. So hat die in Halle/Saale ansässige Saalesparkasse Prämiensparern nach Ansicht des VZ Bundesverbands (VZBV) jahrelang zu wenig Zinsen gezahlt. Der VZBV hat darum eine Musterfeststellungsklage eingereicht, an der sich Sparer noch beteiligen können. Infos dazu gibt es bei der VZ Sachsen-Anhalt. Der VZBV und die VZ Bayern haben jeweils Musterfeststellungsklage gegen die Sparkasse Nürnberg und die Stadtsparkasse München eingereicht. Auch dort können sich Kunden noch anschließen. Die VZ Brandenburg sucht derweil noch Interessenten für eine Klage gegen die Sparkasse Barnim.