Reiner Holznagel empfängt den Gast in der Bundesgeschäftsstelle des Bundes der Steuerzahler. Diese ist unprätentiös, aber gut gelegen: Unten rauscht die S-Bahn vorbei, schräg gegenüber liegt das Gebäude der Bundespressekonferenz, zum Reichstag sind es zu Fuß sieben, zum Bundesfinanzministerium rund 20 Minuten.

Die Wege muss Holznagel in diesen Wochen häufig gehen. Während in allen Parteien - mit Ausnahme der FDP - noch immer über Umfang und Zeitpunkt der Abschaffung des Solidaritätszuschlags gestritten wird, formulieren die Sozialdemokraten mit der Wiedereinführung der 1997 abgeschafften Vermögensteuer bereits eine neue Zumutung für Steuerzahler. Holznagel ist gefordert. Dazu kommen die Vorbereitung des neuen Schwarzbuchs sowie Interviews und ein Festakt - mit der Kanzlerin als Hauptrednerin - aus Anlass des 70-jährigen Jubiläums des Vereins.

€uro am Sonntag: Das Bundeskabinett hat die weitgehende Abschaffung des Solidaritätszuschlags ab 2021 beschlossen. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags veröffentlichte in der vergangenen Woche eine Stellungnahme, dass die Zweifel an der ­Verfassungsmäßigkeit der Erhebung über das Jahr 2019 hinaus diskussions­würdig seien. Wasser auf Ihre Mühlen?
Reiner Holznagel: Zunächst ist der Beschluss des Kabinetts natürlich besser als nichts. Aber die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Diensts ist natürlich Wasser auf unsere Mühlen. Der Solidaritätszuschlag gehört jetzt für alle ab­geschafft! Deshalb unterstützen wir auch die aktuelle Klage eines Ehepaares aus Bayern. Natürlich wissen wir, dass Steuern nicht zweckgebunden sind - aber bei der Einführung des Solidarpakts im Jahr 1995 wurde die Soli-Abschaffung versprochen, sobald die Hilfen für die neuen Bundesländer auslaufen. Genau das geschieht am Jahresende. Deshalb steht die Politik im Wort - die Menschen müssen sich auf solche Zu­sagen verlassen können.

Das Argument von Herrn Scholz lautet, dass mehr als 90 Prozent der Steuerzahler entlastet würden und nur die starken Schultern weiterzahlen. Was spricht dagegen?
Dagegen spricht der Gleichbehandlungsgrundsatz. Man kann aus einer allgemeinen Ergänzungsabgabe nicht einfach durch die Hintertür eine Zusatz­einkommensteuer einführen. Hier sollte die Politik mit offenem Visier kämpfen und im Parlament für einen neuen Einkommensteuertarif streiten. Wie dann die Besserverdiener wirklich mehr belastet werden sollen, wird sich dann deutlicher zeigen. Übrigens: Auch kleine Unternehmen und Sparer werden den Soli weiterzahlen müssen.

Apropos Reiche: Die Sozialdemokraten haben in der vergangenen Woche die Wiedereinführung einer Vermögensteuer mit zwei Sätzen - für Reiche und für sehr, sehr Reiche - vorgeschlagen. Damit könnte man ja den Steuerausfall nach der Abschaffung des Solidaritätszuschlags kompensieren …
… was angesichts von 45 Milliarden Euro Staatsüberschuss im ersten Halbjahr 2019 überhaupt nicht nötig ist. Im gesamten Jahr 2018 trug der Soli knapp 19 Milliarden Euro zu den Steuereinnahmen bei. Eine Wiedereinführung der Vermögensteuer ist also fiskalisch unnötig. Dazu kommt, dass sie verfassungsrechtlich heikel, wachstumsfeindlich und extrem bürokratisch ist. Es hat ja einen Grund, dass nur sechs von 36 OECD-Ländern eine solche Substanzsteuer erheben. Kurzum: Die Vermögensteuer ist ein großer Unsinn!

Täglich werden derzeit neue Steuern ins Spiel gebracht: eine CO2-Steuer, um das Klima zu retten, die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Fleisch und Wurst, um den Fleischkonsum zu senken. Ist das alles sinnvoll?
Zunächst sollten wir uns in Erinnerung rufen, dass Steuern in erster Linie dazu da sind, den Staat zu finanzieren - und nicht, um das Verhalten der Leute zu lenken oder Leistung zu bestrafen. Die CO2-Reduktion ausschließlich über eine Steuer erzwingen zu wollen ist naiv. Insgesamt halte ich die CO2-Steuer schlicht für ein Kassenverbessungsprogramm; denn wenn der Ausstoß hoch bleibt, sind auch die Einnahmen hoch! Der ­Finanzminister hat da gänzlich andere Interessen als die Umweltministerin. Hier denke ich gleich an die Tabaksteuer: Unter dem Vorwand, die Leute vor sich selbst schützen zu müssen, hat man mehrfach die Steuern erhöht, mit der Folge, dass der Fiskus höhere Einnahmen hatte. Weniger geraucht wurde tatsächlich erst, als das Rauchverbot in Gaststätten und Restaurants eingeführt wurde. Und die Diskussion um die Mehrwertsteuererhöhung auf Fleisch und Wurst ist so abstrus, dass mir dazu nichts mehr einfällt. Jedenfalls wird ein höherer Umsatzsteuersatz auf Fleisch das Tierwohl nicht verbessern.

Der Vizekanzler denkt laut über ein Konjunkturprogramm im Volumen von 50 Milliarden Euro nach und will dafür gegebenenfalls auch feststellen, dass die konjunkturelle Lage so weit von der Normallage abweicht, dass die schwarze Null fallen gelassen wird und gegebenenfalls sogar die Schuldenbremse, die eine Neuverschuldung von bis zu zehn Milliarden Euro zulässt, dann nicht mehr eingehalten werden muss. Unterstützung erhält er von Nobel­preis­träger Paul Krugman, der Deutschland auffordert, Schulden zu machen …
Diese ganze Diskussion finde ich in höchstem Maße erschreckend. Wir haben es immer noch mit einer sehr robusten Wirtschaft zu tun, die Steuereinnahmen steigen. Ich kann mich nur wiederholen: Wir hatten im ersten Halbjahr Überschüsse der öffentlichen Haushalte von 45 Milliarden Euro. Da kann ich nun wirklich überhaupt keine Notwendigkeit für neue Schulden erkennen. Und der Handelsstreit mit den USA, die Spannungen im Euroraum oder die Themen, die uns aus der Digitalisierung ­erwachsen, werden nicht durch mehr Staatsschulden gelöst. Unser Problem ist nicht das Geld.

Sondern? Was sollten wir Ihrer Meinung nach tun?
Wir müssen entbürokratisieren, wir brauchen eine straffe Organisationsstruktur, wir müssen den Föderalismus unter die Lupe nehmen, und damit sollten wir schließlich auch das Planungsrecht verbessern.

Etwas genauer bitte.
Wir alle wollen sicher keine chinesischen Verhältnisse, aber die vielen Mitwirkungsrechte gehen schon sehr weit. Das macht die Planungsverfahren in Deutschland äußerst langwierig und teuer - und den Autobahnkilometer zu einem der teuersten in der Welt. Die Bürger wollen zwar schnelles Internet, aber keine Antennen in ihrer Nachbarschaft, sie wollen fliegen, aber keine Flughäfen, sie wollen mit dem ICE reisen, aber keine Trassen. Auch die Energiewende ist problematisch: Zwar wird durch Wind Strom erzeugt, doch die Leitungen zu den Abnehmern fehlen zum Teil komplett. Da wird über viele Jahre durch alle Instanzen geklagt. Dass in der öffentlichen Verwaltung die Digitalisierung noch kaum Einzug gehalten hat, macht die Dinge auch nicht leichter. Da wird viel geredet, aber wenig ­gehandelt.

Werfen wir noch einen Blick auf das kommende Haushaltsjahr. Die GroKo verabschiedet immer neue und teurere Leistungen, doch ob die in den Steuerschätzungen prognostizierten Ein­nahmezuwächse tatsächlich erreicht werden, steht in den Sternen. Ist der Haushalt für 2020 solide?
Mir ist wichtig, dass die schwarze Null gehalten wird. Die hat eine überragende, für alle Steuerzahler aber eben auch eine symbolische Bedeutung. Dafür wird sich der Bund der Steuerzahler weiter einsetzen.

Kurzvita

Stringente Karriere
1976 in Pasewalk geboren, ­leistete Reiner Holznagel nach dem Abitur Zivildienst in einer Kinderklinik auf Amrum. In Kiel studierte er von 1997 bis 2001 Politikwissenschaft, Öffent­liches Recht und Psychologie. In seiner Magisterarbeit untersuchte er das Jugendpotenzial rechtsextremer Parteien in Mecklenburg-Vorpommern. Nach einer Zwischenstation in der Politik stieß Holznagel 2003 zum Bund der Steuerzahler.
Ab 2006 geschäftsführender Vorstand, wurde er 2012 als Nachfolger von Karl-Heinz Däke zum Präsidenten gewählt. Reiner Holznagel ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seine ­Hobbys sind Laufen, Radfahren und Wassersport. Er ist Kolumnist in €uro am Sonntag (und setzt damit in dieser ­Woche ­jedoch einmal aus).

Bund der Steuerzahler

70 Jahre Lobby für die Bürger
Der 1949 gegründete, eingetragene, gemeinnützige Verein ist mit mehr als 200.000 Mitgliedern die größte Steuerzahlerorganisation der Welt. Jeweils im Herbst veröffentlicht der Verein das sogenannte Schwarzbuch. In ihm werden Beispiele benannt, wie die öffentliche Hand Jahr für Jahr viele Milliarden Euro verschwendet oder falsch investiert. Der Verein unterstützt verschiedene Musterverfahren, in ­denen Steuerpflichtige gegen systemwidrige oder un­gerechtfertigte Gesetze vorgehen. Zu den größten Erfolgen gehört die 2008 erreichte Entscheidung des Bundesver­fassungsgerichts gegen die Abschaffung der Entfernungs­pauschale. Derzeit läuft ein Verfahren gegen die fortgesetzte Erhebung des Solidaritätszuschlags.
Mit der Schuldenuhr gelang dem Steuerzahlerbund seit 1995 die Visualisierung der Staatsverschuldung. Die ­Aufnahme der Schuldenbremse ins Grundgesetz ist sein ­bislang größter Erfolg.