Der Ölmarkt hat die Folgen der Corona-Krise überwunden - jedenfalls gemessen an der Preisentwicklung. Mitte Februar sorgte ein heftiger Schneesturm an der amerikanischen Süd- und Ostküste für größere Produktionsausfälle in der US-Schieferöl- und Gasindustrie, weil Quellen einfroren oder schlicht der Strom zur Förderung fehlte. Als Folge stieg der Preis der Rohölsorte West Texas Intermediate (WTI) erstmals seit Januar 2020 über die Marke von 60 US-Dollar je Fass.
Der Preisschub wäre wohl noch größer ausgefallen, wenn nicht gleichzeitig die Nachfrage der Raffinerien gesunken wäre. Diese mussten ebenfalls zum Teil ihre Arbeit einstellen. Zudem bremsten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie noch die Konjunktur in wichtigen Abnehmerländern.
Mit der Preiserholung ist der Tag im April 2020 fast vergessen, an dem wegen eines völligen Nachfragekollapses zu Beginn der Corona-Krise sogar ein negativer Preis für WTI aufgerufen wurde. Der Ölmarkt ist wieder auf dem Weg zur Normalisierung. Zwei Faktoren stimmen für die Zukunft zuversichtlich: Zum einen hat sich die Wirtschaftsaktivität in großen Volkswirtschaften wie China und den Vereinigten Staaten schneller erholt, als am Markt für möglich gehalten wurde. Damit einher geht ein Abbau der zwischenzeitlich enorm angewachsenen Lagerbestände für Rohöl. Zum anderen haben sich auch die großen Ölförderländer deutlich disziplinierter verhalten als in der Vergangenheit. Die OPEC+, also das Ölkartell OPEC sowie große Produzenten wie Russland, hat ihre Produktionsmengen effektiv gedeckelt, wodurch der Markt schneller ins Gleichgewicht kommen kann.
Abbau der nach wie vor hohen Lagerbestände von Erdöl
Allerdings hat sich aus fundamentaler Sicht wenig verbessert, auch wenn die kräftig gestiegenen Ölpreise etwas anderes vermuten lassen. Denn die physische Nachfrage nach Rohöl ist aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie noch verhalten. Unterstützend wirkt aber, dass das Angebot teilweise begrenzt ist. Die jüngste Rally fußt zudem auf einem stark gestiegenen Interesse von Investoren, die das schwarze Gold als zyklische Finanzanlage betrachten. Viele Marktteilnehmer setzen auf eine konjunkturelle Erholung nach der Pandemie und hoffen, dass die Nachfrage bald wieder in die Nähe des Vorkrisenniveaus klettert.
Inwieweit diese Erwartung aufgeht, ist vor dem Hintergrund der ansteckenderen Mutationen des Coronavirus mit einem Fragezeichen versehen. Aktuell liegt die Nachfrage nach Öl immer noch knapp acht Millionen Fässer pro Tag niedriger als vor der Pandemie. Indem einige Förderländer wie Saudi-Arabien, Russland und die USA ihre Produktion gedrosselt haben, übertrifft der Angebotsrückgang in Summe aber den Rückgang der Nachfrage. Der insgesamt leichte Nachfrageüberhang führt zu einem Abbau der nach wie vor hohen Lagerüberschüsse. Eine schrittweise Verbesserung des Infektionsgeschehens und sukzessive Lockerungen der Lockdown-Maßnahmen vorausgesetzt, dürfte der Energiemarkt bis zum Jahresende wieder ins Gleichgewicht kommen.
Ob die großen Ölproduzenten diszipliniert ihr Angebot begrenzt halten, wird sich zeigen. Steigende Preise könnten diese Disziplin aufweichen. Die US-Schieferölproduzenten haben zu Preisen von über 60 US-Dollar je Barrel sicherlich einen großen Anreiz, ihre Produktion wieder hochzufahren. Angesichts des sehr unsicheren Umfelds warnte jedoch der saudische Energieminister Abdulasis bin Salman Mitte Februar die Förderländer, extrem vorsichtig zu bleiben, was rasche Anhebungen betrifft.
Öl bleibt als zyklisches Investment weiter interessant
Hinsichtlich der deutlichen Preiszuwächse der vergangenen Wochen ist bereits viel Konjunkturhoffnung in den Ölnotierungen eingepreist. Solange die Förderdisziplin erhalten bleibt und sich die Konjunkturerholung beschleunigt, hat der Ölmarkt unserer Einschätzung nach weiteres Aufwärtspotenzial. Die Prognosen unserer Volkswirte gehen von einem soliden Wachstum bei wichtigen Ölkonsumenten wie China und den USA aus.
Kommen die breit angelegten Impfkampagnen gegen das Coronavirus voran, wird die Bevölkerung wieder mobiler werden. Dann ist Öl als zyklisches Investment weiterhin interessant. Mittelfristig zählt der Energiesektor zu den aussichtsreichsten Investments im Rohstoffmarkt.
Max Holzer
Leiter Relative Return bei Union Investment
Holzer leitet seit 2017 im Portfoliomanagement von Union Investment die Abteilung Relative Return innerhalb des neu aufgestellten Bereichs Multi Asset. Zuvor führte er von 2004 bis 2016 die Einheit Asset Allocation.
Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken. Mit aktuell rund 390 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen ist sie einer der größten deutschen Vermögensverwalter für private und institutionelle Anleger.