Rund 98 Prozent aller Deutschen kennen den Namen Oetker. Begonnen hatte die Erfolgsstory von Oetker mit dem Backpulver, das der Bäckersohn August Oetker in seiner zum Labor ausgebauten Apotheke entwickelt hatte. Der Apotheker mit dem gemütlichen Walrossbart hatte erst mit medizinischen Weinen, Gesundheitskakao, Fußcreme und Warzentinktur experimentiert - später entwickelte er das berühmte Backtriebmittel Backin, das er 1891 in kleinen Tüten für je zehn Pfennig verkaufte.
Drei Jahre später folgte sein zweiter großer Erfolg: ein einfach herzustellender feiner Pudding. Die Idee des portionierten Backpulvers kam gut an. 1900 gründete der Tüftler in Bielefeld eine Fabrik und belieferte von hier aus bald das gesamte Deutsche Kaiserreich mit Backpulver. Er entwickelte weitere Produkte wie Aromen und Speisestärke, bis zu 100 000 Päckchen wurden täglich ausgeliefert.

Der Erfinder erwies sich als ausgesprochenes Marketinggenie. Mit fast missionarischem Eifer verbreitete er die Botschaft vom einfachen und erfolgreichen Kochen, verschickte Rezepthefte, veranstaltete Backkurse und ließ Kochbücher schreiben. Der 1925 verfasste Klassiker "Backen macht Freude", verkaufte sich bis heute fast 30 Millionen Mal. 1914 brach der Erste Weltkrieg aus. August Oetkers frisch verheirateter Sohn Rudolf, der später das florierende Geschäft übernehmen sollte, wurde eingezogen. Er fiel zwei Jahre später als Kompaniechef in den Schützengräben von Verdun. Sein Sohn Rudolf-August wurde sechs Monate nach dem Tod des Vaters in Bielefeld geboren. Die junge Witwe heiratete 1919 in zweiter Ehe Dr. Richard Kaselowsky, der treuhänderisch die Leitung der Firma übernommen hatte.

Als einziger männlicher Nachkomme der Firmendynastie wurde Rudolf-August schon früh auf seine künftige Aufgabe als Unternehmenschef vorbereitet. Zunächst besuchte er eine Privatschule, später eine gewöhnliche Volksschule. Er war kein besonders guter Schüler, schaffte aber das Abitur, leistete seinen Arbeitsdienst ab und begann ein Jahr später in Hamburg eine Lehre bei der Vereinsbank. Mit 21 Jahren lebte er standesgemäß in einer noblen Villa direkt an der Außenalster, verkehrte in der High Society der Hansestadt und lernte die Musikstudentin Marlene Ahlmann kennen, die er 1939 heiratete.

Sein Stiefvater Kaselowsky führte ihn in die Firmengeschäfte ein. Er übernahm Aufsichtsratsposten, arbeitete in mehreren Oetker-Zweigstellen im Ausland und im Berliner Büro des Unternehmens. Über Kaselowsky sollte Rudolf-August später sagen: "Einen besseren Vater könnte ich mir nicht vorstellen, einen besseren Lehrherrn für mich auch nicht." Aber Kaselowsky war auch ein glühender Verehrer Hitlers. Er war bereits 1933 in die NSDAP eingetreten und wurde Mitglied in Heinrich Himmlers "Freundeskreis Reichsführer SS". 1937 erhielt das Oetker-Unternehmen als eines von 30 in Deutschland die Auszeichnung "Nationalsozialistischer Musterbetrieb", und Kaselowsky nahm dafür von Hitler persönlich die "Goldene Fahne" der Deutschen Arbeitsfront entgegen. Auch Rudolf-August zeigte sich anfällig für das braune Gedankengut. Er meldete sich 1942 freiwillig zur Waffen-SS, wollte in der SS-Verwaltung Karriere machen.

Im Oktober 1944 musste Rudolf-August Oetker nach Bielefeld zurückkehren: Bei einem Bombenangriff waren seine Mutter, sein Stiefvater Kaselowsky und zwei seiner Stiefschwestern im Keller ihrer Villa ums Leben gekommen. Nun musste Rudolf-August, der eben seinen 28. Geburtstag gefeiert hatte, die Leitung der Firma übernehmen.

Start der Erfolgsstory



Im Wirtschaftswunderland Bundesrepublik geriet die politisch anrüchige Vergangenheit der Firma Oetker bald in Vergessenheit. Jetzt begann eine der größten Erfolgsgeschichten der deutschen Nachkriegszeit. Die Dr. August Oetker KG profitierte weiter von der ungebrochenen Markenkraft. Auch um unabhängig von Konjunkturzyklen zu sein, investierte man das wachsendes Kapital in unterschiedliche Geschäftsfelder. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren gelang es ihm, aus dem Nahrungsmittelhersteller eines der am breitesten diversifizierten Konglomerate Deutschlands zu schaffen. Der Mischkonzern handelte nicht nur mit Bier, Pizza und Sekt, ihm gehörten bald die Sektkellereien Henkell, Söhnlein und Deinhard, der Spirituosenhersteller Wodka Gorbatschow sowie die Brauereien Binding und Dortmunder Actien-Brauerei. Mit der Übernahme von Brau und Brunnen stieg die Holding sogar zum größten deutschen Bierbrauer auf.

Den größten Umsatz nach Sparten erzielt die Gruppe aber nicht mit Lebensmitteln, sondern auf den Weltmeeren: 43,2 Prozent der Erlöse stammten aus dem Reedereigeschäft der Hamburg Südamerikanischen Dampfschifffahrts-Gesellschaft, ein Vermächtnis Kaselowskys. Oetker, der passionierte Pfeifenraucher und tanzfreudige Kavalier, galt als genügsam, introvertiert und bescheiden, als Pfennigfuchser, konnte aber auch großzügig und tolerant sein. Der Patriarch war ein echter Grandseigneur der alten Schule, stets höflich und bei seinen Mitarbeitern sehr beliebt. Trotz seiner Erfolge verlor er nie die Bodenhaftung. "Wenn ein Gast oder Mitarbeiter sein Büro betrat, so erhob er sich und verneigte sich leicht, ungeachtet des Ranges seines Besuchers", schrieb die "Frankfurter Allgemeine".

2007 starb Rudolf-August Oetker in Hamburg an den Folgen einer Lungenentzündung. Seine Unternehmensanteile übertrug er zum größten Teil an seine acht Kinder. Was er allerdings nicht vorhersehen konnte: Seit seinem Tod sind die Kinder in zwei Lager gespalten und zerstritten- ein Kampf um Posten und Macht. In wenigen Tagen wird das Familienoberhaupt August Oetker, der den Beirat führt, gemäß den Statuten des Unternehmens mit Vollendung seines 75. Lebensjahres abtreten. Ein Nachfolger soll noch im März gewählt werden.