BÖRSE ONLINE: Die Inflation in den USA ist im März auf dem höchsten Stand seit Ende 1981 gestiegen. Es zeichnet sich ab, dass die US-Notenbank Fed die Zinsen deutlich schneller anhebt, als ursprünglich geplant. Welche Zinsentwicklung erwarten Sie?


Ronald-Peter Stoeferle: Die zentrale Frage ist: Wie viele Zinsschritte die Fed vornehmen kann, ohne den Aktienmarkt und die Konjunktur komplett abzuwürgen? Mittlerweile hat der Markt Zinsschritte auf 3,5 Prozent bis Mitte nächsten Jahres eingepreist - also ein sehr, sehr aggressives Vorgehen. Zu den Zinserhöhungen kommt das Quantitative Tightening dazu. Die Notenbankbilanz soll aktiv zurückgefahren werden. Für die Kapitalmärkte droht derzeit Ungemach von zwei Seiten - eine Stereowatsch‘n, wie man in Wien sagen würde: Zum einen von der Inflation und zum anderen von der sich deutlich eintrübenden Wirtschaftsdynamik. Die Rezessionswolken haben sich in den vergangenen Wochen massiv verdichtet. Ich halte es für gut möglich, dass Europa und die USA in den nächsten neun bis zwölf Monaten in eine Rezession hineinrutschen. Für die USA erwartet der Markt daher 2023 auch schon wieder Zinssenkungen. Vermutlich werden die Währungshüter aber ein bisschen tiefer in die Trickkiste greifen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es zu einer sogenannten "Yield Curve Control" kommen wird.

Yield Curve Control: Was ist das?


Die Notenbanken fixieren eine Obergrenze für die Anleiherenditen. Sie ziehen also einen Deckel ein. Die Fed würde sobald die Renditen über den festgelegten Zielprozentsatz x steigen, tätig werden und so viele Staatsanleihen wie nötig aufkaufen, um die Zinsobergrenze zu verteidigen. Das ist eigentlich ein unbegrenztes Quantitative Easening. Das gab es in den USA bereits von 1942 bis 1951. Aktuell hat die Bank of Japan eine Zinsobergrenze bei den 10jährigen japanischen Staatsanleihen bei 0,25% eingezogen. Die australische Notenbank konnte ihre zu Beginn der Corona-Pandemie eingeführte Zinsobergrenze allerdings Ende Oktober 2021 nicht mehr verteidigen und musste sie aufgeben. Dennoch kann ich mir gut vorstellen, dass die Einführung der YCC der nächste Schritt sein wird und dass die Fed dann auch beginnen wird, Aktien zu kaufen. All das muss man im Zuge der nächsten Krise oder des nächsten Crashes erwarten.

Wie dürfte sich all das auf den Goldpreis auswirken?


Das zentrale Thema für den Goldpreis ist die negative Korrelation zwischen Aktien und Anleihen - die Basis von modernen "balanced" Portfolios: Wenn die Aktien schwächeln, dann sollten die Anleihen die Performance im Portfolio retten. Das hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten umgekehrt, weil nun Inflation ein Thema ist. Und da ist Gold einer der Gewinner. Und Gold hat das gemacht, was es tun soll. Es hat wie ein verlässlicher Verteidiger, quasi ein Franz Beckenbauer zu seinen Glanzzeiten, im Portfolio gewirkt.

Wie genau hängen die Inflation und der Goldpreis eigentlich zusammen?


Grundsätzlich ist nicht die Inflation, sondern der Realzins entscheidend. Negative Realzinsen sind das Fundament eines jeden Gold-Bullenmarktes und diese sind in der Eurozone, mehr noch aber in den USA weiterhin tief negativ. Nur die türkischen Realzinsen sind noch stärker negativ. Trotz der kommenden Zinsschritte gehe ich davon aus, dass wir in den nächsten Jahren weiterhin negative Realzinsen sehen werden. Gold ist also langfristig ein hervorragender Inflationsschutz, insbesondere dann, wenn die Inflation in einem relativen Niedrigzinsumfeld auftritt. Zudem funktioniert Gold besonders in einer Stagflation, also einem Zusammentreffen anziehender Inflationsraten mit einer sich abkühlenden Konjunktur, sehr gut.

Wieso?


Ein dahinsiechendes Wirtschaftswachstum bei hohen Inflationsraten ist ein Umfeld, bei dem sich Aktien und Anleihen schwertun. Und dann stehen nicht mehr sehr viele Anlageklassen für Investments zur Verfügung außer Rohstoffe und ganz speziell Gold. Ein stagflationäres Umfeld erscheint zunehmend wahrscheinlich. Und die Frage ist, wie die Notenbanken und die Politik reagieren werden. Den Notenbanken gehen langsam die Instrumente aus. Deshalb wird verstärkt wieder die Fiskalpolitik zum Zuge kommen, so wie wir das bereits in der Corona-Krise gesehen haben, wo die Fiskalpolitik wichtiger war als die Geldpolitik. Das wird sich fortsetzen.

Können Sie ein Beispiel für fiskalpolitische Maßnahmen nennen?


Jetzt sehen wir Ausgleichszahlungen für gestiegene Energiepreise. In der Corona-Krise gab es zahlreiche Maßnahmen, die an Helikoptergeld erinnerten. Diese Stimuli hatten einen direkten und raschen Effekt auf die Konjunktur. Der Effekt verpufft aber auch relativ schnell und hat Konsequenzen für die Inflationsentwicklung. Aber das ist keine langfristige Maßnahme. Die Menschen gewöhnen sich daran. Die Ausgleichszahlungen für gestiegene Energiepreise werden zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung und deshalb können die Energiepreise gar nicht wirklich fallen: Weil es bei hohen Preisen keine spürbaren Konsequenzen auf der Nachfrageseite gibt.

Durch fiskalpolitische Maßnahmen steigen die Staatsschulden. In der Eurozone gibt es das Argument gegen Zinserhöhungen, dass die Staatsschulden so hoch sind. Macht man damit nicht Zinserhöhungen faktisch unmöglich?


Bald wird die nächste Feuerprobe für die Eurozone stattfinden. Die EZB hat angekündigt, dass sie im Falle stark steigender Renditen eingreifen wird. Das geht in Richtung Yield Curve Control. Ich gehe davon aus, dass sich eine Eurokrise abzeichnet. Natürlich haben die stark gefallenen Zinsen ein Umfeld geschaffen, indem man nicht sonderlich interessiert daran war, die Staatsfinanzen zu konsolidieren. Jetzt sind aber nicht nur die privaten Schulden und die der Unternehmen hoch, sondern auch die Staatsschulden. Nach zwei Jahren Corona-Krise, wo die Staaten massiv interveniert haben, kommt jetzt die nächste Krise politischer Natur, der Krieg in der Ukraine. Das ist schon eine sehr spezielle Mischung. Wir befinden uns in einem neuen Inflationsparadigma. Die Inflationsraten können zurückkommen, aber sie werden längere Zeit auf einem höheren Niveau verbleiben. Und das ist auch das, was die Staaten erreichen wollten: Eine Entschuldung durch hohe Inflationsraten. Das Problem ist, dass man die Inflationsraten nicht so einfach wie einen Thermostat regulieren kann. Hier gibt es historisch gesehen immer einen ziemlichen zeitlichen Verzug. Je länger der Zinserhöhungszyklus geht, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Kapitalmärkte einbrechen. Das hat dann auch Konsequenzen für den Konsum und auf die Investitionstätigkeit und wird die rezessiven Tendenzen weiter verstärken.

Eine Entschuldung durch hohe Inflationsraten: Was meinen Sie damit?


Die Verschuldung hat Dimensionen erreicht, die ein Herauswachsen aus den Schulden nicht mehr möglich ist, eher gewinnen die Stuttgarter Kickers die Champions League. Eine sehr restriktive Sparpolitik kommt beim Wähler nicht besonders gut an. Finanzielle Repression in Kombination mit hohen Inflationsraten könnte eine Lösung sein. Mit Inflationsraten von fünf bis sechs Prozent kann man auf der Schuldenseite einiges bewirken. Dabei handelt es sich natürlich um eine massive Umverteilung von den Gläubigern zu den Schuldnern. Wenn ich mein Geld auf dem Sparbuch habe oder Anleihen im Portfolio habe, dann bin ich der Leidtragende der ganzen Situation.

Welchen Goldpreis erwarten Sie in dieser Gemengelage mittelfristig?


Ich erwarte definitiv neue Allzeithochs. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Goldpreis gegen Ende des Jahres bei 2.300 US-Dollar oder noch höher stehen wird. Kursziele sind aber natürlich immer mit Vorsicht zu genießen, wichtig ist meiner Meinung nach, dass sich Gold in einem Bullenmarkt befindet und dieser Bullenmarkt auf einem festen Fundament steht. Goldanleger blicken glänzenden Aussichten entgegen.