Da die Minizinsen nun auf Jahre hinaus zementiert sind, verlieren sie bares Geld. Und was noch schwerer wiegen könnte: Wenn die EZB nun massenhaft Anleihen von Staaten mit Schuldenproblemen wie Griechenland, Italien und Frankreich aufkauft, droht deren Reformeifer zu erlahmen.

Dennis Snower, der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, geht mit der EZB deshalb hart ins Gericht: "Sie untergräbt die Anreize für eine nachhaltige Haushaltsdisziplin und Schuldenpolitik." Die Versuchung, Reformen zu verschieben, könnte groß sein, denn Regierungen in Paris, Rom und anderswo kommen nun für lange Zeit günstiger an frisches Geld. Und die schützende Hand der mächtigen Notenbank bewahrt sie zudem davor, am Kreditmarkt unter Druck zu geraten wie es einst Irland oder Portugal erging und beide Länder sich gezwungen sahen, unter dem Euro-Rettungsschirm Schutz zu suchen. Auch für das am Sonntag vor der nächsten Schicksalswahl stehende Griechenland erscheinen Draghis Milliarden wie Netz und doppelter Boden.

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LETZTER SCHUSS

Doch Athen ist vermutlich nur ein Nebenkriegsschauplatz: Wenn es sich die Schwergewichte der Euro-Zone, Frankreich und Italien, unter dem neuen Schutzschirm der EZB bequem machen sollten, leidet die Wettbewerbsfähigkeit aller Euro-Länder - trotz der Frankfurter Geldspritzen. Und sollte es wirtschaftlich trotz des großen Geldregens weiterhin bergab gehen, steht Draghi mit leeren Händen da: Seine mindestens 1140 Milliarden Euro umfassende Mega-Bazooka ist sein letzte Schuss. Der muss sitzen.

Zwar ist die schiere Summe beeindruckend, die Draghi nun in die Wirtschaft pumpt, um eine Deflation - eine ruinöse Spirale fallender Preise und rückläufiger Investitionen zu verhindern. Immerhin will er ein Zehntel des wirtschaftlichen Gewichts der Euro-Zone in die Hand nehmen. Doch im Vergleich etwa zur US-Notenbank Fed, die vom Kollaps von Lehman Brothers 2008 bis in den Herbst ebenfalls massenhaft Staatsanleihen aufkaufte, ist Draghis Geschütz bescheiden. Die Federal Reserve kaufte Bonds, die fast genau einem Viertel der Wirtschaftsleistung der USA entsprechen.

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RENZIS TRAUM

Mario Draghi hat nun diesseits des Atlantiks eine mächtige Schutzmauer gegen den Schrecken der Deflation errichtet. Damit sorgt er nicht zuletzt für eine Abwertung des Euro zum Dollar. Das ist gut für die Exporteure, da ihre Produkte im Ausland an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen. Draghi könnte seinem Landsmann, Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi, damit bald einen Traum erfüllen: die Parität von Dollar und Euro. Renzi konnte das Land bis dato nicht aus der Rezession befreien. Mit Hilfe der EZB-Milliarden und einem schwachen Euro wäre es vielleicht machbar.

Auch den EZB-kritischen Deutschen und der Bundesbank kommt Draghi entgegen bei seinem neuen Coup - wenigstens ein bisschen. Nur bei einem Fünftel der geplanten Wertpapierkäufe wird das Risiko komplett auf alle Euro-Länder verteilt, bei den übrigen Transaktionen tragen die nationalen Notenbanken das Risiko. Doch ausgerechnet die deutsche Wirtschaftsweise Isabel Schnabel gießt Wasser in den Wein: "Die begrenzte Risikoteilung setzt ein falsches Signal. Denn dies stellt die Erwartung in Frage, dass die EZB genügend politische Unterstützung hat, um alles zu tun, falls es zur Stabilisierung des Euro nötig sein sollte."

Pikant ist der Zeitpunkt, zu dem Draghi seine Geldkanone abfeuert: im März. Dann nämlich entscheidet die EU-Kommission in Brüssel, ob Defizitsünder Frankreich, Nummer zwei in Sachen Wirtschaftskraft in der Währungsunion, bestraft wird oder nicht. Das Defizit der Franzosen ufert seit Jahren aus und es droht ein teures Knöllchen aus Brüssel. Mit Draghis frischen Milliarden im Rücken kann Paris das sicher leichter verschmerzen. Was das für den Reformeifer in der Währungsunion langfristig bedeutet, bleibt abzuwarten.

Reuters