Aktien aus Schwellenländern haben dieses Jahr enttäuscht. Die Märkte tun sich schwer, seit das Durchgreifen des Regulators das Vertrauen in China nachhaltig erschüttert hat. Außerdem ist im zweiten Quartal klar geworden, dass es keine synchrone Erholung der Schwellenländer geben würde. Die ungleiche Verfügbarkeit des Covid-19-Impfstoffs hat erneute Lockdowns nötig gemacht, um die Delta-Welle in den Griff zu bekommen. Anleger sollten die Anlageklasse jedoch nicht ignorieren, sondern ihr Engagement lieber aufrechterhalten.

Derzeit notieren die Schwellenländer verglichen mit Industrieländern nahe an historischen Tiefständen. Das zeigen sowohl zukunftsgerichtete Kurs-Gewinn-Verhältnisse (35 Prozent Abschlag gegenüber historischem Abschlag von 22 Prozent) als auch zurückliegende Kurs-Buchwert-Verhältnisse (42 Prozent Abschlag gegenüber historischem Abschlag von 18 Prozent). Zudem dürften die zum Teil hohe Durchseuchung mit dem Coronavirus und der Impffortschritt nun allmählich eine Öffnung einzelner Schwellenländer zulassen. Somit kann eine Erholung unmittelbar bevorstehen, was den Schwellenländern zusätzlichen Schwung verleihen dürfte.

China, das in enger Verbindung zu den asiatischen Schwellenländern steht, hat in letzter Zeit die Schlagzeilen dominiert und die Anleger beobachten die dortigen Reformen genau. Hier sind Unternehmen etwa aus der Immobilien-, Bildungs- und Technologiebranche betroffen. Die Marktreaktion war jedoch übertrieben, da ein großer Teil der regulatorischen Änderungen sich schon lange angekündigt hatte. Chinas Zentralbank hat Anfang des Jahres die Geldpolitik gestrafft, was im zweiten und dritten Quartal zu einer Konjunktureintrübung führte. Der Markt preist bereits ein negatives Szenario ein und wir könnten kurz vor einem Wendepunkt stehen, ab dem wieder eine lockere Geldpolitik verfolgt wird. Nach unserer Einschätzung will zudem die Regierung die Mittelschicht stärken und mehr Menschen an den Vorzügen des Wirtschaftswachstums teilhaben lassen. Sie wollte hierfür einen besseren regulatorischen Rahmen einführen, nicht aber Privatunternehmen schwächen.

Trotz der strengeren Regulierung liberalisiert und öffnet China seine Märkte zusehends. Es fördert etwa Programme wie Stock Connect, um ausländischen Anlegern den Zugang zu chinesischen Unternehmen zu erleichtern und Anlegern aus China bessere Chancen im Ausland zu ermöglichen. Zudem wird eine neue Börse in Peking eröffnet, um kleinen und mittleren Unternehmen Rechnung zu tragen - ein klares Zeichen dafür, dass private Unternehmen weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Sollte das Wachstum in China sich 2022 nach der Verlangsamung 2021 wieder beschleunigen, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Wachstumsgefälle zwischen asiatischen Volkswirtschaften und Industrieländern wieder größer wird. Historisch betrachtet, war eine solche Entwicklung stets mit einer asiatischen Outperformance gegenüber den Industrieländern verknüpft.

Neben China erscheinen die südostasiatischen Märkte attraktiv, da diese Volkswirtschaften die Pandemie nun besser unter Kontrolle haben, die Impfraten erhöhen konnten und sich somit wieder vermehrt öffnen können. Mit der zunehmenden Ertragsdynamik dürften sich die Normalisierungstrends vor allem in Thailand, Indonesien, Singapur und Vietnam fortsetzen. Dies ist in der aktuellen Bewertung noch nicht vollständig berücksichtigt. Im Gegenzug haben Indien, Korea und Taiwan im bisherigen Jahresverlauf bereits eine gute Performance erzielt und werden im Vergleich zur Region und ihrer eigenen Historie stolz bewertet. Eine Abflachung des Wachstums sowie die nachlassende angestaute Nachfrage nach Gütern dürfte voraussichtlich zu weniger stark ansteigenden Gewinnzunahmen führen. Das Potenzial dieser Märkte ist daher eher ausgereizt.

 


Roger Merz

Merz hat einen Abschluss in Betriebs- und Finanzwirtschaft der Universität Zürich und ist CFA Charterholder. Seit 1998 ist er in der Finanzbranche tätig. 2010 kam er als Portfolio Manager zu Vontobel Asset Management, 2012 wurde er zum Head of mtx Portfolio Management ernannt. Vontobel Asset Management ist ein aktiver Vermögensverwalter mit globaler Reichweite und einem Multi-Boutique-Ansatz.