Herr Halver, der italienische Ministerpräsident hat seine Ankündigung wahr gemacht und tritt nach dem gescheiterten Referendum zurück. Kommt nun die Diskussion um die Zukunft der EU mit Macht zurück?



Eine erneute Euro-Krise hat theoretisch Potenzial. Aber in der Praxis wird das "SEKE" - das Sondereinsatzkommando Europa - bis zur Neuwahl dieses Gefahrenpotenzial begrenzen. Die Eurozone betreibt "Wahlwerbung". So wird man mehr Staatsverschuldung zulassen, die die EZB refinanziert, um den italienischen Wähler bis zum Wahltag milde zustimmen und ihn zu veranlassen, Euro-freundliche Parteien zu wählen. Ähnliches wird man bei der Bankensanierung tun.

Nach dem Motto "Was nicht passt, wird passend gemacht" werden die Banken künstlich durch den Staat oder einen verstärkten Aufkauf von schlechten Krediten durch die EZB am Leben gehalten. Konkret heißt das, dass die Europäische Stabilitätsunion so tot ist wie eine Maus in der Mausefalle. Der Preis der Rettung Italiens ist die Abschaffung von Stabilität oder anders ausgedrückt.: Die Stabilität Europas geht vor Finanzstabilität.

Insofern wird man bis zum Wahltag versuchen, das Schlimmste, den Italexit, der ohne Zweifel zu einem Dominosteineffekt führen würde, zu verhindern.

Manche Beobachter befürchten gar, dass Italien dem Beispiel Großbritanniens folgen könnte und aus der EU austreten könnte. Für wie wahrscheinlich halten Sie ein solches Szenario?



In unserem Europa, in unserer Eurozone ist nichts mehr unmöglich. Aber mit den Besänftigungsmaßnahmen will man die Wähler Italiens davon abhalten, Parteien zu wählen, die den Austritt Italiens aus der EU und der Eurozone befürworten.

Die italienischen Banken sitzen auf faulen Krediten in Milliardenhöhe. Wie groß ist jetzt die Gefahr einer neuen Finanzkrise in Italien und in der Eurozone?



Die Gefahr ist da und man tut den italienischen Banken grundsätzlich nicht unrecht, wenn man ihre Stabilität anzweifelt. Unter normalen Bedingungen kann man diesen gewaltigen Umfang an notleidenden Kreidten unmöglich stemmen. Aber ließe man eine Bankenkrise in Italien zu, die sofort aufgrund der finanzwirtschaftlichen Verbindung zu einem Ansteckungseffekt bei anderen europäischen Banken und zu einer Vertrauenskrise führt, bei der niemand mehr dem anderen traut, wäre dagegen die Pleite der Lehman-Bank ein Kindergeburtstag. Alle unkonventionellen Mittel der (Geld-)Politik werden bemüht, um das zu verhindern.

An den Börsen hat die Nervosität im Vorfeld des Referendums deutlich zugenommen. Droht dem Dax nun ein neuerlicher Rückschlag?



Wir haben uns mittlerweile an Krisen gewöhnt. Wir haben ein dickes Fell, eine dicke Hornhaut. Und wir haben uns an die Instabilität von EU und Eurozone gewöhnt, die unter massivem Regelbuch aller Dinge versucht, künstlich zu stabilisieren. Wie hat es einst Konrad Adenauer gesagt: Wenn wir kein sauberes Wasser haben, müssen wir eben schmutziges nehmen.

Die Aktienanleger in Deutschland vertrauen auf die Allmacht der Notenbank. Leider sind damit letzten Stabilitätshüllen der Eurozone gefallen. Denn nur aufgrund der uns versprochenen Stabilität waren wir bereit, die D-Mark aufzugeben. Wir sind also hinters Licht geführt worden.

Volatiler wird es aber in jedem Fall. Auch anfängliche Verluste sind einzukalkulieren. Unter 10.000 fallen wir aber nicht.

Erwarten Sie politische Börsen, mit ein paar Tagen Unsicherheit oder könnte es schlimmer kommen?



Ein Grad an Unsicherheit wird bis zum Wahltag in Italien anhalten. Man darf ja auch nicht vergessen, dass in drei weiteren Euro-Staaten gewählt wird, wo Euro-Skeptiker und Anti-Polit-Establishment-Bewegungen vermutlich Zugewinne erzielen werden.

Der Euro ist in Asien heute morgen in Asien bereits unter Druck geraten. Steuert der Euro jetzt auf die Parität zum Dollar zu?



Eine gewisse Euro-Schwäche haben wir bereits in den letzten Wochen wegen der Trump-Wahl und der damit etwas verstärkten Zinserhöhungsphantasie der Fed gesehen. Aber die anderen Exportnationen werden uns nicht den Gefallen tun, dass der Euro eine zu starke Exportbegünstigung europäischer Unternehmen nach sich zieht. Alle Nationen auch die USA wollen exportieren. Von daher sehe ich die Parität nicht. Sollte aber die Eurozone 2017 im vermutlich politischsten Kapitalmarktjahr aller Zeiten kollabieren, fällt der Euro auch unter die Parität.

Viele Beobachter erwarten, dass die EZB am Donnerstag die milliarden-schweren Anleihekäufe um weitere sechs Monate verlängern wird, das Volumen von 80 Milliarden Euro aber beibehält. Erwarten Sie vor dem Hintergrund des Referendums in Italien hier Abstriche, oder wird Mario Draghi das Programm uneingeschränkt verlängern?



Mario Draghi hat bereits angekündigt, mehr italienische Staatspapiere aufzukaufen, um dem Finanzmarkt zu zeigen, dass er einen Renditeanstieg, der die Euro-Krise befeuert, bekämpft. Wenn er nicht mit der Muffe gepufft ist, wird er keine restriktiven Schritte unternehmen, sondern offensiver werden.

Könnte eine solche Verlängerung des Quantitativ Easing trotz Renzirendums doch noch den Startschuss für eine Jahresend-Rallye bringen?



Die Jahresend-Rallye wird aus politischen Gründen schwieriger. Sollte es aber zu einer Ausweitung von Mario Draghis Wundermedizin kommen, ist eine Jahresend-Rallye möglich.