Renzi hat seinen Rücktritt angekündigt, falls die Italiener gegen die Änderung der Verfassung stimmen, die nach seiner Meinung wegen des komplizierten Zwei-Kammer-Systems entschlossenen Reformen im Weg steht. Die politischen Gegner des 41-Jährigen haben daraus ein Votum über das große Ganze gemacht - und lagen in den letzten Umfrage vorn. In den anderen europäischen Hauptstädten wächst die Krisenangst.
"Das Verfassungsreferendum ist Italiens 'Brexit'-Moment", sagt Neil Wilson vom Finanzdienstleister ETX Capital. An den Finanzmärkten wird befürchtet, dass die drittgrößte Ökonomie der Euro-Zone nach einem "No"-Votum in schwere Wetter steuert und den Rest des Währungsgebietes mit in den Strudel zieht. Die Europäische Zentralbank (EZB) steht Insidern zufolge für den Fall heftiger Marktreaktionen Gewehr bei Fuß, um einen steile Anstieg der italienischen Anleihen-Renditen einzudämmen. In den letzten Tagen vor der Volksabstimmung kletterte die Risiko-Prämie, die der italienische Staat Käufern seiner Schuldpapiere zahlen muss, bereits auf den höchsten Stand seit Mitte 2015. Die Investmentberatung Sentix bezifferte die Wahrscheinlich eines "Italexit" aus der Euro-Zone zuletzt mit 19,3 Prozent.
Ein Nein würde Schockwellen durch die Finanzmärkte und das Bankensystem schicken, sagt Wilson. Erster Verlierer könnte die Krisenbank Monte dei Paschi die Siena werden, deren Kapitalerhöhung in Gefahr geraten könnte. Dann wären wohl Staatshilfen notwendig, voraussichtlich auch bei anderen italienischen Instituten, um einen Flächenbrand zu verhindern.
RENZI-GEGNER LAGEN IN LETZTEN UMFRAGEN WEIT VORN
Ab zwei Wochen vor dem Referendum durften keine neuen Umfragen mehr publiziert werden. Die letzten Stimmungstests legten aber den Schluss nahe, dass es tatsächlich zu einem "No" kommen könnte: Elf Prozentpunkte lagen die Gegner der Verfassungsreform vorn. In Renzins Demokratischer Partei heißt es hinter vorgehaltener Hand, die seitdem erhobenen privaten Umfragen zeigten, dass der Vorsprung des "No"-Lagers auf etwa fünf Prozent geschrumpft sei, wobei ein Viertel der Wähler noch unentschieden sei. Genau wird das allerdings niemand wissen, denn welche Verlässlichkeit haben Umfragen noch in Zeiten, in denen weder der britische Brexit noch der Wahlsieg Donald Trumps zum US-Präsidenten verlässlich vorhergesagt wurden?
Renzis Gegner jedenfalls wittern ihre Chance. Der Chef der eurofeindlichen 5-Sterne-Bewegung, Beppe Grillo, putschte seine Anhänger am Sonntag mit den Worten auf: "Die Welt verändert sich. Wir werden ihnen unser 'Nein' ins Gesicht schleudern. Das ist kein politisches 'Nein', sondern ein existentielles und soziales 'Nein' - unsere Welt wird kommen!" Grillo jagt Renzi, den er als "Wildsau" bezeichnete, die um ihr Leben kämpfe.
Sollte der Regierungschef das Referendum dennoch im Amt überleben, hat er bereits Aufräumarbeiten angekündigt. Zunächst müsse man strategische Lösungen für die Flüchtlingskrise finden, dann die Schwierigkeiten in der Bankenbranche angehen und das mauen Wirtschaftswachstum ankurbeln, sagte er der Zeitung "Repubblica". Scheitert Renzi, wird Staatspräsident Sergio Mattarella voraussichtlich versuchen, ihn zu überreden wenigstens bis zu einer Wahlrechtsreform im Amt zu bleiben. Dann könnten die Italiener schon bald erneut zu den Wahlurnen gerufen werden, um Anfang 2017 eine neue Regierung ins Amt zu bringen.