Europa, Asien, Amerika - überall, wo Ölkontrakte gehandelt werden, ist die Stimmung angespannt. Seit Jahresbeginn hat der Preis für ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent bereits um rund 30 Prozent zugelegt. Jüngst waren es Sorgen um Produktions- und Lieferausfälle in der ölreichen Region am Persischen Golf. Nach dem Raketenbeschuss des Regierungs- und Diplomatenviertels in der irakischen Hauptstadt Bagdad drohte US-Präsident Donald Trump dem Iran mit Zerstörung. Die wachsenden Spannungen zwischen den USA und dem Iran schüren Ängste vor einem Krieg am Golf - und treiben den Ölpreis.

Trotz des deutlichen Preisanstiegs fielen die Bilanzen der globalen Öl- und Gasmultis im ersten Quartal im Schnitt eher unspektakulär aus. Wie erwartet verdienten die meisten sogar weniger als im Vorjahr. Die Erholung in der Branche nimmt nach der schwierigen Zeit der Jahre 2014 bis 2017 mit historisch niedrigen Ölpreisen nur langsam Fahrt auf. Im Krisenmodus mussten die Firmen aufwendige und wenig Erfolg versprechende Förderprojekte einstellen. Viele kürzen zudem auch die Ausschüttungen an die Anteilseigner.

Branche zögert


Den meisten Konzernen fällt es deshalb weiterhin schwer, auf Wachstum umzuschalten. "Immerhin fließen inzwischen aus Projekten, die während der dunklen Tage im Jahr 2015 gestartet wurden, jetzt die ersten Gewinne", berichten Experten von Bloomberg Intelligence. Seit 2015 haben einige Multis ihre Rohstoffreserven mit Zukäufen deutlich ausgeweitet, darunter die britisch-niederländische Royal Dutch Shell und Frankreichs Total.

Amerikas Nummer 1, ExxonMobil, startete erst später und erwarb dann Projekte, die laut den Experten erst ab 2020 Gewinne liefern werden. Der US-Riese ist gemessen an seinen Öl- und Gasreserven auch weltweit der größte Energiekonzern. Bis 2025 will er den Gewinn verdoppeln. Umso enttäuschender für Investoren war der Ausrutscher, den sich die Texaner im ersten Quartal 2019 leisteten. In ihrem Raf­fineriegeschäft sackte die Rendite auf das niedrigste Niveau der vergangenen 20 Jahre ab. Laut Schätzungen von Bloomberg büßte ExxonMobil hier von Januar bis März im Schnitt täglich bis zu drei Millionen Dollar ein.

Anders als der Primus bei den Förderreserven nimmt die weltweite Nummer 2 auf dieser Liste, Royal Dutch Shell, leichter Fahrt auf. In Schwung bringt den Multi die im schwierigen Branchenjahr 2016 übernommene BG Group, ein global aufgestellter britischer Spezialist für flüssiges Erdgas, auf Englisch "liquefied natural gas", kurz LNG.

Das Volumen des bei Temperaturen um minus 160 Grad verflüssigten Gases beträgt ein Sechshundertstel des Volumens von gasförmigem Erdgas und ist in der Nutzung wesentlich klimafreundlicher als Erdöl. Dank BG ist Shell in diesem aussichtsreichen Markt weltweit führend. Da die Gaspreise in Shells Lieferverträgen an die Entwicklung des Ölpreises gekoppelt sind, konnte der Multi sein Flüssiggas im ersten Quartal im Schnitt um 8,5 Prozent teurer verkaufen als im Vorjahr. Die Preise im Markt fielen hingegen wegen des aktuellen Überangebots um sieben bis 27 Prozent.

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Künftiger Stromerzeuger


Der Ausbau des Geschäfts ist für Shell ein wichtiger Schritt auf einem langen Weg. Denn bis 2035 will der Konzern ­unter Einhaltung der Pariser Klimaziele zum weltweit größten Lieferanten klimaschonender Energie aufsteigen.

Mit Spannung erwarten Anteilseigner deshalb den 4. Juni. Dann wird Chef Ben van Beurden in London Details zur künftigen Konzernstrategie vorstellen. Viel Aufmerksamkeit erhielt der Niederländer bereits im Jahr 2017. Shell ist der Konzern mit dem weltweit größten Tankstellennetz. Dennoch lobte van ­Beurden die in einigen europäischen Ländern langfristig avisierten Verbote von Autos mit Verbrennungsmotor als "sehr willkommen" und "notwendig".

Auf den Wandel zum Lieferanten klimafreundlicher Energien drängten auch viele institutionelle Anteilseigner - zuletzt abermals auf der Hauptversammlung vergangenen Dienstag. Die Nachricht ist längst bei Shell angekommen: Der Anteil des Erdöls an den Erlösen soll während der nächsten 16 Jahre von zwei Dritteln auf weniger als ein Drittel sinken, erklärte jüngst der für den Bereich Neue Energien zuständige Vorstand Maarten Wetselaar.

Strom aus regenerativen Energiequellen wiederum liefert aktuell noch einen verschwindend geringen Umsatzanteil. 2035 soll dieser Bereich für ein Drittel der Gesamterlöse stehen. Shells Tankstellennetz dürfte im Rahmen der Strategie zügig mit Ladesäulen für Elektroautos ausgerüstet werden. Das verbliebene Drittel der Erlöse sollen LNG sowie die Chemiesparte liefern.

Teure Revolution


Für diesen tiefgreifenden Wandel sind große Anstrengungen notwendig. Öl- und Gasmultis, die jetzt mit LNG und Strom aus Wind und Sonne auf emis­sionsärmere Energien umstellen, müssten nach Schätzungen der Energie­experten von Bloomberg dafür während der nächsten zehn bis 15 Jahre zwischen 13 und 26 Prozent ihrer jährlichen Investitionen reservieren. Bei Shell müssten es jährlich 3,5 bis 3,7 Milliarden Dollar sein. Viel mehr also als der bis 2020 dafür vorgesehene jährliche Betrag von ein bis zwei Milliarden Dollar.

Ein erheblicher Teil des Geldes dürfte in Übernahmen fließen, weil das langfristige Ziel ohne Zukäufe nicht erreichbar sein wird, so die Experten. Bei der Profitabilität im Stromgeschäft stellt Shell prozentual zweistellige Renditen in Aussicht. Experten erwarten jedoch, dass sie niedriger ausfallen als die 15 bis 20 Prozent Rendite im bisherigen Kerngeschäft mit fossilen Energieträgern.

Mit zuletzt 15,6 Milliarden Dollar Dividende schüttet Shell weltweit und branchenübergreifend die höchste Dividendensumme aus. Zu Recht befürchten Aktionäre, dass der Konzern wegen des Portfolioumbaus die hohe Ausschüttung vorübergehend kürzen könnte. Sollte es finanziell eng werden, dürfte Shell jedoch als Alternative zur Dividende eigene Aktien anbieten. In der schwierigen Zeit zwischen 2014 und 2017 hatte der Energieriese das schon einmal getan. So vermied er als einer der wenigen in der Branche tiefe Einschnitte bei seinen Anteilseignern. Weil Aktionäre den Wandel fordern, dürfte die Alternative Aktien statt Dividende wenn nötig erneut erfolgreich sein.

Mit welchem Nachdruck institutionelle Anleger in Europa bei Ölmultis die "grüne Revolution" fordern, zeigte sich soeben auch auf der Hauptversammlung der britischen BP. Die Forderung nach detaillierten Informationen darüber, wie die Pariser Klimaziele eingehalten werden sollen, wurde von 99 Prozent der Aktionäre unterstützt.

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Investor-Info

Royal Dutch Shell
Mutiger Wandel


Branchenübergreifend und weltweit schüttet kein anderer Konzern so viel Dividende aus wie Shell. Während der Branchenkrise von 2014 bis 2017 konnte der Konzern Kürzungen vermeiden. Nach diesem Test dürfte der Öl- und Gasmulti auch den Wandel zu emissionsärmeren Energien ohne Kürzung der Ausschüttungen meistern. Für 2019 erwarten Analysten bei gut fünf Prozent weniger Umsatz knapp sieben Prozent mehr Gewinn pro Aktie. Attraktiver Dividendentitel.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 35,00 Euro
Stoppkurs: 23,60 Euro

ExxonMobil
Langsam aufwärts


Bis 2025 will Amerikas größter Öl- und Gasmulti mit den weltweit höchsten Reserven seinen Gewinn verdoppeln. Bis sich der Umbau des Portfolios - anders als bei BP und Shell nicht zugunsten emissionsarmer Energien - in der Bilanz positiv bemerkbar macht, dürfte es allerdings noch dauern. Aktienrückkäufe bleiben vorerst tabu. Die Aktie ist dank attraktiver Dividende haltenswert.

Empfehlung: Beobachten
Kursziel: 72,00 Euro
Stoppkurs: 55,00 Euro

Öl- und Gasbranche global
Einsatz im Sektor


Mit dem börsengehandelten Fonds (ETF) der Deutsche-Bank-Tochter Xtrackers investieren Anleger günstig in Anteile von 78 Energie­firmen, die im globalen MSCI-World-Energy-­Index enthalten sind. US-Konzerne wie Exxon Mobil oder Chevron sind mit über 54 Prozent regional am stärksten vertreten. Britische ­Firmen wie BP oder Shell belegen im Index mit gut 18 Prozent Platz 2.